

Siris Freiluftlabor: Warum die Fahrradkette im Reiskocher landete

Wer mit dem Velo unterwegs ist, wird diesen Tipp sicher schon gehört haben: Wenn du deine Kette mit Hartwachs behandelst, statt mit Öl, sparst du dir das ständige Putzen. In meinen Ohren klingt das gut. So gut sogar, dass ich es ausprobieren musste.
Ich fahre gern Velo. Am liebsten bin ich mit dem Mountainbike unterwegs. Samstags morgens trifft sich eine Gruppe Bikerinnen und Biker aus der Nachbarschaft zum «Saturday Bike Fever», genauer gesagt, um die Trails im Seetal zu erkunden.
Diese Ausfahrten machen Spass. Weniger Freude bereitet mir dagegen das Fahrradputzen hinterher. Die Kette ist ein öliges, klebriges, dreckiges Ungetüm. Sollte ich sie beim Biken versehentlich berührt haben, habe ich das sogenannte Biker-Tattoo, einen schwarzen, öligen Kettenabdruck, auf der Wade.

Quelle: Shutterstock
Hartwachs soll dagegen eine ganze Reihe von Vorteilen haben. Echte Fans sagen, die Kette fühle sich trocken an und nehme, anders als eine geölte Kette, keinen Schmutz auf. Sie laufe ruhig und weich. Aufgrund der geringeren Reibung zeige sie weniger Verschleiss. Das erhöhe die Lebensdauer von Kette, Schaltung und den dazugehörigen Komponenten. Tatsächlich schwören einige, die mit Hartwachs fahren, sie würden nie mehr zum Öl zurückkehren.
Das Hartwachs, das für Fahrradketten zum Einsatz kommt, ist Paraffin. Dabei handelt es sich um einen umweltverträglichen Stoff, der auch in der Kosmetikindustrie, beispielsweise für Vaseline, genutzt wird. Ketten-Hartwachs ist für trockene und nasse Verhältnisse und für alle Arten von Velos, vom Rennrad übers Gravel- und Citybike bis hin zum Mountainbike, geeignet.
Ich habe mich für das Kettenwachs «Graphene» von Absolute Black entschieden, da es zusätzlich zum Paraffin noch Graphen enthält. Dabei handelt es sich um eine dünne Kohlenstoffstruktur, die die Reibung noch weiter reduzieren und das Metall der Kette vor Rost schützen soll.

Inzwischen bin ich tiefer in das Thema eingetaucht und habe auf der australischen Test-Website Zerofriction gelesen, dass es Alternativen gibt, die länger halten und die Reibung besser reduzieren. Beim nächsten Mal wird es deshalb wahrscheinlich einen Wachswechsel geben. Mspeedwachs oder Silca Secret Chain Blend scheinen gute Kandidaten, die ich aber noch nicht testen konnte.
Kleine Vorwarnung: Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen
Wenn du bei deiner Kette von Öl auf Hartwachs umsteigen möchtest, solltest du fürs erste Mal mindestens zwei Stunden einplanen. Für die Wartung danach ist der Aufwand jedoch deutlich geringer.
Einiges an Material ist auch nötig, zum Beispiel ein Ultraschallreiniger und ein Reiskocher. Eine Liste an Geräten und Zutaten, die ich für dieses Experiment genutzt habe, findest du am Ende dieses Artikels. Bei den Reinigungsprodukten habe ich zur britischen Marke Muc-Off gegriffen und war mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Quelle: Siri Schubert
Da die Umstellung nicht ganz günstig ist und Zeit braucht, ist sie nicht für alle geeignet. Es gibt auch fertig gewachste Ketten zu kaufen, wenn du dir das Kochen der Kette im Wachs ersparen willst.
Wenn du aber Spass am Experimentieren und Optimieren hast, viele Kilometer zurücklegst oder ein teures Bike mit hochwertigen Komponenten hast, könnte das Kettenkochen etwas für dich sein.
Besitzt du, wie mein Mann und ich, eine ganze Reihe von Velos fürs Mountainbiken, Gravelbiken und den Alltag, sind auch die Anschaffungen von Ultraschallreiniger und Reiskocher nicht übertrieben. Natürlich kannst du auch Flüssigwachs benutzen. Dadurch sparst du dir das Einkochen des Heisswachses. Allerdings hält Flüssigwachs auch nicht so lange, die Zeitersparnis ist deshalb relativ.
Welche Kette soll’s denn sein?
Bei meinem Lieblings-Mountainbike wollte ich die Kette, die ich erst rund zwei Monate in Gebrauch hatte, wachsen. Beim Pendel-Velo sollte es eine neue sein. Das reduziert den Zeitaufwand nur wenig, denn eine neue Kette muss ebenfalls gereinigt werden, bevor das Heisswachs aufgetragen werden kann. Zudem müssen auch Kettenblätter, Ritzel und die Rädchen am Schaltwerk von Öl und Schmutz befreit werden.

Quelle: Stefan Munsch
Wenn du dich für eine neue Kette entscheidest, achte darauf, dass du die richtige Breite wählst – sie hängt von der Anzahl der Ritzel ab. Es gibt Ketten, die auf bestimmte Schaltgruppen optimiert sind, hier lohnt es sich, die Herstellerangaben zu beachten. Einige Ketten haben eine Laufrichtung, andere eine Aussen- und Innenseite. Deshalb muss die passende Kette richtig montiert werden.
Ab in die Kettenküche
Jetzt kann’s also losgehen. Nach der Grobreinigung der Kette mit einem Microfasertuch oder Haushaltspapier wird sie in Aceton von Fetten und Ölen befreit. Wachs kann nur auf einer ölfreien Kette richtig haften, deshalb ist dieser Schritt entscheidend.

Quelle: Stefan Munsch
Dabei solltest du auf jeden Fall Handschuhe und eine Schutzbrille tragen, denn das Lösungsmittel trocknet die Haut stark aus. Zum Reinigen nehme ich ein altes Marmeladenglas, das ich mehrere Minuten lang gut durchschüttel. Erstaunlich, wie viel Schmutz sich bei einer gebrauchten, aber scheinbar sauberen Kette noch löst.

Quelle: Siri Schubert
Als nächstes steht ein Bad im Ultraschallreiniger bevor. Dazu eignet sich Muc-Off «Ultrasonic Tank Cleaner» besonders gut.

Muc-Off Ultrasonic Tank Cleaner
1000 ml, Dichtungspflegemittel
Zehn Minuten lang darf die Kette im Ultraschallgerät bei 30 Grad baden, bevor ich sie unter laufendem Wasser gründlich abspüle. Dann lege ich sie auf ein Stück Alufolie und lasse sie in einem kleinen Haushaltsofen zehn Minuten bei 80° Grad trocknen. Die gereinigte Kette solltest du ebenfalls nur mit Handschuhen berühren, da auch das Hautfett verhindert, dass das Wachs später haftet.

Quelle: Stefan Munsch
Während die Kette im Ofen trocknet, schmelze ich das Wachs im Reiskocher. Warum ich einen Reiskocher nehme? Da die Temperatur nicht höher als 80 bis 90 Grad wird. So kann das Wachs schmelzen, ohne dass es zu heiss wird. Sonst kann es brennen und wie ein Ölbrand sehr gefährlich werden. Deshalb solltest du das Wachs auch nicht auf einem Campingkocher oder Gasherd schmelzen.
Jetzt kommt der Hauptgang

Quelle: Stefan Munsch
Um die Kette flach ins geschmolzene Wachs zu bekommen, fädele ich sie auf einer gebogenen Speiche auf. Die Kette muss ganz im flüssigen Wachs verschwinden, damit sie gleichmässig benetzt wird. Sie sollte so lange im Wachsbad liegen, bis sie die gleiche Temperatur, also 80 bis 90 Grad erreicht hat. Zwischendurch bewege ich die Kette, um sicherzustellen, dass jeder Zwischenraum gewachst wird.

Quelle: Stefan Munsch
Nach 15 Minuten ist die Kochstunde abgeschlossen. Vorsichtig nehme ich die Kette heraus. Es sollte nur wenig Wachs heruntertropfen, sonst war das Wachs zu heiss und die Beschichtung ist zu dünn. Wenn das der Fall ist, kannst du die Temperatur reduzieren und die Kette noch ein bisschen länger im Wachs baden. Jetzt kannst du die Kette aufhängen oder auf eine nicht-haftende Oberfläche wie Alufolie legen. Wenn sie ausgekühlt ist, kannst du die Kettenglieder gegeneinander bewegen, um die Kette geschmeidig zu machen.
Erste Testfahrten bringen ein gutes Fahrgefühl
Nachdem die Ketten mithilfe des KMC «Missinglink»-Kettenschlosses und einer Kettenzange wieder ihre Plätze am Mountainbike und Pendler-Velo eingenommen hatten, unternahm ich erste Probefahrten. Wie erhofft war die Kette leise und lief leicht. Schmutz sammelte sich so gut wie nicht an. Nach den Ausfahrten liess sich die Kette einfach reinigen. Keine öligen Schmierereien mehr und auch kein schwarzer Abdruck am Unterschenkel.

Quelle: Siri Schubert
Die Kette sollte, je nach Bedingungen, etwa alle 800 bis 1000 Kilometer nachgewachst werden, sprich in das Wachsbad gelegt werden. Ob diese Empfehlung der Realität entspricht, kann ich noch nicht sagen, da ich die Kette ja erst vor Kurzem gewachst habe.

Quelle: Stefan Munsch
Experiment geglückt
Das Wachsen der Kette hat gut funktioniert und nach den ersten 120 Kilometern bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden, auch wenn das natürlich bei Weitem noch kein Langzeittest ist. Das aufwändige Reinigen und Ölen der Kette kann ich mir nun sparen. Dennoch würde ich, nachdem ich mich näher mit dem Thema beschäftigt habe, beim nächsten Mal ein anderes Hartwachs nehmen. Der Ultraschall-Reiniger und der Reiskocher bleiben jedoch auf jeden Fall weiterhin im Einsatz.
Wenn du Lust bekommen hast, deine Kette ebenfalls mit Heisswachs zu behandeln, findest du hier die Produkte, die ich für dieses Experiment verwendet habe:
Zudem habe ich mir für mein Pendler-Velo eine neue Kette gegönnt und das passende Zubehör gekauft.
In Siris Freiluftlabor teste ich neue Trends, geniale Hacks und Outdoor- sowie Sportausrüstung unter realen Bedingungen. Folge mir für weitere Mikroabenteuer unter freiem Himmel und Tipps, wie diese am besten gelingen.


Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.