
Hintergrund
Wir müssen schon wieder reden, Thermomix
von Luca Fontana
Erst hat er Zürich mit der Skate-Szene überrumpelt. Später standen die Städte Schlange, um Teil der Bewegung zu werden. Mit dem «Monday Night Skate» hat Jürg Hauser vor bald 20 Jahren etwas weit Grösseres ins Rollen gebracht als ursprünglich gedacht.
«Die sind aber geil», sagt Jürg Hauser, als er meine zerfledderten Rollschuhe aus den 90ern sieht. Seine Skates haben auch schon eine gute Patina und bestimmt 15 Jahre auf dem Buckel. Das passt, denn es geht um einen Rückblick. Jürg ist der Mann, der vor bald 20 Jahren mit dem «Monday Night Skate» eine Bewegung ins Rollen gebracht hat, die auch in unserem TV-Spot auftaucht. Heute, mit 49, kommt er aus einer Art Skate-Sabbatical. Seit 2017 ist er nicht mehr der Organisator des Events, in den vergangenen Monaten standen andere Dinge im Vordergrund und die Skates in der Ecke. Wir drehen gemeinsam ein paar Runden auf dem Zürcher Turbinenplatz, während mein Kollege Alessandro Thüler Fotos schiesst. Jürgs Bewegungen werden schnell geschmeidiger, das Lächeln breiter, die Sonne strahlt auch. Perfekte Bedingungen, um in Erinnerungen zu schwelgen.
Ende der 90er gehörtest du zur Skater-Szene, die sich jeden Montagabend am Bürkliplatz getroffen hat. Wie lief das ab?
Jürg Hauser: Wir waren vielleicht 15 Leute, alles wirklich gute Skater, und sind damals einfach los durch die Stadt. Wenn einer «rechts!», «links!» oder «die Treppe runter!» gerufen hat, dann haben wir das gemacht. Es war wild, aber gut.
Und längst noch keine Massenveranstaltung. Wie kamst du auf die Idee, das zu ändern und ein Event für alle zu organisieren?
Ab und zu habe ich Kollegen mitgenommen, die nicht zur Szene gehörten und nicht ganz so gut fuhren. Die haben hinterher gesagt: «Einmal und nie wieder, das geht gar nicht!» Es war ihnen zu extrem und ich fand das irgendwie schade. Aus New York kannte ich organisierte Skate-Events, bei denen die Route vorgegeben war. Da habe ich gedacht: also gut, machen wir das!
Das ist einfach gesagt. Aber ihr habt es auch einfach getan und ohne Abmachungen mit der Stadt losgelegt.
An solche Sachen denkst du in diesem Moment ehrlich gesagt nicht. Du gehst einfach los, die Strassen gehören doch uns. Wobei wir am Anfang viel auf dem Trottoir gefahren sind. Aber wir wurden immer mehr und kamen nicht mehr so unbeobachtet durch die Stadt.
(Holt einen Zettel aus der Tasche und liest vor:)
«Besucherrekord mit über 160 Skatern!»
Das war 1999. Da waren wir noch illegal unterwegs und die Polizei hat gesagt: Das geht nicht. Ihr müsst eine Bewilligung haben.
Und? Gab es die?
Wir wollten natürlich viel fahren, eigentlich jeden Montag. Und die Stadt hat uns maximal vier Termine pro Jahr angeboten. Den ganzen Winter durch hatten wir Sitzungen, haben diskutiert und Lösungen gesucht. Aber am 1. Mai 2000 fand der erste Night Skate der Saison wieder inoffiziell statt, weil wir uns mit der Stadt nicht gefunden hatten. Die Ansage war: «Wenn ihr das macht, verhaften wir euch.»
Eine reizvolle Ausgangslage...
Natürlich! Und wir waren vorbereitet. Wir hatten Fotografen und alles. Wenn sie wirklich gekommen wären und 100 Skater eingesperrt hätten, wäre das die beste Publicity gewesen. Stell dir vor! Dann wären wir überall in der Presse gewesen. Wir hatten fast gehofft, dass es passiert. Aber ist es natürlich nicht.
Die Stadt hat das einfach mit sich machen lassen?
Sie konnten uns sowieso nicht kontrollieren. Deshalb haben wir schon darauf spekuliert, dass es ihnen lieber ist, wenn sie wissen, wer es macht und ihr Ansprechpartner ist. Zwei Wochen später hatten wir die Bewilligung.
War das der Moment, in dem du gedacht hast: «Das wird richtig gross»?
Wir haben gedacht, mit unseren 160 Teilnehmern sind wir schon gross. Und dass ein paar Hundert cool wären. Aber dass es dann so gross wird… nein. Das war nicht absehbar und wirklich dem Zeitgeist zu verdanken, dass sich das so ergeben hat.
Es hat sich so ergeben? Ein bisschen Understatement ist schon dabei, wenn Jürg erzählt. Seine Art ist von Grund auf sympathisch, das Wort «Ich» nimmt er in unserem Gespräch kaum in den Mund. Er ist nicht gekommen, um sein Ego zu streicheln, sagt «du hast es einfach gemacht», betont das «Wir» und die günstigen Umstände. Aber auch dann braucht es noch jemanden, der die nötige Dynamik erzeugt und eine Sache gross macht. Einen Das-Glas-ist-halb-voll-Typ, der die Möglichkeiten sieht und gleichzeitig Macher-Qualitäten hat. Jürg war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Du wurdest Präsident des Vereins «NightSkate», den ihr für die Bewilligung gründen musstet. Was kam an Arbeit auf euch zu?
Wir waren zu sechst und grundsätzlich war es ein Spass. Du hast sowieso in dieser Skate-Welt gelebt, da machst du das gerne mit. Eine grosse Aufgabe war zum Beispiel, vor der Saison die Routen zu definieren. Wir sind sie selber abgefahren und haben sie mit der Stadt angeschaut. Dann hiess es vielleicht: «Nein, geht nicht. Da reissen wir die Strasse auf.» Und wir mussten wieder umplanen. Aber wenn die Planung mal steht, dann rollt es.
Was war das für ein Moment, als ihr das erste Mal auf abgesperrten Strassen und von der Polizei begleitet unterwegs sein konntet?
Wenn du ein Skater aus der Szene bist und aufs Mal kommt die Polizei wegen dir, um für deine Sicherheit zu sorgen… schon cool! Aber wir mussten ja einen Kompromiss eingehen. Eigentlich wollten wir jeden Montag fahren. Dass es nur jeder zweite wurde, war am Anfang die Kröte, die wir schlucken mussten. Im Nachhinein ist es so viel besser. Wir konnten durchschnaufen und es gab keinen Overkill.
Wer Montagabend durch die Strassen skaten wollte, konnte das bald nicht mehr nur in Zürich. Zunächst kam das Berner Sportamt auf die Night-Skate-Macher zu, dann zeigte Winterthur Interesse. In den Jahren darauf wollte jede grössere Stadt dabei sein, bis 2005 folgten Basel, Luzern, St. Gallen, Aarau, Baden, Biel, Chur, Genf und Zug. Es war der Siegeszug einer Idee, die auch Jürgs Lebensplanung auf den Kopf stellte. Eigentlich wollte er seine IT-Firma abwickeln und sich ein Jahr Auszeit gönnen. «Mit der IT war ich durch, das war mir viel zu unpersönlich», erinnert er sich. Stattdessen widmete er sich der Professionalisierung des Night Skate, kümmerte sich um das nationale Sponsoring und brachte das Kommunikationskonzept voran. Da die Dinge gerade so schön in Bewegung waren, liess er sich gerne mitreissen und fand als selbständiger Event- und Marketingmanager seine Bestimmung.
Gab es einen Moment, in dem du das Gefühl hattest, dass dir alles über den Kopf wächst?
Das nicht. Aber es kamen andere Aufgaben dazu und dann merkst du, dass der Spass ein wenig vorbei ist. Den ersten Flyer haben wir noch in Word entworfen und einfach ausgedruckt. Auf einmal musst du richtig Werbung machen. Und wenn es ums Geld geht, dann wird es halt ernst. Uns im Team waren zwei Sachen wichtig: Die Teilnahme am Night Skate ist kostenlos und wir müssen Freude daran haben. Gegen Ende der Saison wurde es immer streng. Aber wir haben es gemeinsam geschafft, den Spass zu bewahren.
Welche Momente haben für besonders viel Spass gesorgt? Wo so viele Menschen zusammenkommen, entstehen bestimmt jede Menge schöne Geschichten.
Wir haben zum Beispiel von einem Night-Skate-Pärli gehört, das sein erstes Kind bekam. Da denkst du schon: Wahnsinn, was aus dieser Idee alles entstanden ist. Aber grundsätzlich war jeder Montag für sich einzigartig. Zu Spitzenzeiten hatten wir in Zürich 8600 Teilnehmer. Das ist unglaublich, so viele Leute weg von der Couch und auf die Strasse zu bringen. Und diese Möglichkeit hatten sie, weil wir das organisiert haben. Das ist mir am meisten geblieben und hat mich jedes Mal wieder fasziniert. Jedes Mal. Es war surreal.
Wie im falschen Film fühlen sich manchmal die Autofahrer, wenn für den Night Skate die Strassen blockiert sind. Im aktuellen Galaxus-Spot verzweifelt einer fast an den Skatern. Eine realistische Szene?
Das im Spot ist ja noch harmlos. Als wir über 8000 Teilnehmer hatten, waren die Kreuzungen etwa 40 Minuten zu. Ich kann nachvollziehen, dass das der eine oder andere Autofahrer nicht so lässig fand. Handgreiflich wurde zum Glück nie jemand. Aber fast. Wir hatten auch immer Polizisten auf Inline Skates, die hinten mitgefahren sind und eingreifen konnten, wenn Autofahrer blöd getan haben. Die «Skating Police» wurde extra dafür gegründet und kam bei den Leuten super an. Die gibt es heute noch.
Es ist aber auch ein schönes Statement, wenn die Autos auf der Strasse mal das Nachsehen haben.
Das war für viele ein Grund zu kommen. Die Strassen gehören uns! Wir durften wirklich praktisch überall durch, wo wir wollten. Ausser auf Autobahnen.
Irgendwann war der Skate-Boom vorbei, die Teilnehmerzahlen gingen zurück. Meinst du, dass es den Monday Night Skate in 20 Jahren noch gibt?
Schwer zu sagen, aber ich glaube schon. Dass es ihn überhaupt noch gibt, finde ich mega. Hätte ich nie gedacht. Im Schnitt hatten wir zeitweise 5000 oder 6000 Leute in Zürich. Wenn es dann nur noch 2000 oder 3000 sind, denkst du: Lohnt sich das noch? Dann musst du dich besinnen und sagen: Moment! Das sind immer noch 2000 Leute, die du zum Sport machen und Rausgehen motivierst. Hallo? Natürlich lohnt sich das!
Trotzdem hattest du irgendwann den Punkt erreicht, an dem du nicht mehr weitermachen wolltest.
Es setzt einfach die Routine ein, von Jahr zu Jahr wiederholt sich alles. Für mich hat es damit an Reiz verloren, ich konnte nicht mehr die gleiche Energie reingeben. Das fand ich schade und ich wollte, dass jemand mit neuer Energie kommt. Aber du willst dein «Kind» ja auch in die richtigen Hände geben. Ich war froh, als ich endlich jemanden gefunden hatte, der es jetzt im gleichen Sinn weiterführt.
Anfangs hast du erzählt, dass du schon lange nicht mehr Skaten warst. Sieht man dich diese Saison mal wieder an einem Monday Night Skate?
Es war eine bewusste Auszeit. Ich war lange genug der Mister Night Skate. Wenn dann neue Leute übernehmen, sollen sie die Chance haben, das ohne Ablenkung zu machen. Ich konnte nur die Skates an den Nagel hängen, sonst wäre ich wieder im Fokus gewesen. Aber es ist gut möglich, dass ich dieses Jahr mal wieder vorbeischaue.
Zumindest zum 20. Jubiläum müsst ihr Gründer das schaffen.
(lacht) Stimmt! Du bringst mich auf Ideen! 2020 müssten wir wirklich etwas machen.
Falls du schon mit den Skates scharrst und nicht bis 2020 warten willst, kannst du dich unter nightskate.ch oder auf Facebook über kommende Termine informieren. Und was bei mir sonst noch läuft, erfährst du hier in meinem Autorenprofil.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.