Hintergrund

Was tun, wenn dein Kind vom WC-Reiniger probiert hat?

Martin Rupf
25.9.2022

Alle, die kleine Kinder haben, kennen sie: Die dauernde Angst, das Kind könnte in einem Moment der Unachtsamkeit etwas Giftiges in den Mund stecken. Hier erfährst du, wie du das Risiko minimierst und wie du richtig reagierst, sollte dein Kind den WC-Reiniger mit einem Sirup verwechselt haben.

Neulich bei uns am Znachttisch: Wir waren gerade dabei, genüsslich die frisch gesammelten Steinpilze und Hexenröhlinge zu verspiesen, als wir für einen kurzen Moment inne hielten. Ja, ich hatte die Pilze kontrollieren lassen. Doch was, wenn der Pilzkontrolleurin aus Versehen ein giftiges Exemplar durch die Lappen gegangen ist?

Diese stolze Beute habe ich nach vier Stunden durch den Wald streifen gemacht.
Diese stolze Beute habe ich nach vier Stunden durch den Wald streifen gemacht.

Tatsächlich ist jetzt nicht nur Pilzsaison, sondern eben auch Pilzvergiftungen-Saison, wie Alexander Jetter, Oberarzt und Facharzt für Klinische Pharmakologie und Toxikologie verrät. Viermal pro Woche übernimmt er eine Schicht bei Tox Info Suisse. «Zurzeit häufen sich bei uns die Meldungen wegen Pilzvergiftungen wieder. Es ist wichtig und notwendig, alle gesammelten Pilze vor dem Verspeisen von einem Pilzkontrolleur begutachten zu lassen.»

Lecker! Die gesammelten Steinpilze schmoren in der Pfanne.
Lecker! Die gesammelten Steinpilze schmoren in der Pfanne.

Jährlich werden über 20000 Vergiftungen bei Kindern gemeldet

Vergiftungen haben gerade bei Eltern von Kleinkindern nicht nur in der Pilzsaison Saison. Meine Kinder sind, was das Vergiftungsrisiko betrifft, aus dem Gröbsten raus – klammern wir mal das wohl nicht zu vermeidende Rauschtrinken in ein paar Jahren aus. Als sie aber als Kleinkinder drinnen und draussen überall hin krabbelten und mit den ersten, unsicheren Schritten die Welt erforschten, sah das noch anders aus. Ich erinnere mich gut daran, wie Tochter oder Sohn mit rot verschmiertem Mund und Händen aufkreuzen, und wir Eltern nur eines mit Bestimmtheit sagen konnten. Erd-, Him- oder Johannisbeeren waren das ganz sicher nicht. Doch was dann? Die meisten Eltern von Kleinkindern kennen diese im Unterbewusstsein schlummernde Angst, ihr Kind könnte etwas Giftiges einnehmen.

Was hat der kleine Balg nun schon wieder gegessen? Vielleicht etwas Giftiges?
Was hat der kleine Balg nun schon wieder gegessen? Vielleicht etwas Giftiges?
Quelle: Shutterstock

Auf der Notfallnummer 145 sind rund um die Uhr Ärztinnen und Experten erreichbar, um bei Verdacht auf Vergiftungen Auskunft zu geben und zu beraten. Pro Jahr klingelt das Telefon bei Tox Info Suisse rund 40000 Mal. In gut der Hälfte der Fälle handelt es sich um Kinder, die sich vergiftet haben oder bei denen der Verdacht auf eine Vergiftung besteht.

«Der Klassiker gerade bei kleineren Kindern ist das Probieren von giftigen Pflanzen oder Beeren», sagt Alexander Jetter. In aller Regel seien Pflanzen in kindertypischen kleinen Mengen aber harmlos.

Sehen zwar lecker aus, sind aber giftig: die Beeren der Eibe.
Sehen zwar lecker aus, sind aber giftig: die Beeren der Eibe.
Quelle: Shutterstock

«Viele Vergiftungen sind zudem auf Haushalts- und Reinigungsprodukte zurückzuführen», so Jetter. Besonders heikel sind laut Jetter herumliegende Medikamente, Tabak, aber auch Zigaretten und auch Zigarettenstummel. «Hier gibt es eigentlich nur eine Devise: Konsequent wegsperren, wegräumen und für Kinder unzugänglich machen.» Drogen oder Alkohol seien hingegen seltener ein Thema. «Das liegt wohl daran, dass Drogenkonsum bei Eltern weniger verbreitet ist – vor allem nicht Zuhause. Und weil Alkohol Kindern überhaupt nicht schmeckt, kommt es in den seltensten Fällen zu einer gefährlichen Einnahmemenge.»

So kannst Du das Risiko von Vergiftungen minimieren

Auf der Website von Tox Info Suisse findest du die wichtigsten Informationen, damit es gar nicht erst zu einer Vergiftung kommt. Oberarzt Jetter empfiehlt zudem, von Zeit zu Zeit seinen Putzschrank und seinen Medikamentenvorrat zu durchforsten und nicht mehr verwendete oder abgelaufene Mittel fachgerecht zu entsorgen. Weiter gilt es laut Tox Info Suisse unter anderem an diese Punkte zu denken:

  • Chemikalien und Medikamente in Originalverpackung aufbewahren; nie in Trinkflaschen oder andere Gefässe umfüllen, auch nicht mit entsprechender Beschriftung.
  • Chemikalien nicht vom Arbeitsplatz nach Hause nehmen. Chemikalien und Medikamente für Kinder unerreichbar wegschliessen.
  • Anweisungen und Gefahrensymbole beachten. Vor der Verwendung Etikette anschauen, um Verwechslungen zu vermeiden
  • Medikamente nicht vor Kindern einnehmen (Nachahmungsgefahr).
  • Heizungen mit fossilen Brennstoffen regelmässig überprüfen und bei offenen Feuern gut lüften wegen der Gefahr einer Kohlenmonoxid-Vergiftung.

Bei Verdacht auf Vergiftung das Kind nicht zum Erbrechen bringen

«Glücklicherweise kommt es bei Kindern nur sehr selten zu lebensgefährlichen Vergiftungen», sagt Alexander Jetter. Bei Verdacht auf eine Vergiftung rät Jetter unbedingt als Erstes Tox Info Suisse oder den Notarzt zu kontaktieren. «Bei den meisten Substanzen empfiehlt es sich, dem Kind Wasser zum Trinken zu geben.» Einzig bei schäumenden Substanzen wie etwa Wasch- oder Putzmittel ist davon aber abzuraten. «Denn dadurch kann sich zusätzlicher Schaum bilden, der dann schlimmstenfalls sogar eingeatmet werden und so in die Lunge gelangen kann.» Hingegen empfehle es sich immer, den Mund auszuspülen.

Viele Eltern dürften wohl bei einem Verdacht auf Vergiftung im ersten Affekt versuchen, ihr Kind zum Erbrechen zu bringen. Alexander Jetter rät hingegen ab, dies zu tun: «Weil giftige Inhalte wie etwa Säuren und Laugen so ein zweites Mal mit der Speiseröhre in Kontakt treten, was es zu vermeiden gilt.» Kommt hinzu, dass beim Erbrechen oft nur die Hälfte – etwa eines für das Kind giftigen Medikaments – ausgeschieden wird. «Und wie bei den schäumenden Substanzen besteht auch beim Erbrechen die Gefahr, dass ein Teil in die Lunge gelangt und es so zu einer Lungenentzündung kommen kann», erklärt Jetter.

So geht's du im Notfall am besten vor

Meine Kinder können mittlerweile einen WC-Reiniger von einer Milchflasche unterscheiden. Doch das Thema Vergiftung ist trotzdem nicht völlig vom Tisch und beschränkt sich längstens nicht nur auf die Kinder. So ist es vor ein paar Monaten passiert, dass meine Frau – ich hatte die Kaffeemaschine gereinigt – aus Versehen verdünnten Kalkreiniger zu sich genommen hat. Sofort haben wir die 24-Stunden-Hotline von Tox Info Suisse angerufen. Zu unserer Erleichterung stellte sich der Fall als nicht besonders gravierend heraus. Wasser trinken und aussitzen lautete die Devise damals.

Auf der Website von Tox Info Suisse findest Du weitere nützlich Tipps, wie du dich im Notfall verhalten kannst:

1. Nach Einnahme (wenn die Person bei Bewusstsein ist)
Wasser, Tee oder Sirup ein bis zwei Deziliter zu trinken geben. Bei ätzenden Substanzen möglichst schnell bis maximal 30 Minuten nach der Einnahme. Nur auf ärztliche Verordnung: Aktivkohle oder schaumhemmende Medikamente verabreichen.

2. Nach Einatmen der giftigen Substanz

Für frische Luft sorgen. Vorsicht bei geschlossenen Räumen, Silos und Gruben, da sich dort die Retter gefährden könnten. Versuchen, die Patientin oder den Patienten zu beruhigen.

3. Nach Hautkontakt

Benetzte Kleider möglichst rasch entfernen. Betroffene Hautpartien ausgiebig unter fliessendem Wasser spülen. Bei nicht verätzter Haut gründlich mit Seife und Wasser nachreinigen.

4. Nach Augenspritzern

Auge sofort während mindestens zehn Minuten unter fliessendem Wasser spülen; Augenlider dabei gut offen halten.
Den Kopf des Betroffenen auf die Seite des verletzten Auges neigen, um das nicht betroffene Auge zu schonen.

5. Bei Bewusstlosigkeit oder Atem -und Kreislaufstillstand

144 alarmieren (Ambulanz). Nötigenfalls Fremdkörper (Gebiss, Tablettenreste, Erbrochenes) aus Mund und Rachen entfernen. Beengende Kleidungsstücke lockern. Bei Bewusstlosigkeit und normaler Atmung: Seitenlage.

Bei Bewusstlosigkeit und fehlender Atmung: Wiederbelebungsmassnahmen nach aktuellen Reanimationsrichtlinien.

Alexander Jetter rät allen Eltern von kleinen Kindern in der Notfallapotheke Aktivkohle-Suspension und Flatulex gegen schäumende Substanzen bereitzuhalten. «Diese Mittel aber unbedingt erst nach Rücksprache mit einem Arzt verabreichen, da sie sich bei einigen Vergiftungen gar kontraproduktiv auswirken können», mahnt der Oberarzt zum Schluss.

Titelbild: Shutterstock

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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