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Schlüssel war gestern: Das Alarmschloss Abus Bordo 6500A SmartX

Die Evolution des Fahrradschlosses schreitet voran. Bei Abus heisst das: mehr Elektronik, weniger Schlüssel. Das Bordo 6500A SmartX mit Alarmfunktion, App-Steuerung und Sicherheitslevel 15 von 15 – alltagstauglich oder technischer Overkill?

Dein Velo hat vielleicht einen Akku. Dein Schloss wahrscheinlich noch nicht. Abus sieht darin die Zukunft, denn die Elektronik im Schloss eröffnet neue Möglichkeiten. Beim anhaltenden Bike-Boom sind E-Bikes und S-Pedelecs ganz vorne dabei. Bereits jedes dritte verkaufte Velo ist motorisiert und Spitzenmodelle nähern sich der Preiskategorie von Kleinwagen. Die logische Folge sind Schlagzeilen wie diese: «Diebstähle haben sich verdoppelt: E-Bike-Mafia hat es auf Schweizer Velos abgesehen». Entsprechend kommt eine Aufrüstungsspirale in Gang. Gut ausgerüstete Diebe picken sich gezielt hochwertige Modelle heraus, die wiederum mit massivem Stahl, Tracking- und Alarmfunktionen gesichert werden.

Abus hat mit dem Bordo 6500A SmartX ein neues Faltschloss im Sortiment, das speziell für diese Zielgruppe technikaffiner E-Bike-Besitzer*innen konzipiert ist. Mit 2,3 Kilogramm ist es fast so schwer wie das leichteste Velo der Welt, aber Gewicht ist in dieser Kategorie kein Killer-Kriterium. Nur Sicherheit zählt. Mit dem höchsten hauseigenen Security-Level ist es auf maximalen Schutz ausgelegt. Dafür hat es neben 5,5 Millimeter dicken Stäben ein eingebautes Alarmsystem und vor allem: keinen Schlüssel. Auch kein Zahlenschloss. Es lässt sich, je nach Modell, per App oder Fernbedienung entriegeln.

Schloss mit Vorgeschichte

Es ist ein Schloss, das in der Abus-Familie enge Verwandte hat. Mit zwei davon habe ich bereits Bekanntschaft gemacht. Los ging es mit dem Abus 6000A. Es ist nicht ganz so massiv und wird mit einem Schlüssel geöffnet, aber die Alarmfunktion ist dieselbe: Wird das Schloss bewegt, reagiert es mit schrillen Warntönen. Fummelst du weiter daran herum, ohne es öffnen zu können, löst die 100dB laute Sirene zwanzig Sekunden lang aus, bevor sie sich abschaltet und erneut scharf stellt. Das Abus 6000A ist ein gutes Schloss. Es war Testsieger im Kassensturz und konnte als einziges nicht von Lockpickern geöffnet werden. Trotzdem war ich im Alltagsgebrauch damit nicht glücklich. Beim Öffnen kam ich mir vor wie ein Sprengstoffräumkommando. Ich musste schnell sein, um das Schloss vor dem endgültigen Alarm zu öffnen, die ständigen Warntöne erregen Aufsehen.

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Ein Smart mit X

Die Lösung lag auf der Hand. Der Alarm müsste sich deaktivieren lassen, bevor ich das Schloss anfasse. Bei Abus geht das mit SmartX. Die Schlösser mit App-Anbindung brauchen keinen Schlüssel mehr. Kommst du mit deinem Smartphone in die Nähe, lässt sich das Schloss entriegeln und der Alarm wird deaktiviert. In der Theorie hat das Vorteile. In der Praxis war der Test des Modells 770A anfangs eine Katastrophe. Ich wusste bald nicht mehr, wer eigentlich spinnt: Das Schloss? Die App? Ich? Jedenfalls stand ich damit häufiger dumm da und schlussendlich stellte sich heraus, dass eine Charge fehlerhafter Schlösser im Umlauf war. Nach dem Austausch funktionierte das 770A SmartX bei mir. Aber die Episode hat demonstriert, was passiert, wenn die smarte Technik versagt: nix geht mehr. Und das ist bei einem Veloschloss ziemlich dämlich.

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Neuer Anlauf mit dem 6500A

Mit dieser Vorgeschichte nehme ich das 6500A zur Hand und schaue den witzig gemachten Retro-Spot zum Produkt, der Bock auf die Zukunft machen soll. Ein zotteliger Schnauzträger kämmt sich den Nasenflokati, bevor er sich auf sein Töffli schwingen will und verzweifelt nach dem Schlüssel seines Schlosses sucht. Subtext: So golden waren die Achtziger dann doch nicht.

Früher: Schlüssel verlegt!
Früher: Schlüssel verlegt!
Quelle: Screenshot Abus/YouTube

Da ich im Jahr 2020 mein Velo im Keller schultern musste, weil sich ein SmartX-Modell nicht mehr öffnen lies, lächle ich in dem Wissen: Ich war schon das moderne Gegenstück des Gags. Denn wenn die App spinnt oder dein Handy leer ist, wäre der gute alte Schlüssel eine wunderbare Lösung, selbst wenn du ihn fünf Minuten suchen musst. Für alle, die gerne etwas Schlüsselähnliches in der Hand haben wollen, gibt es die RC-Variante des Abus 6500A. Sie ist zwar deutlich teurer, aber ich kann mir vorstellen, dass eine Fernbedienung einigen den Aufpreis wert ist.

Heute: Akku leer! Beides doof.
Heute: Akku leer! Beides doof.

Ich darf mich bei meinem Testschloss erneut voll und ganz auf die App-Variante einlassen. Grundsätzlich mag ich die SmartX-App (iOS/Android), sie ist übersichtlich und selbsterklärend. Habe ich die mitgelieferte Keycard gescannt und mein Schloss somit angelernt, kann ich es über mein Smartphone verwalten. Das heisst, ich kann es benennen, anderen Nutzer*innen Zugriff darauf geben und auf einer Karte sehen, wo ich zuletzt mit dem Schloss verbunden war. Eine Verbindung kommt über Bluetooth zustande, wenn ich mich meinem Schloss nähere. Auf welche Distanz es sich entriegeln lässt, kann ich ebenfalls einstellen.

Mit aktivierter «Keyless»-Funktion laufe ich zu meinem Velo und berühre das Schloss leicht, woraufhin es sich sofort entriegelt. Klappt bei mir. Mit Android 11, unter freiem Himmel und bei einem aktuellen Luftdruck von 1008,9 hPa. Wer weiss, was alles eine Rolle spielt. Über die App motzen jedenfalls auch im April 2021 noch User, die nicht mit ihrem Schloss zurecht kommen und an der speziellen Kombination aus Hard- und Software verzweifeln. Wenn – wie im Video – alles zusammenspielt, ist das schlüssellose Leben dagegen ganz einfach.

Ich habe keine gravierenden Probleme mit dem Schloss, es lässt mich nie im Stich. Aber den vollen Komfort gönnt mir das 6500A nicht immer. Manchmal muss ich doch zum Smartphone greifen, wo die Meldung aufpoppt, dass ich nicht nah genug am Schloss sei, um es keyless zu öffnen.

Dann kann ich es über die App entriegeln und wundere mich, weil es zuvor auf dieselbe kurze Distanz noch funktioniert hatte. Das ist kein grosser Aufwand, aber in diesem Moment eben doch ärgerlich. Wozu lasse ich die App mit dem «robusten Keyless-Service» im Hintergrund konstant am Akku nuckeln, wenn er dann doch nur in 95 Prozent der Fälle funktioniert?

Stimmt doch gar nicht!
Stimmt doch gar nicht!

Das schlüssellose Schloss

Das Schloss selbst hat für die Alarmfunktion und Schliessmechanik ebenfalls einen Akku verbaut. Er wird dich weit seltener beschäftigen als der deines Handys. Meiner ist nach über einem Monat noch bei 90 Prozent. Der USB-C-Eingang zum Aufladen befindet sich unter einer dicken Gummiummantelung, die sich über das gesamte Kopfende wölbt und die Technik schützt. Mit Wasser-Attacken kommt die Alarmfunktion von Abus klar.

Den Akkustand kannst du der App entnehmen, dort bekommst du auch eine Warnung, wenn er zur Neige geht. Sollte er tatsächlich leer und dein Bike angeschlossen sein, musst du mit einer Powerbank anrücken und dem Schloss Starthilfe geben. Dieses Problem sollte sich in der Praxis allerdings leicht vermeiden lassen, eher brauchst du den Notstrom für dein Smartphone. Beim Laden signalisiert die grün leuchtende LED am Schloss, wenn du wieder bei 100 Prozent bist.

Unter der Abdeckung ist der USB-C-Eingang versteckt.
Unter der Abdeckung ist der USB-C-Eingang versteckt.

Eine LED gibt auch beim Schliessen und Öffnen optisches Feedback: Grünes Licht, wenn das Schloss verriegelt wird, rotes beim Entriegeln. Klingt komisch, ist aber so. Gefühlt wäre es andersrum logischer. Dazu wird der Vorgang von unterschiedlichen Signaltönen begleitet: Doppelpieps beim Öffnen, Doppelpieps in umgekehrter Tonfolge beim Schliessen, gefolgt von einem weiteren Doppelpieps, der den aktiven Überwachungsmodus signalisiert.

Das akustische Feedback würde ich gerne abschalten, was leider nicht geht. Ich sehe die LED und höre am Schliessgeräusch, was gerade passiert. Das reicht mir. Abus anscheinend nicht. Wer ein SmartX-Schloss bedient, macht zwangsläufig Lärm und muss sich an eine Reihe von schrillen Tönen gewöhnen. Nur im Transportmodus ist Ruhe: Zusammengelegt rastest es nur halb ein und lässt sich in der mitgelieferten Halterung verstauen. Dann gibt es keinen Ton von sich. Was es in meiner Abwesenheit veranstaltet hat, erfahre ich erst, wenn ich wieder in die Nähe komme. In Echtzeit benachrichtigen kann mich das 6500A SmartX nicht.

Was war denn da los?
Was war denn da los?

Vor lauter Technik und Alarm soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Faltschloss Dieben auch klassisch durch gehärteten Stahl massiven Widerstand leistet. Wie das Granit X-Plus 6500 hat es 5,5 Millimeter starke Stäbe, denen Täter schon mit gröberem Werkzeug zu Leibe rücken müssen. Da es bei Knackversuchen zusätzlich Lärm macht, dürfte es tatsächlich zu den unangenehmsten Aufgaben für Berufsverbrecher gehören.

Fazit

Natürlich ist das Abus Bordo 6500A SmartX ein Schloss, an dem sich die Geister scheiden. Aber es ist kein Spukschloss mehr, sondern funktioniert bei mir ohne grosse Ärgernisse im Alltag. Dieser Aspekt stand nach den vorherigen, teils alarmierenden Erfahrungen für mich im Fokus. Natürlich haben die Wenigsten darauf gewartet, endlich ihr Veloschloss per App zu bedienen und mit Strom zu versorgen. Aber es gibt eben auch diese Nutzergruppe, für die jeder Schlüssel weniger und jedes Sicherheitsfeature mehr ein Gewinn ist. Ich zähle mich noch nicht dazu. Wer weiss, wie es in zehn Jahren aussieht.

Was meinst du?

Abus Bordo 6500A SmartX

  • gelungene Innovation
    61%
  • technischer Overkill
    39%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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