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Serial 1 E-Bikes: Harley-Davidson macht den merkwürdigsten Produkt-Launch aller Zeiten
von Dominik Bärlocher
Harley-Davidson geht es schlecht. Damit soll im Modelljahr 2021 Schluss sein. Ein erster Einblick in die neue Marktstrategie zeigt: Es sind erst mal nicht die Modelle, die ins Auge fallen sollen, sondern der Gedanke, dass der Konzern eine Firma von Bikern für Biker ist.
Die Katze ist aus dem Sack und CEO Jochen Zeitz’ Vision für Harley-Davidson nimmt Formen an. Der Deutsche, der den uramerikanischen Patriotenkonzern führt, hat vor wenigen Minuten gezeigt, wie er seine neue alte Marke sieht.
Die Antwort: Gefühle. Der gross angekündigte Event bringt keine sensationell neuen Bikes oder gewagte Neuauflagen. Sondern er soll vor allem Sicherheit vermitteln. Harley-Davidson will dich wissen lassen, dass der Konzern von Bikern für Biker gemacht ist. Darum sind die Upgrades an den Bikes and CVOs, der Street Bob und der Fat Boy grösstenteils iterativ oder kosmetisch.
Damit du verstehst, warum 2021 so ein wichtiges Jahr für Harley-Davidson ist, musst du wissen, wie es dem Konzern, der seit fast 120 Jahren Motorräder macht, geht. In einem Wort: Schlecht.
Wenn dich das nicht interessiert, dann spring direkt weiter zum Zwischentitel «Setz dich, mach's dir bequem, fahr los».
Das Geschäft läuft nicht mehr so gut wie es sollte. Die Fahrer überaltern, die Jugend bleibt aus. Die Bikes sind teuer, das Merchandise auch. Jochen Zeitz ist erst seit wenigen Monaten CEO, ist die Nachfolge von Matt Levatich angetreten. Levatich hat mit seiner «More Roads to Harley-Davidson»-Strategie versucht, junge Lenker anzulocken. Die Street 500 und die Street Rod 750 waren Modelle, die ein junges urbanes Publikum anziehen sollten. Die LiveWire soll den Elektromarkt erobern.
Zu starkes Verlustgeschäft, fanden die Stakeholder Harleys. Levatich wurde «freiwillig gegangen», Zeitz ist gekommen und hat kurzerhand die Strategie mit dem Namen «Rewire» ins Leben gerufen. Sprich: Weltweit 500 Jobs gestrichen, wovon mindestens einer in der Schweiz, die Street-Modelle sind Geschichte, die angekündigte Street Fighter mit dem Namen Bronx kommt «später» und die Firma soll auf den Kernmarkt ausgelegt werden. Die Kernkundschaft soll bedient werden, hiess es.
Kritiker bemängeln, dass die Bedienung der Kernkundschaft, der «alten weissen Männer», kurzfristig vielleicht was bringen wird, doch jede andere Kundengruppe abschrecken könnte. Doch die «Rewire»-Operation ist abgeschlossen. Ihr folgt «Hardwire», ein Fünfjahresplan, der die Verluste der Firma eliminieren soll.
Heute haben wir zum ersten Mal etwas «Hardwire» gesehen. Gestern hat es in einem E-Mail sogar «Wir werden Geschichte schreiben» geheissen.
Am HD21 Event hat der Konzern aber weniger über die finanzielle Misslage gesprochen. Stattdessen stellt Schauspieler und Harley Brand Influencer Jason Momoa die Veranstaltung vor. Dann: Jochen Zeitz im Harley-Fleece-Pulli. Er spricht das an, was das Motorradfahren für uns Biker ausmacht, egal, ob du auf einer Harley fährst oder nicht: Freiheit, Spass, die offene Strasse, Lebensgefühl, Geschwindigkeit. Ein Motorrad gibt es gratis dazu.
Die Sendung ist nicht live, sondern eine Sendung, die voraufgezeichnet ausgestrahlt wird. Ähnlich einer Youtube-Premiere, einfach auf Harleys eigener Seite. So sind Pressekonferenzen im Jahre 2021 halt. Schade.
Die CVO wird grösser. In einem Werbeclip sind Vater und Sohn zu sehen, die auf den Schlachtschiffen Harleys sitzen und darüber philosophieren, was die Strasse ihnen gibt. Cowboyhut inklusive. Lustig: Es funktioniert. Ich meine, in meiner rechten Hand, die gerade diesen Text tippt, den Gashebel meiner Maschine zu spüren. Ich höre den Motor im Ohr. Wenn Harley etwas kann, dann Gefühle.
Die CVOs sind die Flaggschiffe des Unternehmens, heisst es. Der Schlüssel zum Erfolg der grossen Bikes sei unter anderem die Customization Options, also das, was Harley-Davidson gross gemacht hat. Du kaufst ein Bike, dann machst du es zu dem, das du haben möchtest. Dazu gehören Bauteile, Farbanstriche und allerlei nach Schnickschnack aussehendes Zeug, wie die Fussraster oder die Handgriffe, die Rückspiegel oder die Scheinwerfer. Töff-Fans wissen: Das ist wichtig und kann über Komfort, Sicherheit oder Looks des Motorrads entscheiden. Gerne hätte Harley hier mehr Zeit aufwenden können. Die farbverlaufende «Snake Venom»-Lackierung hätte gerne länger im Bild sein dürfen. Und schade, dass die Pressekonferenz virtuell ist, denn die neuen Lautsprecher aus dem Hause Rockford Fosgate hätte ich gerne in Echt gehört.
Die Modelle bleiben erhalten. Neu kommt aber die CVO Road Glide dazu. Klingt bekannt? Ja. Die Neuerungen in der Serie sind nicht nur die Anstriche – Bronze, mattes Oliv, und helles Chrom – und die neuen Räder, sondern auch ein neues Soundsystem, das dir deine Musik auf der Strasse ins Ohr spielt. Die CVO TriGlide, ein Dreirad mit Milwaukee 117 kommt in einem rot glitzernden Anstrich. «Charred Crimson» nennt Harley das.
Optisch aber gleichen die Bikes dem, was wir schon kennen. Die Überraschung bleibt aus. Noch. Das Design ist bewusst zeitlos gewählt. Das Kernpublikum, weisst du. Dafür aber verspricht Harley-Davidson, den Sound des Motors gewahrt zu haben und die Motorleistung des 114er-Motors noch weiter optimiert zu haben.
Wenn du dir eine Chopper kaufen willst und dann daran herumschrauben, dann ist die Street Bob das Bike, das du willst. Es ist reduziert auf das allernötigste, kämpft auch solid im Preis mit. Als Basismodell versteht sich. Aftermarket Parts kosten extra und das Geld, das du in deine Maschine investierst, kann nicht genug Nullen haben. Eigentlich ist die Street Bob mit dem 114er Milwaukee Eight ein Motor mit so Bitzli Töff rundherum. Versteh mich nicht falsch, sie ist cool und fährt sich super, aber nach nur wenigen Kilometern kommen dir Gedanken an Umbauten.
Das hat Harley aber nicht davon abgehalten, die Street Bob zu erneuern. Neu wird sie schwarz/orange mit dem 114er-Motor. Das war es dann auch schon mit den im Stream erwähnten Neuerungen. Denn der Stream erzählt nicht viel über Technologie und Innenleben der neuen Bikes, was sie denn genau neu macht.
Arnold Schwarzenegger hat sie in «Terminator 2: Judgment Day» zur Flucht vor dem T-1000 genutzt. Im Jahr 2021 ist die Harley-Davidson Fat Boy etwas weicher um den Scheinwerfer geworden. Sie ist zudem heller und breiter geworden. Sprich: Mehr Chrom, mehr Masse. Das Hinterrad ist 240 Millimeter breit. Ja, bitte.
Das ist also Hardwire, der Fünfjahresplan Harley-Davidsons. Altbekanntes, aktualisiert, in neuem Anstrich. So altbacken und unkreativ das auch klingen mag, die Bikes sehen gut aus. Und das Gefühl stimmt. Selbst wenn die Krise in Milwaukee noch lange nicht überstanden ist, das Programm Zeitz fühlt sich so an, als ob das was werden könnte. Es fehlt noch etwas der Biss, die Agressivität, die eine Unternehmensrettung erfordern würde, aber es fühlt sich gut an.
Ging es am Ende darum, dass Biker, Investoren und Presse sich sicher sind, dass Harley-Davidson nirgendwohin geht und die Bikes waren nur Deko und das Line-Up schon gar nicht komplett?
Denn die Gerüchte halten sich hartnäckig: Das Motorrad, das auf der Seite Harleys als «High Performance Future Custom Model» soll 2021 kommen. Nicht zuletzt, weil da «Planned for 2021» steht.
Und dann ist da noch die Harley Pan America, das Touring Bike, das definitiv kommt. Nur aber nicht in diesem ersten Stream. Zu dem Bike gibt es im Februar einen weiteren Livestream. Warum die Pan America in diesem – zugegebenermassen erfrischend kurzen – Stream kein Zuhause gefunden hat, obwohl Jochen Zeitz ständig über sie geredet hat, ist mir ein Rätsel.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.