

Kann Nivea Make-up?

Nivea lanciert nach Jahren wieder Make-up und wagt damit einen Kopfsprung ins Haifischbecken.
Als Nivea noch Make-up im Sortiment führte, war ich Fan der Twilight-Saga. Damals kaufte ich mir meinen ersten roten Lippenstift am blauen Counter. Ein kühles Rot, das auf den Lippen zu einer Katastrophe zerfloss. Ich hielt am Produkt fest. Viel mehr Auswahl gab es in meinen Teeniejahren nicht. Zumindest nicht in der Preisklasse «Taschengeld». Kurze Zeit später verschwand das Gestell und damit Niveas Make-up Sortiment. Bis heute. Die Marke versucht sich erneut an der Make-up-Sparte und wirft drei Teint-Produkte auf einen Markt, in dem sich in der Zwischenzeit so vieles verändert hat.
Nur wer den Haien das passende Futter gibt, darf auf Gnade hoffen
Der Markt ist umkämpft und Make-up ist nicht wie Omas Nivea-Creme. Es gibt kein «one size fits all». Besonders nicht bei Foundations. Die Leute haben spezifische Hautbedürfnisse und wissen, dass es auf dem Markt genug Auswahl gibt, um diesen gerecht zu werden. Nivea muss aber nicht nur eine Nische bedienen, die andere Brands vernachlässigen, sondern auch eine Mindestanforderung in Sachen Farbauswahl erfüllen. Fehlende Shaderanges werden längst nicht mehr verziehen. Schliesslich bringen es neue Player auf 30 bis 50 Shades pro Foundation. Deshalb hagelt es für etablierte Marken wie Hourglass, Tarte und Co. immer wieder berechtigte Kritik.
Die Kritiker? Eine aktive Community. Ein Beiprodukt des Social Media Zeitalters. Insta-Accounts wie Huda Beauty verzeichnen knapp 49 Millionen Follower. Das sind 49 Millionen Menschen, die sich für Make-up interessieren und eine eigene Meinung zu den Themen in dieser Bubble haben. Sie bilden eine Art Jury – Blogger*innen miteingeschlossen – die Neulancierungen miteinander vergleichen und auf Herz und Nieren prüfen. Ihr Urteil entscheidet über Fall oder Erfolg einer Marke. Und manchmal, da führt es sogar zum Boykott. Unabhängig davon, ob diese Menschen zur Zielgruppe einer Marke gehören oder nicht – wer den Community-Faktor ausser Acht lässt, verbaut sich eine massive Chance.
Die Produkte im Test
Die Massstäbe für einen Wiedereinstieg ins Make-up-Geschäft hätten wir damit gesetzt. Zeit, Niveas drei Neulancierungen auszuprobieren. Und die haben alle dasselbe Motto: Pflege triff Make-up. Der Ansatz ist nicht neu, aber auch nicht ganz so ausgelutscht wie so manch andere Nische.
Foundation
Das «Hyaluron Cellular Filler 3-in-1 Pflege Make-up» kommt der klassischen Foundation am nächsten. Sie ist laut Nivea unparfümiert, enthält Hyaluronsäure und versorgt die Haut gemäss Verpackungsangaben 12 Stunden lang mit Feuchtigkeit.

Erster Eindruck:
Drei Nuancen stellt Nivea mir zur Auswahl. Drei! Light, Medium und Dark. Das ist unterirdisch und weit vom aktuellen Standard entfernt. Generell gilt: Je deckender eine Foundation ist, desto genauer musst du deinen Hautton treffen. Und diese Foundation hat eine solide mittlere Deckkraft. Da sind drei Nuancen unverzeihlich.
Für den Test versuche ich mich an der «01 Light». Diese ist jedoch nicht nur eine Spur zu hell für mich, sondern besitzt auch einen rosa Unterton. Ich bräuchte einen gelben. Aufgetragen habe ich das Make-up mit einem feuchten Schwamm und bin positiv vom seidigen Finish überrascht. Die Poren wirken geglättet, mein Teint leuchtet gesund. Auch nach vier Stunden sieht das Hautbild makellos aus.

Cushion-Make-up
Das «3-in-1 Pflege Getöntes Fluid-Kissen» soll der Haut eine natürliche Tönung verleihen und beinhaltet einen Lichtschutzfaktor von 15.

Erster Eindruck:
Leider bewegen wir uns auch hier im traurigen Rahmen von drei Farben. Mit einem Unterschied: Was hier als «Light» betitelt wird, ist etwa fünf Nuancen dunkler als das, was die Foundation oben als hell bezeichnet. Einheitlich ist anders. Bevor ich das Produkt auftrage, drücke ich meinen Finger ins Schwämmchen. Bisher war keiner meiner Cushion-Foundations so nass. Im Deckel hat sich eine gelblich-durchsichtige Flüssigkeit angesammelt. Auf meinem Finger als auch auf den Swatches zeichnet sich eine Separation von Pflege und Pigment ab. Ich trage das Produkt mit einem Make-up-Schwamm auf. Auch in meinem Gesicht macht sich ein weisser Schleier bemerkbar.
Die Deckkraft ist leichter als die des Pflege-Make-ups oben. Dennoch fühlt sich das Produkt auf der Haut deutlich schwerer an. Ähnlich wie bei einer reichhaltigen Sonnencreme. Bereits nach zwei Stunden sieht meine Haut speckig und gefleckt aus. Ausserdem bin ich selbst nach dem Abpudern klebrig wie eine Fliegenfalle.

BB Cream
Die «5-in-1 BB Day Cream» spendet laut Hersteller 24 Stunden Feuchtigkeit, glättet das Hautbild, deckt kleine Makel ab und verleiht einen natürlich strahlenden Teint. Sie enthält Lichtschutzfaktor 20, Jojobaöl und Mineralpigmente.

Erster Eindruck:
BB Creams sind nicht deckend. Das bedeutet, dass Hersteller sie für gewöhnlich in einer kleineren Farbpalette herausbringen, da eine Farbe oft für mehrere Hautfarben funktionieren kann. Für Nivea einmal mehr Anlass genug, um ihre Hausaufgaben halbbatzig zu machen. Zwei Shades haben es ins Regal geschafft. Schade, denn das Produkt hat sonst alles, was ich mir von einer BB Cream wünsche.
Ich trage das Produkt mit einem Pinsel auf, um die grösstmögliche Deckkraft herauszuholen. Der schluckt weniger Produkt als ein Schwamm. Das Ergebnis? Sieht aus wie meine Haut, nur besser. Das Finish ist natürlich und meine Haut leuchtet geradezu. Mein Teint ist eben und die Feuchtigkeit darin leistet ganze Arbeit: Die Creme fühlt sich kühl und nass an. So nass, dass ich für die zweite Gesichtshälfte sogar einen zweiten Pinsel benötige, um eine ebenmässige Applikation zu gewährleisten. Zum Vergleich: Bei Foundations kann ich denselben Pinsel bis zu fünfmal verwenden, bis sich die Haare verkleben.
Leider oxidiert das Produkt auf meiner Haut. Das heisst, dass die Farbe, sobald sie mit Luft in Kontakt kommt, nachdunkelt. Für mich bedeutet das, dass die ohnehin zu dunkle BB Cream nun noch weniger zu meinem Hautton passt. Dabei wäre sie gerade für sehr trockene Haut eine hervorragende Wahl. Ölige Hauttypen lassen lieber die Finger davon.

Fazit: Ein gefundenes Fressen für die Haie
Ich bin beeindruckt und stark enttäuscht zugleich. Nivea weiss ihr Knowhow in Sachen Pflege einzusetzen. Die Foundation und die BB Cream haben mich überzeugt. Doch die Schwächen in der Produktpalette wiegen schwer. Zwei bis drei Nuancen pro Produkt? Mit so einer beschränkten Farbauswahl hatte ich es seit den 00er-Jahren nicht mehr zu tun. Es fehlen nicht nur mehrere Farbstufen auf beiden Seiten des Spektrums, sondern auch der Feinschliff über die passenden Untertöne. Ein K. O.-Kriterium, das dem Sprung ins Make-up-Bassin im Weg stehen dürfte. Es scheint mir, als hätte Nivea den Markt die vergangenen Jahre mit Scheuklappen beobachtet. Oder wieso hatten sie Inklusion als eines der grössten Themen in der Make-up-Welt nicht auf dem Schirm?
Niveas Zielgruppe scheint lediglich ihre langjährige Kundschaft zu sein, die es übersichtlich mag und immer an den gleichen Strand fährt. Aber wieso nicht breiter fischen? Das Zeug dafür hätten zumindest zwei der drei Produkte gehabt. Stattdessen planscht Nivea lieber im seichten Wasser. Aber Vorsicht, auch da beissen Haie gerne mal zu.


Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich.