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Serial 1 E-Bikes: Harley-Davidson macht den merkwürdigsten Produkt-Launch aller Zeiten

Sie sind da: Die Serial 1 E-Bikes, «powered by Harley-Davidson». Der lang ersehnte Produkt-Launch bringt vier Bikes und viele Fragen.

Derzeit schweben Fragezeichen über den Köpfen der E-Biker. Denn nicht nur entwickelt sich ihr Markt rasant mit besseren Motoren, besserer Akkuleistung und neuen Modellen aus allen Ecken der Auto- und Fahrradindustrie. Da sind neu auch die Serial 1 E-Bikes. «Powered by Harley-Davidson».

Daher ist der Launch der Serial 1 Bikes nicht nur eine News, sondern auch ein Lehrstück in wie ein Produktstart vielleicht nicht gemacht werden sollte.

#1: Zeig das, was du verkaufen wirst

Die Serial 1 Bikes sind vor einigen Wochen angekündigt worden, mit einem Bike, das aussieht wie frisch aus dem frühen 20. Jahrhundert. Aus der Zeit, in der William Harley, Arthur Davidson und seine Gebrüder zum ersten Mal ein Velo mit einem Motor versehen haben, da ihnen das Pedalengetrete zu anstrengend war.

Das Bike im Video hat den Bikes der Vorankündigung aus dem vergangenen Jahr so gar nicht geähnelt. Aber die weissen Reifen sind dermassen cool, dass die Entwürfe von 2019 vergessen sind.

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Auf einmal wird da nämlich ein E-Bike sein, das nicht aussieht wie alle anderen. Die weissen Reifen geben dem Bike im Strassenverkehr einen unverwechselbaren Look, die Hardtail-Konstruktion mit dem gefederten Sattel… Wow.

Dann die Vorstellung der Bikes mit den Namen Rush/CTY, Rush/CTY Step-Thru, Rush/CTY Speed und Mosh/CTY. Die sehen alle so plusminus so aus.

Das Serial 1 Mosh/CTY
Das Serial 1 Mosh/CTY

Die Enttäuschung ist gross. Kommentatoren auf Instagram reden von einem «Lockvogelangebot». Denn sie wollten das Bike mit den weissen Reifen, das aussieht, als ob es aus dem Gartenschopf der Familie Davidson kommt. Da, wo Harley und Davidson – beide übrigens Arbeiter in einer Velofabrik – damals ihr erstes «Power Cycle» gebaut haben.

#2: Mach klar, was du verkaufst

Da sind jetzt also vier E-Bikes, die an den Mann, die Frau oder alle dazwischen gebracht werden sollen. Fetzige Youtube-Videos, eines davon mit BMX-Talent Isiah Johnson, der auf dem Mosh/CTY durch die Strassen Milwaukees brettert.

Das Mosh ist das Bike, das am ehesten noch von den anderen unterschieden werden kann, denn es hat keine Gepäckträger. Die anderen Bikes sehen alle weitgehend identisch aus, haben laut Website den exakt selben Motor verbaut – einen Brose S Mag, der 90 Newtonmeter Kraft in den Teer haut – und unterscheiden sich auf den ersten Blick nur durch die Software-Limitierung der Geschwindigkeit. Die einen fahren bis zu 32 Kilometer pro Stunde schnell, die anderen bis zu 45.

Sogar die Videos der Rush Bikes sind identisch. Immer das Video mit den jungen Leuten, die sich ein Rennen leisten, um ins Büro zu kommen.

Ausser beim Rush Speed, da ist es ein Mann mit Manbun, der durch die Stadt blocht. Da ist klar: Rush Speed → Geschwindigkeit. Aber wodurch unterscheidet sich ein Rush von einem Rush Step-Thru? Denn beide Pages auf der Website zeigen dasselbe Video. Die Tech Specs gleichen sich aufs Haar. Ist es, dass das Step-Thru eher einem Damenfahrrad gleicht? Ist das alles?

Die Preise sind variabel zwischen 3500 Euro und 5000 Euro angesetzt. Wofür wer was warum bezahlt, ist nicht ganz klar.

#3: Mach deine Website fertig, bevor du etwas verkaufen willst

Harley-Davidson hat ein Problem. Also nicht nur mit den E-Bikes. Ihr Webauftritt ist so ziemlich das Beste, was das Jahr 1997 je hervorgebracht hat. Der Webshop wirkt archaisch, gekauft werden kann nur unter gewissen Umständen und die Menüführung ist gefühlt 16 Ebenen tief.

Der Index der Website serial1.com
Der Index der Website serial1.com

Serial1.com sieht auf den ersten Blick besser aus. Alle Informationen an einem Ort, alles schön gestylt und mit grossen Bildern.

Aber.

Die Website ist nicht fertig. Wenn du herausfinden möchtest, was ein Serial 1 Bike ausmacht, oder was der Unterschied zwischen Rush und Rush Step-Thru ist, dann willst du dir einen Händler suchen.

Testdaten zum Produkt-Launch sind unschön
Testdaten zum Produkt-Launch sind unschön

Pech gehabt. Die Händlersuche, also der Part, wo du tatsächlich im echten Leben dein Produkt verkaufst, ist noch mit Testdaten versehen.

#4: Mach klar, was genau dein Slogan bedeutet

Serial 1 ist eines wichtig. Die Worte «Powered by Harley-Davidson». Beim Bike mit den weissen Reifen wäre die Blutlinie klar. Die Linie vom Schopf der Davidsons bis zum Bike ist klar erkennbar. Das Problem kommt dann ins Spiel, wenn das Ding dann so aussieht wie alle anderen E-Bikes.

Das Mosh/CTY unterscheidet sich kaum vom Rest des Marktes
Das Mosh/CTY unterscheidet sich kaum vom Rest des Marktes

Dann ist das Erbe nicht ganz erkennbar. Vor allem dann nicht, wenn der Mutterkonzern noch für grosse Motoren und lautes Tuckern bekannt ist. Noch schwieriger wird es, wenn besagtes Tuckern so ikonisch ist, dass der Mutterkonzern den Sound in den 1990er-Jahren patentieren wollte.

Harley-Davidson erfindet sich derzeit gerade so mehr oder weniger neu und hat mit der Harley-Davidson LiveWire ein Elektromotorrad auf den Markt gebracht. Jeder, der sie gefahren ist, ist begeistert. Ist also der Motor der LiveWire in den E-Bikes verbaut? Nein.

Hätte auch niemand daran geglaubt: Die Harley-Davidson LiveWire hat eine loyale Fanbase.
Hätte auch niemand daran geglaubt: Die Harley-Davidson LiveWire hat eine loyale Fanbase.
Quelle: Stephanie Tresch

Was also heisst «Powered by Harley-Davidson», wenn der Look nicht da ist und sich die Technologie vom E-Motorrad-Pionier unterscheidet? Die Antwort bleibt uns Serial 1 schuldig.

#5: Schule deine Social Media Dudes und Dudettes

Selbst wenn dein Produkt ein Kuddelmuddel aus Informationen und Kommunikation ist, musst du es früher oder später der Öffentlichkeit präsentieren. Im hart umkämpften und idealistisch angehauchten Feld der E-Bikes ist zudem mit hochgehenden Emotionen zu rechnen.

Wenn du also etwas hast, das unter Umständen als «Lockvogelangebot» bezeichnet werden könnte, dann musst du als Social Media Manager davon ausgehen, dass der Vorwurf kommt. Social Media lebt von der Provokation, der Emotion und, im Firmenkontext, von «Hoffe auf das Beste, sei bereit für das Schlimmste».

Serial 1 antwortet nicht auf Kritik.

Wenn jemand sich auf Instagram oder in anderen Kommentarspalten kritisch äussert, dann kannst du entweder mit Informationen und/oder Humor kontern. Vor allem dann, wenn du auf Lob reagierst, ist die Reaktion auf Kritik Pflicht.

Es ist noch nicht ganz klar, ob und wann die Serial 1 Bikes in die Schweiz kommen werden. Der ganze Launch erinnert stark an die LiveWire. Da kommt etwas daher, auf das keiner gewartet hat, das nicht wie erhofft aussieht und ein Preisschild hat, das astronomisch hoch scheint.

Wenn sich die Geschichte wiederholt, dann dürfte das Erfolgsrezept dasselbe sein, wie beim Elektro-Töff: Setz die Leute drauf und lass sie eine Runde drehen. Denn an die LiveWire hat auch keiner geglaubt, bis sie Füdli im Sattel hatte.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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