
Produkttest
96 Prozent Luft – Swiss Made!
von Michael Restin
Was bringt ein Balance Pad? Mein launiger Airex-Artikel wurde in der Luft zerrissen. Nun will ich die schwammige Frage nach dem richtigen Schaumstoff unter den Füssen seriös beantworten.
Neulich habe ich heisse Luft verbreitet. Mein Beitrag zum Balance Pad Elite von Airex bestand zu 96 Prozent aus kindlicher Freude daran, dass der Hersteller den hohen Luftanteil seiner Produkte als Qualitätsmerkmal anpreist. Einerseits war der Text ein Erfolg. Er stieg auf der Seite nach oben, wurde geklickt, gelesen und kommentiert.
Andererseits wurde er unter dem Aspekt «Informationsgehalt» völlig zu Recht kritisiert.
Daraus habe ich zwei Lehren gezogen. Erstens: Heisse Luft ergibt einen prima Testballon. Sie bringt Aufmerksamkeit und Feedback. Zweitens: Das Internet ist noch nicht voll. Also folgt hier der Beitrag, der sich mit dem Sinn und Zweck solcher Balance-Trainer befasst. Folge mir in die aufregende Welt des Gleichgewichts. Erst geht es ums Arbeitsleben, dann um Reha und Sport. Dafür ist das Balance Pad hauptsächlich gemacht.
Grundsätzlich gilt: Stillstand ist der Tod. Egal ob du den ganzen Tag sitzt oder stehst, es ist nicht gut für dich. Unser Körper ist dazu gemacht, sich zu bewegen. Das gilt auch während der Arbeitszeit. In starrer Position auf dem Bürostuhl zu sitzen, ist nichts. Den ganzen Tag zu stehen ebenfalls schlecht. Weil ich gerne für eine längere Zeit am Stück im Stehen arbeite, stelle ich mich auf das Airex Balance Pad Elite. Der Schaumstoff gibt nach, mein Gleichgewichtssinn muss arbeiten, die Nerven innervieren Muskeln, welche daraufhin kontrahieren und mich stabilisieren. Statt dass ich mir die Beine in den Bauch stehe, ist konstant etwas Bewegung drin. Dazu verteilt sich mein Gewicht gleichmässig, die Füsse schmerzen nicht.
Subjektiv fühlt es sich besser an, auf weichem Untergrund zu stehen. Das geht nicht nur mir so, sondern auch den Probanden in verschiedenen Studien zum Thema, die sich mit dem Nutzen von Schaumstoffmatten oder Schuheinlagen befassen. Dass der untere Rücken und die unteren Extremitäten profitieren, darf nach den Erkenntnissen dieses systematischen Reviews aus dem Jahr 2018 als halbwegs gesichert gelten. Nach ihrer Auswertung der relevanten Publikationen zum Thema kamen die Autorinnen zumindest zu diesem Schluss. Die Dämpfung ist empfehlenswert.
Moderate level of evidence exists to support the use of cushioning materials for the reduction of perceived musculoskeletal discomfort of the lower limb and the lower back whilst standing at work.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage, welches Material die segensreichsten Eigenschaften hat. Sind Einlegesohlen besser? Hilft eine dünne Matte oder ein dickes Balance Pad am meisten? Wenn ja, welches? Welche Dichte sollte es haben? Nach dem derzeitigen Forschungsstand ist das Wissen darüber so schwammig, dass sich keine allgemein gültige seriöse Einschätzung abgeben lässt.
There is not enough information in the existing literature to comment on the relative superiority of one type of cushioning material over another.
Dadurch lässt sich die Theorie von Joe231253 zumindest nicht widerlegen: Er ist der Meinung, dass es ein Stück Schaumstoff aus dem Baumarkt genauso tut. Möglich, dass sich darauf das angenehme Gefühl bei den meisten Menschen genauso einstellt.
Fazit für alle, die im Stehen arbeiten: Nur zu diesem Zweck musst du dir nicht zwingend ein Balance Pad zulegen. Probier' aus, was sich für dich am besten anfühlt. Welchen Einfluss Alter, Geschlecht und Stress auf die Studienergebnisse haben, ist ebenfalls noch ungeklärt.
Gefühle beiseite. Nun geht es um Fakten zum Balance Pad als Sport- und Rehagerät. Der Posturographie ist es zu verdanken, dass die Eigenschaften verschiedener Materialien in einer Studie genauer untersucht wurden. Bei diesem Verfahren zur Gleichgewichtsanalyse stehen die Probanden auf einer Messplattform, wodurch Schwerpunkt, Schwingungsverhalten und Lastverteilung des Körpers unter verschiedenen Bedingungen erfasst werden. Dabei kommen auch Schaumstoff-Pads zum Einsatz, die die Aufgabe etwas erschweren sollen. In dieser Publikation zeigt sich, dass es durchaus Unterschiede gibt. Welche das sind, veranschaulicht am besten diese Grafik.
Die gelbe Linie steht für das Airex Balance Pad, die übrigen für verschiedene Schaumstoffe des Herstellers Vitafoam. Sie sind nicht speziell für Sport- oder Reha-Zwecke gemacht. Bei Zunahme der Gewichtskraft wird nur das Balance Pad linear deformiert. Du sinkst also gleichmässig darauf ein, während die übrigen Stoffe erst schnell nachgeben und dann mehr Widerstand leisten. Anders gesagt, ist das Balance Pad für Personen bis 90 Kilogramm am besten darin, sie auf vergleichbare Weise aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es macht also seinen Job. Wenn sich der Schaumstoff zu stark deformiert, kann er irgendwann sogar wieder stabilisierend wirken. Dann findet der Fuss festen Halt und wird zusätzlich seitlich vom Schaumstoff umschlossen.
The Balance pad produced the largest postural sway velocity in participants with less than 90 kg mass whilst the bi-layer upholstery sample (406 mm indenter) produced the largest changes in participants above 90 kg of mass.
Soviel zur Ehrenrettung der Traditionsmarke Airex aus dem Aargau. Spezielle Balance Pads haben definitiv eine Existenzberechtigung. Und wenn du «made in Switzerland» kaufst, wird es niemals das billigste sein. Du hast die Wahl, die anderen Modelle kenne ich nicht. Bei mir kam das Airex Elite nach einem Kreuzbandriss ins Haus. Meine Frau hat das Knie kaputt, ich nun ein Balance Pad. Was du damit tun kannst? Zum Beispiel das.
Wenn Gelenke stabilisiert, Muskulatur aufgebaut und Bewegungen neu gelernt werden müssen, ist es wichtig, die Koordination und den Gleichgewichtssinn zu trainieren. Mit Sprüngen auf das Pad, einbeinigen Kniebeugen, Ausfallschritten (Lunges) oder anderen Übungen, die nicht nur Muskelmasse aufbauen, sondern ein harmonisches Zusammenspiel aller beteiligten Körperstrukturen fördern. Tiefe Muskelschichten werden aktiviert und deren neuronale Ansteuerung verbessert.
Es gibt keinen Grund, um auf eine Verletzung zu warten, bis du so eine Komponente in dein Training einbaust. Von den Sprunggelenken über die Knie bis zum Rumpf profitiert dein Körper davon und es ist ein einfaches Mittel, den Schwierigkeitsgrad manch bekannter Übung etwas zu erhöhen. Ein Balance Pad aus Schaumstoff besticht dabei vor allem durch seine Vielseitigkeit. Es gibt diverse Geräte, die deinem Gleichgewichtssinn deutlich mehr abverlangen.
Allerdings wird es bei den wackeligeren Varianten schwieriger, zusätzliche Übungen darauf auszuführen. In dieser Studie wurde verglichen, wie herausfordernd das einbeinige Balancieren auf unterschiedlichen Geräten ist. Neben dem Airex Balance Pad waren ein «Wobble Board» aus Holz und ein Bosu-Ball im Rennen.
Schon auf dem Balance Pad ist das Balancieren deutlich anspruchsvoller als die gleiche Übung auf dem Boden. Das Holz-Board und vor allem der Bosu-Ball steigern die Herausforderung nochmals deutlich, wie diese Grafik zeigt. Die Ausgleichsbewegungen werden grösser und die Wadenbein-Muskulatur ist viel aktiver. Wer ganz gezielt Knie und Sprunggelenke stabilisieren will, hat damit ein anderes Trainingslevel. Was Airex & Co. anbieten, ist ein Allround-Gerät im Bereich des Balancetrainings, das sich bei vielen Übungen einbauen lässt. Dafür sollte es nicht irgendein Schaumstoff sein, sondern ein spezieller, der über die entsprechenden Deformationseigenschaften verfügt.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.