
Produkttest
Unterwegs im Elektro-Zwerg Hitec Eco Car
von Michael Restin
Die Energica Eva Ribelle ist voll elektrisch und rasend schnell. Nach 500 Kilometern steht fest: Elektrotöffs sind gekommen, um zu bleiben.
Knallrot steht sie vor mir, die Energica Eva Ribelle. Sie ist nicht nur ein Streetfighter Bike, wie es im Buche steht, sondern nichts geringeres als die Zukunft. Denn das 100% elektrische Motorrad zeigt, dass nicht nur Dominos Pizzakuriere Freude an Elektrobikes haben können.
Die Energica Eva Ribelle macht Spass, keine Frage. Aber: Elektrobikes geben mir ganz etwas anderes, als mir das ein Benziner – sei das meine Harley oder die BMW G 310 R des Kollegen – gibt. Ist das gut? Ist das schlecht? Keine Ahnung, aber ich will beides in meinem Leben.
Bevor wir hier gross loslegen, die meistgefragten Fragen in kurzen Antworten:
Ich schwinge mich aufs Bike, der Sitz ist mit einer Höhe von 79 cm angenehm tief. Vor allem kleine Fahrer dürften daran Freude haben, denn die Ribelle ist nicht nur niedrig, sondern auch schmal. Du kannst den Tank, der kein Tank ist, angenehm zwischen deine Beine klemmen. So sitzt du stabil. Offensichtlich hat sich Energica die Massentauglichkeit aufs Banner geschrieben. Denn wo meine Street Rod auch in etwa 79 cm hoch ist, ist sie breit. Das macht es der Kollegin mit einer Körpergrösse von 160 cm schwierig, auf ihr zu sitzen und einen sicheren Stand zu haben. Auf Streetfightern ist das weniger das Problem, denn sie sind niedrig und schmal.
Wenn du zum ersten Mal aufsitzt, dann merkst du, dass du auf etwas ganz anderem sitzt als dass du es dir als Biker gewohnt bist. Obwohl die Ribelle niedrig und schlank ist, fühlt sie sich massig und stark an. Das liegt unter anderem daran, dass die Ribelle 265 Kilo wiegt. Das ist viel für ein so kleines Bike. Aber das Gewicht ist in der Fahrt etwas, das so gut verteilt ist, dass easy gutes Rennfahrer-Feeling aufkommt.
Ja, du fährst mit dem Elektrotöff tendenziell gerne zu schnell.
Die Ribelle ist im Wesentlichen ein Ducati-Monster-artiges Stahlgerüst, 330mm-Brembo-Bremsen und Öhlins-Federung, die mit Street-Fighter-Design um einen Akku geschnallt wurden. Dann noch bitzli Motor und fertig ist die 145 PS starke Elektromaschine. Okay, du hast 145 PS auf 265 Kilogramm. Das ist viel. Das ist gut. Sehr gut sogar. Zum Vergleich, rein auf das physische Format des Bikes bezogen: Die Kawasaki Z650 wiegt bei ähnlicher Sitzhöhe und ähnlicher Breite nur 187 Kilogramm, leistet dafür aber nur 68 PS. Viel Gewicht, viel Kraft. Und weil die Ribelle eine Elektromaschine ist, haut sie dir diese ganze Leistung direkt und unmittelbar in den Teer.
Die Maschine hat vier Fahrmodi: Urban, Rain, Eco und Sport. Drei davon sind anwesend, Sport ist der, den du willst. Immer. Ausser vielleicht bei Regen. Habe ich nicht ausprobiert, da ich das Bike bei über 30 Grad Aussentemperatur getestet habe.
Vom Look her macht sie wenig neu. Der Rahmen in brachialem Gerüst-Look sieht arg nach Ducati aus. Die Front erinnert eine Yamaha MT-10 oder an einen Roboter aus einem Transformers-Film. Trotz all der derivativen Design-Entscheide, das Design ist stimmig und sieht passend böse aus. Gepaart mit dem Fehlen des Motorengeräuschs zieht sie extrem viel Aufmerksamkeit auf sich.
Wenn du dich für die Fahrt mit der Energica entscheidest, dann musst du dich etwa 200 Meter lang umgewöhnen. Der erste Griff am Lenker geht zur Kupplung. Nur, dass da keine Kupplung ist. Da ist auch kein Schalthebel beim linken Fuss. Die Ribelle hat zwei Gänge: Vorwärts, stellt sich nur die Frage wie schnell. Und rückwärts, aber nur mit 2,8 km/h als Parkhilfe. Endlich ist die Zeit vorbei, an denen du dir zweimal überlegen musst, ob du am Hang wirklich vorwärts parkieren willst.
Ich drücke die Vorderbremse und den Startknopf. Ein kleines Symbol leuchtet neben dem Display auf. Ein Pfeil nach oben und das Wort «Go» darunter. Der Motor ist scharf. Wenn ich jetzt am Gashebel drehe, dann fragt die Ribelle nicht zweimal, baut keine Kraft auf. Sie fährt los. Sei also vorsichtig und schalt den Motor lieber einmal zu viel auf Stand-By.
Der Gashebel ist etwas, das du konstant bedienen musst. Du kannst nicht mehr elegant auf der Kupplung segeln. Oder mit der Motorbremse arbeiten. Oder in den hohen Gängen mal freihändig fahren, was du natürlich nie und nimmer tun solltest. Mach ich auch nie. Logisch.
Darum sind die ersten paar Meter etwas rucklig. Die Ribelle ist zwar schnell stabil bei einer Geschwindigkeit von über 4 km/h, aber sie muss sich dein Vertrauen über die ersten paar Meter hinweg erarbeiten. Genau, wie wenn du einen Tesla fährst. Irgendwie ist alles anders. Die Beschleunigung kommt schneller, der Ton ist anders und die Kraft geht schneller verloren.
Eins aber: Die Ribelle macht vom ersten Moment an Spass. Denn wenn die Entdeckungs- und Einlebephase vorbei ist, dann kannst du mit ihr so unglaublich viel Unsinn anstellen. Und mit «Unsinn» meine ich natürlich «sicheres, stilvolles und bewusstes Fahren». Logisch.
Streetfighter sind klein, aggressiv und agil. Sogar hohe Lenker werden gerne verbaut, damit du besser Wheelies machen kannst. Könntest. Darfst du natürlich nicht. Habe ich natürlich mit der Ribelle nicht ausprobiert. Logisch. Vor allem auch, da die Ribelle Traction Control verbaut hat. Gut so, denn wenn du über eine normale zweispurige Kreuzung fährst und voll beschleunigst, bist du auf der anderen Strassenseite auf 70 km/h, das Display wirft dir eine Warnung von wegen «Vorderrad hat bedrohlich wenig Strassenkontakt», was in der Regel bedeutet, dass es trotz Traction Control kurz abgehoben hat.
Sprich: Du hängst im Strassenverkehr so ziemlich alles ab, was da fährt. Das wird nie langweilig, selbst wenn dir irgendwann der Nacken etwas wehtun könnte.
Die Ribelle ist wendig und auch enge Kurven gehen locker und dynamisch. Dank des tiefen Schwerpunkts kannst du dich schön reinhängen und so in der Stadt recht wenig Platz für dich beanspruchen. Du flitzt einfach hin und her, schnell und mit einem zähnezeigenden Sinn für Humor.
Der tiefe Schwerpunkt zeigt seine Kraft dann aber auf Kurvenstrecken. Da ist der Schlieremer Wald, offiziell als «Uitikonerstrasse» bekannt. Unter Bikern ist es aber eine der schönsten Kurvenstrecken in Reichweite nach Feierabend. Die fünf Kurven bieten so ziemlich alles, was es an Kurven so gibt. Die Ribelle fliegt durch alle. Du kannst so richtig reinlehnen, sofern du einen sauberen Gaszug hinkriegst. Denn dank fehlender Kupplung musst du deine Kurventechnik leicht anpassen. Weg vom Gas vor der Kurve, aber nicht zu viel, dann in der Kurve konstant halten und dann Hebel auf sobald du das Ende der Kurve siehst. Mit etwas Übung kannst du dann die Kurven im Schlieremer Wald mit Geschwindigkeiten zwischen 70 und 80 nehmen. Dank der fehlenden Verzögerung fühlt sich das ganze recht geschmeidig und fliessend an.
Passstrassen hinaufdonnern – ohne Donner, versteht sich, denn die Ribelle heult elektrisch – ist dann auch ziemlich lässig. Die direkt umgesetzte Kraft lässt dich easy mit 60 km/h den Berg zum Restaurant Ahorn Alp hinaufklettern. Nette Randbemerkung: Als ich in der Dämmerung wieder vom Berg hinuntergekommen bin, hat sich ein Reh auf die Strasse verirrt. Ich bin dem Tier nie zu nahe gekommen, aber auf meiner Harley wäre es mir nie in den Scheinwerfer gekommen. Was für ein Erlebnis, sag ich dir.
Ich habe die Ribelle zwei Tage lang mein Bike nennen dürfen. In dieser Zeit habe ich einen steten Blick auf die Akkuanzeige. Innerorts kann ich ewig rumsurren, ausserorts wirkt das schon etwas besorgniserregender und auf der Autobahn kann ich zusehen, wie der Akku sich entleert. Trotz allem liegt laut Energica eine Reichweite von 400 Kilometer in der Stadt drin, 230 Kilometer im Mix Inner/Ausserorts und 180 Kilometer über Land. Nach zwei Tagen habe ich meinen Verbrauch hochgerechnet und komme auf aufgerundet 250 Kilometer pro Akkuladung.
Das ist für die meisten Einsätze des Bikes absolut okay, selbst wenn ich mir vom Handy her stete Sorgen mache und am liebsten bei 40% Akku einen Charger besuchen möchte. Rein emotional wäre es mir recht, wenn da mehr Charger in der Gegend herumstehen würden. Vor allem ausserhalb dem Zürcher Kuchen, denn erfahrungsgemäss ist es in der Ostschweizer Heimat schon etwas schwieriger, einen Charger zu finden.
Rorschach ist komplett Charger-frei. Im Buriet neben dem alten Polizeistützpunkt steht da einer, gegenüber der ehemaligen Disco Arena, die aufregenderweise jetzt eine Migros ist. Sonst musst du schon nach Walzenhausen oder St. Gallen.
Im Gegensatz dazu: Zürich. Charger überall. Wenn der Charger unter dem Digitec-Hauptsitz belegt ist, kann ich über die Brücke zur Socar Altstetten fahren. Oder hinten beim Mobility-Tesla laden gehen. Oder sonstwo. Das entspannt, selbst wenn logisch kein Grund besteht. Denn von meinem Büro nach Rorschach sind es via Autobahn rund 97 Kilometer, was nach Herstellerangaben rund 50% des Akkus ausmacht. Easy. Trotzdem lässt mich das nicht los.
Vielleicht legt sich das, wenn ich die Maschine länger als ein Wochenende lang hätte, wenn ich sie kenne und ihr vertraue. Bis dahin fordere ich von der Welt, dass sie den Arsch hochkriegt und mehr Charger hinstellt.
Das Motorrad selbst ist fertig entwickelt. Klar, eine nächste Version wird hoffentlich mehr Kilometer liefern und eventuell fände ich «schneller» auch gut, aber so im Wesentlichen macht der Töff einen fertigen und soliden Eindruck. Doch dann ist da die optionale App, die aktuell noch recht im Anfangsstadium zu sein scheint, aber massiv Chancen bietet. Fernwartung, Akkustandinformationen und die Darstellung von Informationen auf dem Display des Motorrads. Navigationsangaben zum Beispiel, oder wer anruft.
Doch das ist bei Energica noch Zukunftsmusik. Bis dato sind die Bluetooth-Funktionen noch arg limitiert und eigentlich brauchst du die App für eine ganz normale Fahrt über Pässe und Strassen gar nicht. Sie bietet dir noch keinen eigentlichen Mehrwert, was aber nicht heisst, dass das auf immer so bleiben wird.
Wenn die Verschlüsselung stimmt, dann steht einer Fernwartung nichts im Wege. Denn Elektromotoren sind, so die Faustregel, wartungsärmer als Benziner, da sie schlicht weniger mechanische Teile haben. Viele davon können elektrisch angesteuert werden. Das könnte dir einen Trip in die Werkstatt ersparen, besagter Werkstatt aber auch die Arbeit wegnehmen. Aber stell dir vor: Dir hauts eine Sicherung oder wasauchimmer raus. Du lässt ein Diagnoseprogramm irgendwo in der Cloud laufen, die Ribelle redet mit der App, die mit der Diagnose redet, Fehler wird erkannt und behoben. Du fährst nach Hause und alles ist gut. Das ist super, oder?
Das Wunder-Bike kommt aber nicht ohne seine Schattenseiten. Generell: Du fährst tendenziell eher zu schnell als zu langsam. Das hat zwei Gründe:
Die Ribelle ist nicht still. Sie ist zwar um ein Vielfaches leiser als meine Harley oder gar eine BMW G 310 R, die bei niedrigen Umdrehungen kaum ein Geräusch von sich gibt. Sie surrt aber. Mit der Zeit kannst du dir ein Bild vom Surren machen, wie schnell du ungefähr bist anhand der Lautstärke, der Höhe und dem Wind. Aber das ist Übungssache und braucht etwas Zeit.
Bis du diese Übung hast, gibst du viel Gas, bremst mal wieder, testest vielleicht die rekuperativen Bremsen – Spoiler: Am Ende der Passabfahrt hast du ein wenig mehr Akku als auf dem Gipfel – und fährst mal schnell in die Migros oder zum Kollegen nach dem Motto «Fahr mal eine Runde, das musst du erlebt haben».
Du kriegst Muskelkater in deiner Rechten. Und du hättest keine Möglichkeit, die Hand mal auszuschütteln oder die Hand vom Lenker zu nehmen und hängen zu lassen. Denn sobald du das Gas loslässt, verlierst du Geschwindigkeit. Energica versucht, dem mit einem Tempomaten beizukommen.
Was für ein absolut seltsames Gefühl.
Da fährt dein Bike einfach so weiter. Konstant, effortlos, ruhig. Du als Fahrer machst in diesem Moment nichts. Gar nichts. Du sitzt da und lässt dich tragen, denn du wirst den Tempomaten wohl nur dann brauchen, wenn du auf einer langen Geraden bist. Und wenn bis dahin noch nie das Gefühl des Fliegens aufgekommen ist, spätestens beim Tempomat-Fahren kommt es.
Meine Arme gehen heben sich fast von selbst. Ich will den Moment spüren. Dieses Nichts zwischen Momenten. Ich. Der Wind. Ich will fast die Augen schliessen. Und wenn du nur zwei Kilometer auf der Energica fährst, probier es aus, wenn du dich sicher genug fühlst. Es lohnt sich. Ein Wunsch für das Folgemodell: Den Knopf zur Aktivierung des Tempomaten hätte ich gerne etwa fünf Millimeter weiter rechts. Ich muss mich arg strecken um mit dem Daumen daran zu kommen.
Im Text bisher habe ich die Fragen beantwortet, die mir am meisten gestellt werden. Vielleicht noch dies: Die Hinterbremse ist extrem empfindlich. Am besten den rechten Fuss ganz vom Pedal nehmen. In der Regel folgt dann die Frage: «Steigst du um?» Sprich: Lasse ich die Harley friedlich Rost sammeln oder bleibe ich bei der Benzinschleuder.
Ich sehe nicht ganz ein, warum ich nur das eine oder das andere haben können sollte. Der Preis entscheidet vielleicht, aber dann bist du eh beim Benziner. Die Energica ist nicht günstig, aber alle haben Freude dran. Kein Lärm für die Nachbarn, keine Abgase für die Umwelt und keine Tankkosten für dich. Dafür Speed.
Aber die Energica gibt mir nicht das selbe Gefühl, wie es meine Harley tut. Die Ribelle ist frech, fordernd und zukunftsweisend. Wie kann das alles nicht sein, wenn dein Elektromotor bei 160 km/h meint «Was? Das ist alles? Komm, da geht locker mehr»? Wie kann diese rohe Leistung nicht die Zukunft sein? Vielleicht verändert sich die Akkutechnologie, oder die Motoren werden besser. Aber im Wesentlichen ist Energica eine der Marken, die erkannt haben, weshalb Elektromotorräder cool sind.
Als Gegensatz: Meine Harley mit ihrem V-Twin gibt mir innere Ruhe, Entspannung und Rhythmus. Sie hat Kraft, aber du musst sie aus ihr herauskitzeln. Sonst tuckert sie friedlich mit dir durch die Gegend, geht den Nachbarn auf den Nerv und wird von explodierenden Dinosauriersäften angetrieben.
Die Idee eines Elektrobikes aber, ist schlicht zu gut, um zu sagen «Nein, nicht ich. Niemals nicht.» Daher mein Rat: Wenn du die Gelegenheit hast, schwing dich in den Sattel einer Energica. Du wirst bestimmt Spass haben.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.