
Hintergrund
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von Ann-Kathrin Schäfer
Unsere Städte wachsen und mit ihnen ihre Einwohnerzahl. Aber braucht es deshalb auch neue Anbauformen für unsere Lebensmittel wie Vertical Farming? Lass mich dir mehr erzählen über den vertikalen Anbau – und was du als Konsument davon hast.
In Zürich mag es kühl, grau und ungemütlich sein – aber in dem Container des Startups Yasai sprießt das Dolce Vita Italiens. Hunderte kleine Basilikumköpfe strecken sich den LEDs entgegen, Millimeter für Millimeter, Etage für Etage. Die Rede ist von einer Vertical Farm, einem Anbausystem in der Senkrechten
Das Vertical Farming wird als mögliche Antwort auf eine der brennenden Fragen unserer Zeit gehandelt: Wie können acht Milliarden Menschen nachhaltig ernährt werden? Kann der hohe Bedarf durch den klassischen Anbau auf dem Feld in Zeiten von Dürre und Starkregen überhaupt noch gedeckt werden?
Aktuell leben 4,4 Milliarden Menschen weltweit in Städten. Das sind 56 Prozent der Weltbevölkerung mit starker Wachstumstendenz. So werden 2050 bereits 6 Milliarden Menschen in urbanen Räumen leben, prognostiziert die Weltbank. «In der Stadtplanung der Zukunft sollten Vertical Farms auf jeden Fall berücksichtigt werden», sagt Eldrid Funck vom Schweizer Startup Yasai. «Nur so können sie in Zukunft nachhaltig funktionieren.»
Und tatsächlich zeigt der Blick zum Beispiel nach Österreich einen beginnenden Wandel: Große Händler wie die REWE Group zeigen sich zunehmend interessiert und schließen sich der Vision des Vertical Farmings an. Zum Beispiel mit dem Pilotprojekt einer Vertical Farm für den Lebensmitteleinzelhändler «Billa». Seit Sommer 2022 wird heimischer Salat in Containern angebaut – mitten in der Stadt, frisch und vertikal.
Vertikales Pionierprojekt der Schweiz ist Yasai. Seit 2020 setzen sie sich, gemeinsam mit der Agrargenossenschaft Fenaco, für nachhaltige Landwirtschaft im städtischen Raum ein.
Anders als im Gewächshaus werden die Anbauflächen in Vertical Farms gestapelt. Dadurch ergibt sich eine große Chance für die Lebensmittelproduktion in Städten, wo Platz eine stark umworbene Ressource ist. «Das vertikale System ermöglicht einen höheren Ertrag um das bis zu 200-fache pro Quadratmeter», sagt Funck. Bei Yasai wird Basilikum in 15 Etagen angebaut – und das sei nur eine «Test-Farm», erklärt die Expertin.
Diese 15 Etagen sind eingebettet in ein hydroponisches System: Die Pflanzen benötigen keine Erde, sondern werden in Nährlösungen auf Wasserbasis gezogen. Das Sickerwasser wird aufgefangen, zurück in den Kreislauf geleitet und wiederverwendet. «So haben wir einen um 95 Prozent reduzierten Wasserverbrauch in unserer Farm.» Zu guter Letzt kann in Vertical Farms das ganze Jahr über lokal und ressourcenschonend produziert werden – und zwar dort, wo in Zukunft hauptsächlich konsumiert wird: in Städten. Das stellt Vertical Farms aber auch vor große Herausforderungen. Ganzjährige Indoor-Produktion bedeutet vor allem eines: hohe Betriebskosten.
Vertical Farming hat einen entscheidenden Nachteil: den hohen Energieverbrauch. Das liegt an der ganzjährigen künstlichen Beleuchtung. Einem Bericht zufolge benötigen Vertical Farms 38,8 Kilowattstunden Energie pro Kilogramm Ernte. Wohingegen dieselbe Erntemenge in einem Gewächshaus – mit natürlichem Sonnenlicht – lediglich 5,4 Kilowattstunden Energie benötigt. Um Produkte aus Vertical Farms als nachhaltige Alternative anbieten zu können, braucht es demnach vor allem eines: erneuerbare Energien. Yasai setzt von Anfang an auf 100 Prozent Wasserkraft – eine weitere Herausforderung, denn: «Die Entscheidung war anfangs mit höheren Kosten verbunden.»
Die hohen Betriebskosten sind ein Grund dafür, weshalb Produkte aus Vertical Farms noch nicht in den Mainstream gefunden haben. Für Betreiber bedeutet der Aufbau einer solchen Farm eine große Investition: «Vertical Farms sind kapitalintensiv und auch um größer und rentabel zu werden, braucht es hohe Investitionen.» Doch viele Endkonsumentinnen und -konsumenten seien nicht dazu bereit, die Mehrkosten der teuren Produktion zu tragen. Aber gibt es denn Gründe, warum du dich vor dem Supermarktregal trotzdem für Produkte aus Vertical Farms entscheiden solltest?
Lokale Produktion, wenig Ressourceneinsatz, platzsparender Anbau – alles schön und gut. Wenn du ehrlich bist, bestimmt vieles dein Konsumverhalten, aber nur selten die Moral. Preis und Geschmack beispielsweise entscheiden häufiger über den Kauf von Lebensmitteln als Ideologie. Da gibt es gute Nachrichten für Vertical-Farming-Enthusiasten, denn hier angebaute Lebensmittel schmecken besser. Das liegt an der idealen Nährstoffversorgung, die in der Vertical Farm eher als auf dem Feld oder im Gewächshaus gewährleistet werden kann.
«Auf dem Feld kann der Boden ausgelaugt sein, es kann in einem Jahr zu wenig und im nächsten zu viel regnen», sagt Eldrid Funck. «Diesen Schwankungen sind wir in der Vertical Farm nicht ausgesetzt. Hier können die idealen Wachstumsbedingungen simuliert werden.» Auch viele Studien beschäftigen sich mit der Frage, inwiefern Umwelteinflüsse den Geschmack von Lebensmitteln beeinflussen. Ein Bericht in RSC Advances etwa untersuchte den Einfluss von Hitze, pH-Wert, Sauerstoff und Licht auf den Geschmack von Wassermelonensaft. Die Autorinnen und Autoren kommen zu dem Schluss: «Die untersuchten Umwelteinflüsse haben einen signifikanten Einfluss auf Farbe […] und Geschmack.» Am einflussreichsten ist den Ergebnissen zufolge die Versorgung mit Licht.
Um in der traditionellen Landwirtschaft – auf dem Feld oder im Gewächshaus – Ernteausfälle zu vermeiden, kommen standardmäßig Chemikalien zum Einsatz. Sogenannte Pestizide sollen die Saaten vor Schädlings- und Krankheitsbefall bewahren und so Ernteausfälle reduzieren. Pestizide gehen mit einem massiven Verlust der Artenvielfalt einher und landen nicht zuletzt auch im Grundwasser und auf den Tellern der Endverbraucher und Endverbraucherinnen. In der Schweiz werden dem WWF zufolge 2000 Tonnen Pestizide im Jahr versprüht. Die Folge: 2019 konnten an fast allen Frucht- und Gemüsesorten toxische Rückstände festgestellt werden.
In Vertical Farms lässt sich dieses Problem einfach vermeiden: Pflanzen sind keinen schwankenden Umwelteinflüssen ausgesetzt und es werden keine Schädlinge (Viren, Pilze, Insekten oder Mikroorganismen) eingetragen, gegen die dann Pestizide eingesetzt werden müssten. Ausserdem wachsen sie in einem idealen Nährstoff-Cocktail wachsen. Das mache Produkte aus der Vertical Farm sogar zum natürlicheren Produkt, sagt Expertin Funck: «Ja, die Pflanzen einer Vertical Farm wachsen in einer künstlichen Umgebung. Aber sie bekommen alles, was sie für ihr Wachstum brauchen und werden nicht mit Chemie besprüht, die letztendlich in die Umwelt und den menschlichen Körper gelangt.»
Ein großer Teil unserer Lebensmittel wird von weither importiert. Das führt in logischer Konsequenz dazu, dass Lebensmittel weniger frisch in den Zielländern und bei Konsumentinnen und Konsumenten ankommen. «Bei langen Transportwegen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Lebensmittel beschädigt oder weniger frisch geliefert werden», bestätigt die Expertin.
Ein anscheinend wenig überzeugendes Argument, denn Lebensmittelimporte in die Schweiz haben sich trotzdem in den letzten 25 Jahren beinahe verdoppelt. Nicht nur die Lebensmittel selbst leiden unter den langen Lieferwegen, auch die Umwelt wird dadurch stark belastet. Einer Studie zufolge machen weltweite «Food Miles» rund 20 Prozent der Emissionen aus Ernährungssystemen aus.
Ein Ziel des Vertical Farming ist es, dort zu produzieren, wo konsumiert wird. So könnten Lebensmittel reif geerntet und frisch verkauft und verzehrt werden, ohne dabei die Umwelt zu belasten, so Funck: «Wir haben hier ganz bewusst einen Anfahrtsweg von der Farm ins Verteilerzentrum von nur zehn Minuten. So büßen unsere Produkte nichts an Frische ein.»
Eine große Herausforderung des vertikalen Anbaus ist die Rentabilität: Viele Saaten lohnen sich weder finanziell, noch können sie in hydroponischen Systemen angebaut werden – darunter Weizen, Kartoffeln oder Soja für die Futtermittelproduktion. Stattdessen, so die Expertin, werde gerade viel mit Salaten, Kräutern und Heilpflanzen experimentiert. «Ziel ist es in Zukunft, die Produktion möglichst effizient zu gestalten. So können wir auch Kulturen anpflanzen, die sich finanziell aktuell noch nicht tragen.»
Vertical Farming kann den traditionellen Anbau aktuell noch nicht ablösen (und ist auch noch nicht die Lösung, um die zukünftige Weltbevölkerung zu ernähren). «Wir sehen Vertical Farming als essenziellen Baustein, das Ernährungssystem zu vervollständigen. Das Ziel ist nicht, eine Konkurrenz für die heimische Produktion darzustellen, sondern diese zu ergänzen.»
Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.