

Männer in Crop Tops: Bauchfrei ist unisex – und zwar schon lange

Dass der Bauchfrei-Look nicht nur was für Frauen ist, wusste man schon in den 80er-Jahren. Nun könnten Crop Tops für Männer erneut mainstream werden.
Der Bauchfrei-Look ist mittlerweile so etabliert, dass sogar Bralettes im Alltag als Oberteil getragen werden. Aufsehen erregst du mit einem Crop Top somit nicht mehr – ausser du bist ein Mann. Dann wirst du damit absurderweise mehr Blicke auf deinen Oberkörper ziehen, als wenn du komplett oben ohne wärst. Das könnte sich jedoch schon bald ändern.
Gekürzte Oberteile finden vermehrt ihren Weg in die Männerabteilung. Auf den Catwalks von Luxusmarken wie Fendi, Celine oder Jacquemus sind Bauchnabel-Blitzer längst nicht mehr nur Frauen vorbehalten. Hochglanzmagazine stecken «Euphoria»-Crush Jacob Elordi oder Promi-Spross Romeo Beckham für ihre Editorials in bauchfreie Schnitte. Charts-Abräumer Harry Styles und Lil Nas X setzen in Musikvideos und auf roten Teppichen ebenfalls auf die gekürzte Silhouette. Im Show- und Fashionbiz ist das Crop Top für Männer also bereits angekommen – und auf unseren Strassen?


Quelle: Spotlight
Vielleicht gibt es an der Fifth Avenue oder der Champs-Élysées die eine oder andere entblösste Männer-Taille zu erspähen – auf den heimischen Pflastern ist der Anblick jedoch noch eine Rarität. Eher begegnest du in der Stadt komplett nackten Oberkörpern. Dabei war das Crop Top einst ein Zeichen von Maskulinität, eine Ausgeburt der Sportkultur. Damals in den 80er-Jahren, als Männer noch experimentierfreudiger mit der Länge ihrer Liblis waren.
Apollo Creed trainierte bauchfrei
American Footballer und Gym Bros kürzten ihre Workout-Tops, um zu zeigen, wohin der ganze Schweiss fliesst: in ihren Musculus obliquus abdominis. Das Crop Top war damals das Tanktop auf Steroiden. Ein Weg, Bizeps und Sixpack zu zeigen – ohne gleich komplett blank zu ziehen.
Ein historischer Bauchfrei-Moment, und ein Testosteron geballter zugleich, ist im dritten Teil der Boxer-Filmreihe «Rocky» festgehalten: Rocky Balboas Opponent Apollo Creed trägt während einer Trainingseinheit am Strand ein super kurzes Tanktop (in Kombi mit ebenfalls erwähnenswerten High-Waist-Hotpants). Im selben Jahrzehnt sind auch die Musiker Lenny Kravitz und Prince grosse Fans der freien Körpermitte – und Anfang 90er gesellt sich ein weiterer Prinz zum Club, der Prince of Bel Air aka Will Smith.
Mit der zunehmenden Beliebtheit in der Popkultur rutschte das Crop Top allmählich aus dem athletischen Kontext. Mehr Fashion, weniger Schweiss – und anscheinend weniger maskulin. Als das Kleidungsstück in den Nullerjahren einen erneuten Hype erlebte, war es hauptsächlich an Frauen zu sehen, wo es in den meisten Köpfen noch immer hingehört. Aber jetzt, da die Grenzen zwischen Männer- und Frauenmode zunehmend verschwimmen und Unisex-Kleidung boomt, scheint die erneute Ankunft des Herren-Crop-Tops im Mainstream nicht mehr weit.

Quelle: Instagram: @fabianhart

Quelle: Instagram: @curlyfrysfeed
Männer in Crop Tops bald auch im Galaxus-Gebäude?
Im Büro will ich von meinen Kollegen wissen, ob sie beim Trend mitmachen würden. Als Erstes zieht es mich zu Kommunikations-Manager David, im Team liebevoll Mr. Bizeps genannt. Wer seine Arme fleissig trainiert, wird vielleicht auch einen Sixpack haben, den er gern zur Schau stellen möchte. Aber nein, er sei ein «Unterlibli-Typ», da müssen Crop Tops hinten anstehen: «Ich kann sie mir in meinem Fall nur als Sport-Tenu vorstellen – im Stil von Apollo Creed.» Als Nächstes befrage ich unseren KV-Lernenden Yanis. Aber auch er ist «kein grosser Fan»: «Ich finde, dass es oftmals die Proportionen eines Outfits kaputt macht und den Look nicht mehr aufwertet als ein herkömmliches Shirt.»
Als nächstes: Social Media Manager Fabian – wer sich nicht vor Nagellack scheut, traut sich vermutlich auch an bauchfreie Tops. Und tatsächlich, er besitze einen Crop Pulli: «Den habe ich bisher aber immer mit einem T-Shirt darunter getragen, weil ich ein bisschen Mühe mit meinem Bauch habe.» Total abgeneigt, die erste Schicht künftig mal wegzulassen, sei er jedoch nicht: «Grundsätzlich würde ich ein Crop Top schon tragen, etwa in Kombi mit High-Waist- oder Latzhose.»
Die Angst, feminin zu wirken
Doch wieso ist die Hemmschwelle bei Crop Tops so viel höher als beim komplett nackten Oberkörper? Es läge wohl am stereotypen Männlichkeitsbild, das noch in vielen Köpfen verankert sei, vermutet David: «Den Oben-ohne-Look assoziieren wir beispielsweise mit kräftigen Bauarbeitern, Crop Tops hingegen eher mit Frauen. Wenn ich ehrlich bin, geht es auch mir ein wenig so.» Fabian fügt an: «Meiner Erfahrung nach halten sich viele Hetero-Männer aus Angst, als homosexuell wahrgenommen zu werden, stark von weiblich konnotierten Looks fern. Das zeigt, dass ‹schwul› noch immer als Fluchwort angesehen wird und erklärt, wieso queere Männer häufig offener für androgyne Looks sind.»
In einem Punkt sind sich die drei jedenfalls einig: Wenn Männer sich trauen, mit ihrem Stil zu experimentieren und Statements zu setzen, ist das auf alle Fälle cool – egal, ob der Look dem persönlichen Geschmack entspricht oder nicht.
Unser Sortiment hinkt in Sachen Crop Tops für Herren noch etwas hinterher – aber hey, selbst ist der Mann:
Auftaktbild: Instagram: @josefmichael_

Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.