Hintergrund

Papa Papillon verleiht Schmetterlingen Flügel

Gäbe es einen Schweizer Botschafter für Sommervögel, dann wohl ihn: Marc de Roche alias «Papa Papillon». Der 79-jährige Berner ist seit 20 Jahren im Einsatz für Schmetterlinge. Das ist seine beflügelnde Geschichte.

«Bis zu den Schultern reichten meine Haare.» Marc de Roche sitzt, spitzbübisch grinsend, an einem Holztisch in seiner Wohnung in einem einstigen Berner Herrschaftshaus. In Gedanken befindet sich der 79-Jährige in der Hippiezeit. Einer Zeit, in der er ein grosser Fan von Che Guevara ist. In der er gegen den Kapitalismus und für Liebe statt Krieg kämpft.

Wir glaubten, die Welt verbessern zu können.
Marc de Roche

Aber dazu kommt Marc de Roche nicht. Die Arbeitswelt nimmt ihn ein. Er wird EDV-Spezialist, zweifacher Vater, arbeitet hart. Sein Traum von einer besseren Welt schlummert ein, in einem Kokon tief in ihm drin.

Eine Begegnung, die alles verändert

Doch dann, 2001, als die Kinder flügge sind, scheint der Kokon aufbrechen zu wollen.
Marc entdeckt auf Brennnesseln am Waldrand schwarze Räupchen. Sie erinnern ihn an seine Kindheit. «Gibt das nicht Sommervögel?», denkt er sich und nimmt ein paar nach Hause. In seinem Garten setzt er sie auf eigene Brennnesseln. Er freut sich auf die Schmetterlinge, die ihm bald um den Kopf flattern würden. Doch am nächsten Tag die Enttäuschung: Nichts regt sich.

Die Raupen sind verschwunden. Marc de Roche ist ratlos.

Ich verstand die Welt nicht mehr. Aber ich verstand Computer.
Marc de Roche

In Internetforen wird der Berner nach kurzer Zeit mit Rat überhäuft. Er ist begeistert. Jemand scheint eine Antwort auf die verschwundenen Raupen zu haben. «Die Brennnesseln stehen zu nah an der Strasse. Raupen mögen keine Abgaspartikel», schreibt ein Unbekannter. Marc de Roche ist skeptisch. Aber als Praktiker ist er keiner, der aufgibt. Also wagt er einen neuen Versuch auf Brennnesseln hinter dem Haus. Und siehe da: Die Raupen bleiben.

Marc de Roches Schwalbenschwanz-Raupen fressen eifrig an der Weinraute.
Marc de Roches Schwalbenschwanz-Raupen fressen eifrig an der Weinraute.
Haben sie ein gewisses Gewicht erreicht, verpuppen sie sich.
Haben sie ein gewisses Gewicht erreicht, verpuppen sie sich.

Die Passion nimmt Form an

Und nicht nur sie. Auch Marc de Roches Faszination bleibt. Und wächst. Wie eine hungrige Raupe verschlingt er alle Informationen, die er über Schmetterlinge finden kann. Er beginnt, Raupen in seinem Garten aufzuziehen und tauscht sich mit anderen Laien aus. Und mit Kennern. Dabei stellt er ein Manko fest: Experten erreichen mit ihrem Wissen Fachkreise, nicht aber die Öffentlichkeit.

Das stört Marc de Roche. Denn die Bevölkerung ist die, die Raupen aufziehen und dadurch etwas Konkretes gegen das Artensterben tun kann.

Es fehlt nicht an Blumen für Schmetterlinge, sondern an Futter für Raupen.
Marc de Roche

Früher wuchsen Fenchel, Rüebli und Dill in jedem Garten. Heute müssen Schwalbenschwanz-Weibchen kilometerweit fliegen, um Eier abzulegen. Das beelendet Marc de Roche. Langsam regt sich in seinem Kokon wieder der Wunsch, die Welt zu verbessern. Und dann springt die Schmetterlingspuppe auf.

Der exotische Morphofalter auf Marc de Roches Hand ist nur auf der Flügeloberseite blau.
Der exotische Morphofalter auf Marc de Roches Hand ist nur auf der Flügeloberseite blau.
Klappt er seine Flügel zu, erinnert er mit der augenähnlichen Musterung an ein Blatt. Durch das scheinbare Verschwinden und Erscheinen irritiert er Fressfeinde.
Klappt er seine Flügel zu, erinnert er mit der augenähnlichen Musterung an ein Blatt. Durch das scheinbare Verschwinden und Erscheinen irritiert er Fressfeinde.

Der Schmetterling schlüpft

2003 beginnt Marc de Roche, als «Papa Papillon» das Wissen über die Schmetterlinge an die Öffentlichkeit zu tragen. Als Botschafter der Tiere besucht er Schulklassen, hält Vorträge und berät andere Schmetterlingszüchter. «Raupenbauern», korrigiert er mich. So nennt er sie lieber, denn: «Ohne Raupe kein Schmetterling. Bei ihr fängt alles an.» Firmen wie Möbel Pfister oder Switzerland Tourismus engagieren ihn und seine Schmetterlinge für Werbefilme. Dort, an Hochzeiten und anderen Anlässen, lässt er die eleganten Flatterer in die Luft steigen.

Und auch Marc de Roches Bekanntheitsgrad steigt. Er beginnt, mit dem Papiliorama zusammenzuarbeiten und tropische Schmetterlinge für Ausstellungen zu züchten. Er erfindet einen Netzbehälter für die Raupenhaltung, das Aerarium. Und er gründet einen Verein für Hobbyzüchter, die «Swiss Butterfly Breeders». «Auf Facebook haben wir 2300 Follower», sagt Marc de Roche stolz.

Das Warten hat ein Ende

Heute, nach 20 Jahren, flattert der 79-jährige Berner nicht mehr so schnell wie einst durch die Schweiz. Er verbringt viel Zeit in seinem Garten und auf einem städtischen Grundstück, das er zusätzlich für die Aufzucht von Raupen nutzt. Auch an Vorträgen und Anlässen ist er noch zu sehen. Aber nicht mehr ständig. Nach dem Tod seiner Frau hat er beschlossen, mit der Erfüllung eigener Träume nicht zu lange zu warten. 2024 möchte er nach Andorra reisen und dort ganz spezielle Raupen und Falter erforschen.

Der Isabellaspinner ist für mich der schönste Schmetterling auf der Welt.
Marc de Roche
Marc de Roche zeigt mir in seinem Netzbehälter (Aerarium) Schmetterlingspuppen, aus denen bald Schwalbenschwänze schlüpfen werden.
Marc de Roche zeigt mir in seinem Netzbehälter (Aerarium) Schmetterlingspuppen, aus denen bald Schwalbenschwänze schlüpfen werden.

Der Schmetterling hebt ab

Auch wenn Marc de Roches Flügelschläge kleiner geworden sind: Seine Träume sind es nicht. Noch immer beteiligt er sich aktiv an Umweltprojekten, wie zum Beispiel an «Jardins Papillons». Dieses will einen Schmetterlingskorridor zwischen Biel und Kerzers schaffen. Zahlreiche private und öffentliche Gärten wurden schmetterlingsfreundlich gestaltet. Und das Projekt möchte noch höher hinaus. Im Dreiseenland soll ein riesiger Garten-Naturpark für die Sommervögel entstehen. Auch wenn Marc de Roche für manche ein Schwärmer sein mag, sein Wunsch scheint Flügel zu bekommen:

Ich glaube daran, dass wir die Welt verbessern. Zumindest im Kleinen.
Marc de Roche

Und irgendwie erinnert das wieder an den Marc de Roche aus der Hippiezeit. Und an Che Guevara, der einst sagte: «Um etwas zu tun, muss man es sehr lieben. Um etwas sehr zu lieben, muss man bis zur Verrücktheit daran glauben.»


Im nächsten Beitrag verrate ich dir, wie auch du den Schmetterlingen helfen kannst.

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Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.


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