
Ratgeber
Ich habe mit Katzenfutter gekocht, damit du nicht musst
von Simon Balissat
Eine Verkettung unglücklicher Umstände hat dazu geführt, dass ich den schwedischen Gammelfisch Surströmming essen musste. Ich bin ins Rektum der Lebensmittelindustrie gestiegen und als neuer Mensch rausgekommen.
Der Gestank ist beissend. Stell dir eine Bahnhofstoilette vor, die einen Monat nicht gereinigt wurde, kombiniert mit einem überlaufenden Fäkalientank und einer Kadaversammelstelle. Das ist Surströmming und das werde ich mir in den Mund stecken...
Im neuen Galaxuswerbespot isst die Protagonistin Katzenfutter. Ich hatte daher die Idee, mit Katzenfutter zu kochen. Meine Kolleginnen und Kollegen haben die Idee so toll gefunden, dass sie aus zehn weiteren erkoren wurde. Ich habe also den Wettbewerb der Scheissideen gewonnen. Katzenfutter habe ich dann gegessen.
Mein Chef Aurel hat in den Kommentaren zum Beitrag oben eine neue Herausforderung für mich gefunden: Surströmming. Bei hundert Upvotes sollte ich schwedischen Gammelfisch essen. Surströmming ist legendär – zumindest sein Gestank. Dass die Upvotes innert Tagesfrist die 100er-Grenze geknackt haben, überraschte niemanden.
Ihr habt mir Tipps gegeben, wie ich den Fisch essen soll. Ich und Videoproduzentin Stephi sind daher an die Limmat, um dort zu essen. Das stimmt nicht ganz. Stephi durfte filmen, ich musste essen. Um ein Malheur zu vermeiden, habe ich eine Schüssel mit Wasser gefüllt. Die Dose steht unter Druck. Öffnest du sie nicht unter Wasser, verteilt sich der Inhalt überall.
Um den Fisch nicht einfach so essen zu müssen, habe ich mir Knäckebrot, Sauerrahm und rote Zwiebeln organisiert. Zum Runterspülen Bier und vor allem Schnaps. Ihr habt mir Aquavit empfohlen, ich hatte aber noch Vodka in der Totenschädelflasche inklusive Totenkopfshotgläser, die ich anlässlich meinem Vorhaben als angebracht empfand. Wie schon beim Katzenfutter sollte die Strategie «Geschmack überdecken, dann geht es schon» nicht funktionieren. Die Qual beginnt schon beim Öffnen der Dose…
Es ist der Gestank von Verwesung, Urin und verfaultem Fisch, der in der Nase beisst, sobald Gas aus der Dose entwichen ist. Wer war wohl die erste Person, die so einen Fisch gegessen hat? Hatte die keine Geschmacksnerven? Oder war es ein Notfall?
Ich kann mir das nur so vorstellen:
Es war einmal vor langer Zeit ein Fischer in Schweden, der ganz einsam auf einer Insel seiner Tätigkeit nachging. Er fischte Heringe und legte sie dann zum trocknen auf ein Holzgestell vor seine kleine Hütte, wo er den Sommer zum Fischen verbrachte. Ganz plötzlich zog ein Sturm auf. Nichts Ungewöhnliches für die Jahreszeit. Dieser Sturm aber war so heftig und dauerte so lange, dass der Mann nicht mehr von seiner Insel wegkam. Zunächst vergingen Tage, dann Wochen. Die Vorräte waren bald aufgebraucht, der Fischer zusehends verzweifelt.
Da erinnerte er sich an den Fisch vor der Hütte. Der war zwar schon übelriechend und am verwesen. Nach drei Tagen und drei Nächten ohne etwas zu essen war der Hunger so gross, dass der Fischer widerwillig einen der Heringe ass. Wieder vergingen Tage und Wochen, ohne, dass sich der Sturm legte. Der Fischer ass immer weiter von den stinkenden Fischen und begann den Geschmack zu mögen. Ganze drei Monate dauerte der Sturm und als der sich endlich legte, hatte der Fischer beinahe den ganzen Fisch gegessen. Die letzten paar Heringe packte er ein und reiste mit seinem Boot zurück in sein Dorf, wo die Einwohner den Totgeglaubten voller Verblüffung überschwänglich begrüssten.
«Aber sag: Wie hast du diesen Sturm auf deiner kleinen Insel überlebt?», wollte der Bürgermeister wissen und der Fischer erklärte ihm die Geschichte der verfaulten Heringe. «Dieser vergammelte Fisch soll dir das Leben gerettet haben?», fragte der Bürgermeister ungläubig und nahm selbst einen Bissen. Er brachte das kleine Stück kaum hinunter und musste mit Schnaps nachhelfen. «Ja genau und er schmeckte mir am Schluss richtig gut!», antwortete der Fischer, der sich bester Gesundheit erfreute.
Der Bürgermeister glaubte an ein Wunder. Er erklärte den Gammelhering zur Spezialität und zum Lebenselixier. Seither füllt das kleine Dorf in Schweden jedes Jahr die Heringe in Dosen ab und schickt sie in der ganzen Welt herum. Das Dorf lebt in Saus und Braus. Wie Jesus Wasser zu Wein macht, macht dieses Dorf vergammelten Fisch zu Geld. Alle sehen es jetzt als Mutprobe, den Gammelfisch in den Mund zu stecken. Nur einen gibt es, der den Hering wirklich mag. Der Fischer isst sich täglich am Gammelhering satt und lebt glücklich bis heute.
So, wie ich mit dieser kleinen Geschichte die Schilderung meiner Erlebnisse hinausgezögert habe, habe ich das Essen der Gammelfische hinausgezögert mit Vodkashots, Zigaretten und schlechten Ausreden. «Wir brauchen doch noch Fotos von den Fischen! Nein, die Anordnung ist schlecht! Es beginnt zu regnen, komm wir brechen die Übung ab!» Genützt hat es nichts.
Auf dem Gammelfisch rumzukauen ist eine grausame Erfahrung. Es treibt den beissenden Gestank über den Gaumen von hinten in die Nase. Die Konsistenz ist weich, schleimig und doch mit etwas Biss. Runterschlucken führt unweigerlich zu Brechreiz. Ich bin seither ein neuer Mensch.
Ich bin ewig dankbar, wenn es in der Mensa verkochte Teigwaren mit Fertigbolognese gibt. Ich freue mich riesig, sollte ich von dir ein Chicken Nugget angeboten bekommen und motze nicht mehr darüber, wie scheisse das gestampfte Poulet schmeckt. Ich werde sogar meinen absoluten Hassspeisen eine Chance geben und Rühr-, Spiegel- und Dreiminutenei probieren.
Reinkarnation durch Surströmming!
Du hast es bis hierhin geschafft? Gratuliere.
Hier noch eine Message an dich:
Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell.