Schmecken gut, halten gesund: Küchenkräuter als Arzneimittel
Ein regelmässiger Griff ins Kräuterbeet kann dir hunderte Euro Ausgaben in der Apotheke ersparen. Das sagt Ärztin, Autorin und TV-Moderatorin Dr. Franziska Rubin im Interview. Was sie auch verrät: Wie die Kräuter-Hausapotheke wirkt und warum es zunächst oft kein Medikament benötigt.
Sie wachsen im Garten, auf dem Balkon oder auf dem Fensterbrett: Küchenkräuter. Thymian, Petersilie und Co. machen nicht nur die Küche bunter und Gerichte vielfältiger – sie sind Arzneipflanzen mit erstaunlichen Wirkungen auf dein Wohlbefinden und deine Gesundheit.
Dr. Franziska Rubin weiß das. Bevor die Ärztin durch Auftritte im deutschen TV bekannt wurde, arbeitet sie bereits im Grenzbereich zwischen Schulmedizin und Naturheilkunde und weiß: «Die Schulmedizin schießt oft mit Kanonen – und wenn ich Krieg führen muss, brauche ich das auch. Aber meistens reichen die sanfteren Hausmittel.»
In ihrem Buch «10 Kräuter gegen 100 Krankheiten» wird das Küchenfensterbrett zur Hausapotheke. Und das Essen nicht nur zum Genuss, sondern zur Gesundheitsvorsorge. Ob Harnwegsinfekt, Schlafprobleme oder Migräne: Für jedes Wehwehchen ist schon mal ein Küchenkraut gewachsen. Hier erfährst du, wie du es anwendest.
Geheimnisse aus der Natur: Jahrtausendealtes Wissen
Von Hippokrates bis zur Traditionell Chinesischen Medizin: Heilpflanzen zu verwenden, ist so alt wie die Menschheit selbst.
Die Klostermedizin unter Äbtissin Hildegard von Bingen sah bereits im europäischen Mittelalter Heilkräuter als wichtiges Arzneimittel gegen Krankheiten aller Art: Zum Beispiel verabreichte man Thymian, Baldrian und Bertram bei Husten und Schnupfen, wie in von Bingens Werk Physica nachzulesen ist.
Salutogenese: Wie sich dein Körper selbst heilt
Die moderne Schulmedizin, wie du sie heute kennst, entwickelte sich dagegen erst viel später, um das 19. Jahrhundert. Während sich hier die Pathogenese durchgesetzt hat – die Auseinandersetzung mit der Entstehung von Krankheiten –, steht in der Naturheilkunde die Salutogenese im Vordergrund: Die Auseinandersetzung mit allen Prozessen, die deine Gesundheit fördern und erhalten.
«In der Schulmedizin bekämpft man ein Symptom mit einem Wirkstoff», sagt Dr. Rubin. «Hausmittel wirken dagegen ganzheitlich – sie wirken zugleich präventiv gegen die nächste Erkrankung.» In der Salutogenese spricht man von dem Kohärenzgefühl: Gesundheit entsteht dann, wenn es Zusammenhang und Sinn im Leben gibt und man auf das eigene Leben und die eigene Gesundheit Einfluss nehmen kann. Und auch wenn das Konzept nicht neu ist, moderne Untersuchungen empfehlen Ansätze der Salutogenese, auch in die Schulmedizin fließen zu lassen.
«Der Körper ist immer bemüht, sich selbst zu heilen», sagt Rubin. «Mit Hausmitteln gebe ich Reize, die ihn dazu befähigen.» Die Selbstheilung bedeutet für deinen Körper aber immer auch einen Kraftakt. Fehlt es dem Körper an Kraft, müssen Handgriffe der Schulmedizin her: «Wenn sich mein Zustand mit Wickeln und Tees über einen Zeitraum von drei Tagen nicht verbessern lässt, dann braucht mein Körper etwas anderes: zum Beispiel ein Antibiotikum», betont Rubin.
Kräuter, die gegen Alltagsbeschwerden helfen
In vielen Fällen kannst du dir aber mit einem Griff in dein Kräuterbeet ein Medikament ersparen und langfristig deine Gesundheit auf natürlichem Weg unterstützen. Dr. Rubin empfiehlt den Anbau im eigenen Garten oder auf dem Balkon und vor allem damit zu kochen: «Kräuter bereichern nicht nur den Garten, sondern auch jedes Essen.»
Zudem rät sie, Küchenkräuter in der Gärtnerei zu kaufen. Dort ist das Sortiment vielfältiger und du findest auch ungewöhnlichere Pflanzen als im Supermarkt. Reicht die moderate Wirkdosis der Küchenkräuter nicht aus, um deine Beschwerden zu lindern, gibt es höherdosierte Kräuter-Präparate aus der Apotheke.
1. Salbei bei Halsschmerzen
Im Herbst beginnt für viele die Erkältungssaison. Anstatt monatelang auf Schmerzmittel angewiesen zu sein, kannst du es mit Salbei probieren.
Egal ob frisch oder getrocknet: Eine Untersuchung im Journal of Traditional and Complementary Medicine zu der therapeutischen Anwendung von Salbei kommt zu dem Schluss, dass das Kraut antientzündlich, antibakteriell und antioxidativ wirkt, freie Radikale reduziert und daher auch als unterstützende Behandlung bei schwerwiegenderen Krankheiten wie Alzheimer, Diabetes und Krebs in Erwägung gezogen werden kann. Als Gurgellösung oder Tee mit Honig können Entzündungen im Hals ruckzuck beruhigt werden.
Rezept zur Salbei-Gurgellösung:
- Einen gehäuften TL getrockneten Salbei oder
- Zwei gehäufte TL frischen Salbei
- mit 150 Milliliter heißem Wasser übergiessen
- zehn Minuten ziehen lassen
- je nach Bedarf so warm wie möglich als Gurgellösung verwenden.
2. Tausendsassa Thymian: Gut für die Bronchien und die Stimmung
Der schon zu Hildegard von Bingens Zeiten vielverwendete Thymian zählt zu Rubins Favoriten in der Erkältungssaison: «Thymian ist mein Favorit bei Husten, denn er entspannt die bronchiale Muskulatur. Das funktioniert als Inhalation, als Tee oder zur äußeren Anwendung als Öl.»
Außerdem reduziert der Wirkstoff Thymol oxidativen Stress und ist damit ein natürliches Anti-Aging-Mittel: «Wenn wir älter werden, haben wir mehr Zellschäden aufgrund von oxidativem Stress», sagt Dr. Rubin. «Thymian hat eine hohe antioxidative Kraft, verlangsamt die Zellalterung und erhält die Reparaturfähigkeit der Zellen.»
Außerdem wirkt Thymol krampflösend und schmerzstillend, zum Beispiel bei Menstruationsbeschwerden – und das ähnlich wie das Schmerzmittel Ibuprofen. Das zeigt eine Untersuchung im Caspian Journal of Internal Medicine.
Anwenden kannst du Thymian innerlich wie äußerlich. Als frisch gebrühter Tee, als Öl oder in deiner nächsten Mahlzeit ist er nicht nur gesund, sondern schmeckt noch dazu gut. Bei Menstruationsbeschwerden kannst du einen muskelentspannenden Thymianwickel machen:
- Frischen oder getrockneten Thymian mit 500 Milliliter kochendem Wasser übergießen
- die Mischung zehn Minuten ziehen lassen und im Anschluss über ein Handtuch gießen
- das Handtuch auswringen und möglichst warm auf den Unterbauch legen
Bei Husten und bronchialen Beschwerden wirkt der Wickel auch als Brustauflage.
3. Lavendel für einen gesunden Schlaf
Bei Schlafproblemen, Unruhe und Stress kennt die Natur ein paar Geheimzutaten. Etwa Lavendel. Vor allem Lavendelöl zeigt in Untersuchungen eine beruhigende Wirkung auf Angstzustände und den Schlaf. In anderen Studien schneidet hochdosiertes Lavendelöl sogar so gut ab wie das Medikament Lorazepam: ein Mittel, dass bei Angststörungen eingesetzt wird. Hinter dem beruhigenden Effekt steckt der Wirkstoff Silexan, aber auch die in Lavendel enthaltene Inhaltsstoffe Linalool und Linalylacetat wirken laut Expertin Rubin beruhigend auf die Gehirnaktivität.
Auch Baldrian, Melisse, Schafgabe oder Hopfen lindern Unruhe und sorgen für einen guten Schlaf. Empfehlenswert sind Teemischungen oder hochdosierte Baldrian- und Lavendel-Kapseln aus der Apotheke. Darüber hinaus kannst du Lavendel als Duft auf dein Kopfkissen sprühen oder dir zur Beruhigung vor dem Schlafengehen eine Lavendel-Brustauflage machen.
Nicht nur bei Schlafproblemen, auch bei Kopfschmerzen kann Lavendelöl helfen. Das zeigt eine iranische Studie: Wenige Tropfen auf die Brust oder unter die Nase helfen schon dabei, Kopfschmerzen zu beruhigen. Das Öl kannst du ganz einfach selbst herstellen:
- Gieße 1 Liter Mandelöl in ein Einmachglas
- Füge 40 Gramm getrocknete Lavendelblüten hinzu
- Erhitze die Öl-Mischung in einem Wasserbad für ein bis zwei Stunden (nicht kochen)
- Nimm das Öl vom Herd und stell alles zum Abkühlen auf die Seite
4. Petersilie für eine gesunde Blase und eine gesunde Verdauung
In die Verlegenheit einer unangenehmen Blasenentzündung kommen die meisten Menschen von Zeit zu Zeit. Sofern diese nicht chronisch geworden ist, verspricht das Suppenkraut Petersilie Abhilfe: Seine harntreibende Wirkung hilft, die für die Infektion verantwortlichen Escherichia-coli-Bakterien aus der Blase zu spülen.
«In der Petersilie wirkt zudem Apigenin entzündungshemmend», weiß Dr. Rubin und auch seine Wirkung gegen Krebszellen ist bekannt. Darüber hinaus wirkt Apigenin positiv auf die Darmgesundheit und das Mikrobiom. Petersilie hilft zudem Schwerverdauliches zu verarbeiten und wichtige Nährstoffe aus der Nahrung zu lösen.
Für eine fitte Blase kannst du den Petersilientee ganz einfach selbst zuhause herstellen:
- Übergieße zwei Teelöffel getrocknete Petersilie mit 150 Milliliter kochendem Wasser
- Lass die Mischung abgedeckt circa zehn 10 bis 15 Minuten ziehen
- Trinke täglich drei Tassen Petersilientee und ausreichend Wasser zur Durchspülung der Blase
5. Knoblauch und Kapuzinerkresse als natürliche Antibiotika
Gute Nachrichten für Knoblauch-Fans: Die Knolle schmeckt nicht nur gut in der Küche, sie wirkt auch im Körper gegen Viren, Bakterien und Pilze. Verantwortlich ist das darin enthaltene Allicin: Es wirkt Untersuchungen zufolge antikanzerogen, antimikrobiell und cholesterinsenkend. «Das Allicin in Knoblauch wirkt vergleichbar wie Penicillin», sagt Expertin Rubin. «Natürlich weniger potent», betont die Expertin, trotzdem sei die antibiotische Wirkung von Knoblauch erstaunlich.
Einen ähnlichen Effekt zeigt die Kapuzinerkresse: «Hier wirken die Senföle antimikrobiell. Sie wirken nicht nur gegen Bakterien, sondern unspezifisch. Das heißt, auch gegen resistente Keime.» Somit hat die Kapuzinerkresse auch dann einen Effekt, wenn sich resistente Keime gebildet haben und das herkömmliche Antibiotikum versagt.
Und apropos Senföle: Auch in Meerrettich sind sie enthalten. Bei Infektionen empfiehlt die Expertin einen Esslöffel frisch geriebenen Meerrettich mit Honig – für besonders viele Senfglykoside.
Was den Knoblauch betrifft: Er eignet sich besonders gut für den Einsatz in der Küche, für eine etwas potentere Mischung empfiehlt Dr. Rubin aber den Knoblauch-Zitronen-Trunk:
- Eine ganze Knolle Knoblauch mit dem Saft einer ganzen Zitrone und etwas Leitungswasser mixen
- Die Mischung durch ein Sieb passieren
- anschließend alles in einem Topf erhitzen, aber nicht kochen
- in eine Flasche abfüllen
«Der Trunk hält mehrere Wochen. Er hat eine keimtötende, cholesterinsenkende und sogar präbiotische Wirkungen auf die Darmflora.» Bei Infektionen kannst du jeden Morgen einen kleinen Shot davon trinken.
Du bist auf den Geschmack gekommen und interessierst dich für mehr Naturheil- und Kräuterkunde? Dann höre in den neuen Podcast der Expertin hinein: «Dr. Franziska Rubin – gibt’s da nicht auch was Natürliches?».
Titelfoto: shutterstockIch liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.