
Meinung
Top oder Flop? 9 beliebte Sonnenschutzmittel und mein Senf dazu
von Natalie Hemengül
Der neue Billig-Marktplatz Temu macht Shein und Aliexpress mächtig Konkurrenz. Ich habe die Klamotten des Anbieters getestet. Wieso ich künftig die Finger davon lasse.
Temu heisst der Billigshop, der in der Schweiz seit Wochen sowohl im Apple App Store als auch im Google Play Store auf Platz eins sitzt. «Shoppe wie Milliardäre», so der catchy Slogan des Unternehmens. Dass sich das auf die Quantität und nicht auf die Qualität bezieht, ist selbsterklärend.
Temu ist ein Online-Marktplatz, der als Vermittler zwischen Kundschaft und verschiedenen, mehrheitlich chinesischen Händlerinnen rsp. Händlern agiert. Dementsprechend gross ist die Vielfalt. Du findest dort so ziemlich alles, von Sofabezügen über Donut-Ständer bis hin zu Kopfhörern. Tatsächlich wurde Temu für den westlichen Markt lanciert: Der Hauptsitz liegt im US-amerikanischen Boston. Es handelt sich jedoch um eine Tochterfirma des chinesischen E-Commerce-Riesen Pinduoduo.
Preislich unterbietet Temu vergleichbare Konkurrenz wie Shein, Aliexpress oder Wish – zumindest jetzt noch. So will das Unternehmen in der Anfangsphase anhand von extrem tiefen Preisen rasant an Marktanteil gewinnen und nimmt dafür Verluste in Kauf. Eine weit verbreitete Taktik, die auch Amazon einst erfolgreich angewendet hatte. Temu ist mittlerweile ziemlich genau ein Jahr alt und hat in der Zeit seit dem Launch im September 2022 einen kometenhaften Start hingelegt, der dem Ultra-Fast-Fashion-Giganten Shein mächtig Konkurrenz macht.
Laut Analysetool Bloomberg Second Measure hat die US-Kundschaft im Mai dieses Jahres 20 Prozent mehr Geld bei Temu ausgegeben als bei Shein. Doch kann Temu modetechnisch mithalten? Kleidung und Accessoires machen immerhin einen grossen Teil des Sortiments aus – also habe ich das mal ausgecheckt.
Zu Testzwecken habe ich eine Handtasche (acht Franken), eine Sonnenbrille (3.10 Franken), zwei Kleider (8.50 und 9.90 Franken) und zwei Oberteile (4.50 und 8.50 Franken) bestellt. Eins vorweg: Da auf Temu zahlreiche Händlerinnen ihre Produkte verkaufen, variieren sowohl die Preise als auch die Qualität von vergleichbaren Waren.
Die Lieferung ist gratis und das Paket nach knapp zwei Wochen im Briefkasten. Ein grosser Minuspunkt schlägt mir gleich beim Auspacken in Form einer penetrant chemisch riechenden Duftwolke ins Gesicht. Ich möchte die Sachen in den Keller und aus meinem Bewusstsein verbannen und gar nicht erst an meine Haut lassen – und mache das auch gleich. So lange, bis mich Content-Chef Martin Jungfer an meine geplante Temu-Story erinnert. Also hole ich den Haufen stinkendes Plastik aus dem Keller, wasche ihn ordentlich und probiere die Sachen widerwillig an. Was die Qualität angeht, werde ich nicht enttäuscht – da ich absolut keine Erwartungen habe – und in einem Falle sogar positiv überrascht.
Mangelhaft finde ich ein Langarmkleid und eine kleine Handtasche. Letztere ist durch die Lieferung zerknautscht und wurde so unsauber verleimt, dass der Henkel klebrig ist. Ich muss meine Hände, nachdem ich die Tasche kurz inspiziert habe, ganze drei Mal waschen, um den Leim-Gestank loszuwerden. Ein langärmliges Maxikleid mit einem Naked-Print à la Jean Paul Gaultier sieht dafür ziemlich trashig aus – nicht auf die gute Art. Der glänzende Stoff fühlt sich an wie ein Badeanzug, was insbesondere bei langen Ärmeln schweisstreibend ist. Der Print wirkt zu rudimentär, als dass er den Effekt erzielen könnte, den er eigentlich sollte.
Die Sonnenbrille sieht hingegen, als Accessoire, ganz passabel aus. Dass sie guten Schutz bietet, bezweifle ich schon allein wegen des Preises und der hellen Gläser. Ganz in Ordnung finde ich das asymmetrische One-Shoulder-Top im chaotischen Nullerjahre-Print. Der Stoff ist zwar ebenfalls schrecklich atmungsinaktiv, aber immerhin ärmellos und dadurch luftig. Das graue Bandeau-Kleid mit den Rüschen sieht nicht gerade hochwertig, aber für den Alltag tolerabel aus. Immerhin fühlt sich der dünne Polyester-Stoff etwas angenehmer an, als bei Langarmkleid und Top.
Wirklich hübsch finde ich den ultrakurzen, grünen Strickpulli. Er fühlt sich überraschend weich an und den Preis von weniger als neun Franken sieht man ihm meiner Meinung nach nicht an. Er könnte ebenso gut von etablierten Fast-Fashion-Brands wie Zara, Weekday oder JJXX stammen. Die Verarbeitung finde ich bei allen Kleidungsstücken akzeptabel.
Im Vergleich zu Produkten von vergleichbaren Ultra-Fast-Fashion-Shops wie Aliexpress, Shein, Boohoo oder Pretty Little Thing würde ich sagen, dass sich die Ware von Temu qualitativ innerhalb derselben Bandbreite bewegt und ähnlich unberechenbar ist. Ich persönlich würde an diesem Punkt in meinem Leben nicht aus eigenem Antrieb von Temu oder vergleichbaren Billiganbietern bestellen. Abgesehen von der Qualität sind da natürlich ethische Bedenken. Kleidung kann gar nicht so billig sein – ausser jemand oder etwas anderes als du bezahlt den Preis dafür.
Was für mich aber der ausschlaggebende Grund ist, wieso ich solche Dinge nicht kaufe: Es bereitet mir schlicht und einfach keine Freude – von der Shopping-Experience, über die Qualität bis hin zum schlechten Gewissen und der Sorge, dass Giftstoffe vorhanden sein können. Vergangenes Jahr zeigte eine Laboranalyse von Greenpeace beim unabhängigen Bremer Umweltinstitut (BUI), dass 15 von 47 untersuchten Produkten von Shein heikle Chemikalien wie Phthalate oder Formaldehyd in besorgniserregenden Mengen aufweisen. 15 Prozent der Proben übersteigen gar die EU-Grenzwerte. Ich nehme an, dass ein Test mit Temu-Produkten ähnlich ausfallen würde.
Würde ich das grüne Strickoberteil theoretisch anziehen? Ja, schon. Werde ich es auch wirklich tun? Vermutlich nicht. Weil ich das Teil nicht anschaue und dabei Freude oder Wertschätzung empfinde. Weil sich ein neues Kleidungsstück für acht Franken falsch anfühlt. Weil ich das Gefühl zu sehr liebe, in ein hochwertiges Kleidungsstück oder Accessoire investiert zu haben, von dem ich weiss, dass es einige Saisons später noch gut aussehen und einen Wert haben wird. Ein Stück, das mir beim Tragen ein gutes Gefühl gibt, das mich beim Gedanken daran, dass es in meinem Schrank hängt, mit Freude erfüllt.
Natürlich verstehe ich den Wunsch, selbst mit einem kleinen Budget modisch angezogen zu sein und eine vielfältige Garderobe zu besitzen. Aber auch in diesem Falle gibt es bessere Optionen, als den Kleiderschrank mit Wegwerfmode zu füllen. Wer nicht viel Geld ausgeben kann oder will, dem empfehle ich, statt von Temu und Co. aus zweiter Hand zu kaufen.
Bei meinem letzten Brockibesuch habe ich beispielsweise schöne Hosen und Blazer aus 100 Prozent Schurwolle für gerade mal zehn Franken erspäht. Ein unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis. Ausserdem hat es immer etwas Schicksalhaftes, in Brockenhäusern, auf Flohmis oder in Designer-Secondhandshops auf etwas zu stossen, das dir perfekt passt. Ich wette, dass dir so ein Fund beim Kaufen und Tragen mehr Freude bereiten wird, als ein dubioser Billigstkauf bei Temu.
Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.