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Tier im Recht: Tierquälerei – das sind die häufigsten Opfer

Viele Menschen zögern beim Verdacht auf Tierquälerei. Wann und wie solltest du aktiv werden? Im Zweifel gilt: Lieber einmal zu viel als zu wenig Meldung erstatten.

Ein Supermarktparkplatz im Tessin. Es ist Sommer und ich will mir ein Eis holen. Beim Passieren eines Autos höre ich aufgeregtes Bellen und sehe einen Cocker Spaniel. Die Scheibe ist heruntergelassen und der Hund wirkt munter, doch ein ungutes Gefühl beschleicht mich. Was, wenn das Herrchen oder Frauchen zu spät zurückkehrt?

Ich bleibe stehen und warte. Minuten verstreichen, meine Nervosität steigt. Mein Blick wandert zu einem Stein in einem Blumenbeet. Nein, das kann ich doch nicht, oder? Sollte ich das Supermarkt-Personal informieren und die Person ausrufen lassen? In dem Moment nähert sich ein Mann hastigen Schrittes und beruhigt seinen Hund (und mich) mit den Worten: «Alles gut, ich hab mich doch beeilt». Ich atme auf. Doch was hätte ich im Notfall getan?

Marie-Lou Laissue, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung für das Tier im Recht, weiss Bescheid.

Marie-Lou Laissue, ist es erlaubt, ohne Einwilligung eine Autoscheibe einzuschlagen, wenn ein Hund im Sommer eingesperrt ist, oder ein Meerschweinchen aus einem zu engen Gehege zu befreien?
Das ist nur erlaubt, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dem Tier zu helfen. Die Retterin oder der Retter muss zeigen können, dass mildere Massnahmen nicht geholfen haben oder keine Zeit mehr dafür war.

Dann dürfte das Meerschweinchen nicht gerettet werden, der Hund aber schon?
Genau, ein zu enges Gehege ist keine akute Notlage. Beim Hund im Auto hängt es von der Situation ab: Wenn er nicht sofort in Gefahr ist, sollte zuerst der Haltende oder die Polizei verständigt werden. Ist der Hund jedoch bereits bewusstlos oder droht ernsthafter Schaden, darf und sollte die Scheibe sofort eingeschlagen werden.

Wie oft kommt Tierquälerei in der Schweiz vor?
Tierquälerei kommt wahrscheinlich viel häufiger vor, als gemeldet wird. Gemäss unseren neusten Zahlen gab es 2021 bloss 751 Verurteilungen. Zum Vergleich: In der Schweiz lebten damals über eine halbe Million Hunde. Trotzdem steigt die Zahl der Strafen stetig.

Wie ist das zu verstehen?
Das zeigt, dass das Tierschutzgesetz besser durchgesetzt wird.

Welche Tiere werden am häufigsten zum Opfer?
Bei den statistisch erfassten Tierschutzverstössen sind Hunde mit Abstand die häufigsten Opfer – zuletzt in 43 Prozent der Fälle. Da in der Schweiz jedoch deutlich mehr Nutztiere leben, dürften Hühner, Rinder oder Schweine am häufigsten betroffen sein.

Warum ist die Zahl der Hunde doch so hoch?
Einer der vielen Gründe ist, dass sich Hunde im öffentlichen Raum aufhalten und die Tierquälerei somit häufiger beobachtbar ist.

Was sind die häufigsten tierquälerischen Handlungen?
Die Vernachlässigung. Eine solche begeht, wer sich nicht oder unzureichend um die Bedürfnisse seines Tieres kümmert – etwa, indem er es nicht tierärztlich versorgt oder ungenügend füttert.

Gilt das nicht schon als Misshandlung?
Erst dann, sobald beim Tier eine Belastung von einer gewissen Intensität entsteht.

Die Dunkelziffer bei Nutztieren wird noch höher als bei den Haustieren geschätzt.
Die Dunkelziffer bei Nutztieren wird noch höher als bei den Haustieren geschätzt.
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Welche rechtlichen Konsequenzen drohen mir, wenn ich ein Social-Media-Video anschaue oder like, in dem Tiere gequält wurden?
Der Konsum kann eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe zur Folge haben. Dazu zählen auch Videos, die sexuelle Handlungen mit Tieren zeigen. Für das Liken oder Sharen solcher Beiträge sieht das Gesetz kein explizites Verbot vor – eine Strafe ist dennoch denkbar.

Wird einem Verdacht auch ohne Beweise wie Fotos nachgegangen?
Nur, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Daher ist es wichtig, im Vorfeld so viele Beweise wie möglich zu sammeln und diese zusammen mit der Tierschutzmeldung oder Anzeige einzureichen.

In welcher Höhe befindet sich das Strafmass für Tierquälerei ungefähr?
Theoretisch können für Tierquälereien Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren sowie Geldstrafen von bis zu 180 Tagessätzen verhängt werden. Dies wird in der Praxis aber nicht ausgeschöpft. So wurde 2021 beispielsweise lediglich eine Freiheitsstrafe ausgesprochen. Sie belief sich auf sieben Monate. Am häufigsten wurden bedingte Geldstrafen verhängt.

Das heisst, diese müssen nur gezahlt werden, wenn man sich nicht an die Bewährungsauflagen hält. Weshalb sind die Strafen nicht höher?
Viele Strafverfolgungs- und Justizbehörden messen Tierschutzdelikten nur eine untergeordnete Bedeutung bei. Dies führt oftmals zu einer lückenhaften Strafuntersuchung – und in der Folge zu unverhältnismässig tiefen Sanktionen. Ein weiterer Grund ist, dass Waffenungleichheit herrscht: Der Angeschuldigte wird häufig durch einen Anwalt vertreten, während dem geschädigten Tier kein eigentlicher Parteivertreter zur Seite steht.

Kann eine Person in der Schweiz, die sich der Tierquälerei schuldig gemacht hat, wieder Tiere halten?
In aller Regel ja. Ein Tierhalteverbot wird nur in besonders gravierenden Fällen verhängt.

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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.


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