
Ratgeber
Fürs Erste-Hilfe-Set muss im Rucksack immer Platz sein
von Oliver Fischer
Man erkennt sie an ihren dicken Rucksäcken, aus denen sie bald dieses, bald jenes Päckchen voller Verbandsmaterial oder Werkzeug zaubern, um sich und anderen das Leben zu erleichtern: die EDC-Nerds. Ich bin einer von ihnen.
Das Leben ist voller Tücken: Ein Schnürsenkel reisst, die Velokette springt raus, ein Blitzschlag zerstört alle elektronischen Daten zuhause, die Begleitung bekommt ihre Tage früher als erwartet, irgendwo muss eine Schraube angezogen werden, das Kind schürft sich das Knie auf, oder jemand verletzt sich ernsthaft. Und dann steht man blöd da und kann nichts tun, weil man nicht richtig ausgerüstet ist.
Es sei denn, man ist ein EDC-Nerd – für «Every day carry», also Alltagsausrüstung. Wir EDC-Nerds haben immer alles dabei, was wir brauchen könnten. Mit diesem Konjunktiv unterscheiden wir uns von Menschen, die nur Dinge mitführen, die sie im Alltag tatsächlich brauchen – und dann eine arterielle Blutung erfolglos mit Papiertaschentüchern zu stoppen versuchen, weil sie kein Tourniquet dabeihaben.
Zugegeben, arterielle Blutungen kommen in Friedenszeiten eher selten vor. Aber sie könnten vorkommen, und als ehemaliger Sanitätssoldat verfüge ich über das Wissen, wie ihnen beizukommen ist, sowie über das nötige Material. Im Militär hat mein EDC-Fimmel übrigens auch seinen Ursprung: Damals hiess die Ausrüstung, die man jederzeit «auf Mann» zu tragen hatte, «Sackbefehl» und bestand aus Kugelschreiber, Offiziersmesser, Verbandpatrone und Gummihandschuhen – ein Konglomerat, dessen Sinnhaftigkeit mich so überzeugte, dass ich es «ins Zivile» übernahm und immer mehr ausbaute.
Erst war mein EDC-Kit nur ein kleiner Verbandkasten, den ich immer wieder mal einsetzen musste; zum Glück nur bei geringfügigen Verletzungen, aber man weiss ja nie (das Motto der EDC-Nerds). Mit den Jahren sind zahlreiche weitere Dinge dazugekommen – mittlerweile gehe ich konsequent mit einem Rucksack aus dem Haus, den ich liebevoll «Rucki» nenne und der nebst Taschenlampe, Offiziersmesser, Kugelschreiber, Notizbuch und Desinfektionsmittel (immer schon, da Ex-Sani) mehrere «Packs» enthält:
1. Pack «Alltag»
2. Pack «Tools»
3. Pack «Erste Hilfe klein»
4. Pack «Erste Hilfe akut»
5. Pack «Hygiene»
EDC ist nicht nur eine Ausrüstung. Es ist eine Haltung, die man als vorausschauenden Realismus bezeichnen könnte: Man ist sich bewusst, dass ziemlich sicher nichts passiert, aber jederzeit etwas passieren könnte. Ein alter Freund von mir ist Notarzt und regelmässig bei der Luftrettung tätig. Er sagte einmal: «Weisst du, die Leute gehen am Morgen aus dem Haus und glauben, es werde ein Tag wie jeder andere, und am Nachmittag liegen sie bei mir im Helikopter.»
Der EDC-Nerd hat keinen derart drastischen Alltag. Das Ungemach, mit dem er zu tun hat, ist kaum je lebensbedrohlich. Er ist auch kein «Prepper», der sich für eine nukleare Zombie-Apokalypse vorbereitet – das wäre ja eben nicht «every day». Aber dank seiner Ausrüstung kann er im Bedarfsfall dafür sorgen, dass der Verlust von Daten, Blut und Nerven geringer ausfällt. Er weiss, dass er sich und anderen jederzeit helfen kann. Dieses Wissen hat bei mir ein Empfinden von umfassender Geborgenheit erzeugt, das mittlerweile sogar auf andere abstrahlt: Mein Umfeld weiss, dass mein Rucksack für viele Probleme eine Lösung bereithält.
Der einzige Nachteil: Wenn ich einkaufen gehe, passt kaum was in Rucki hinein, so prall ist er. Aber ich wäre kein echter EDC-Nerd, hätte ich nicht stets eine gefaltete Einkaufstausche mit dabei!
Bist du auch ein EDC-Nerd? Was hast du alles immer dabei? Schreib es in die Kommentare!
Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch.