Martin Jungfer
Hintergrund

Künstlich oder echt: Welcher Weihnachtsbaum ist nachhaltiger?

Martin Jungfer
26.11.2024

Jedes Jahr eine Tanne mitten aus ihrem jungen Leben reissen – das klingt nicht sehr ökologisch. Trotzdem: Ein Weihnachtsbaum aus Plastik ist nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen die nachhaltigere Alternative.

Schweizer, Deutsche und Österreicher dürften auch dieses Jahr wieder um die 30 Millionen echte Tannenbäume kaufen. Vor Supermärkten, im Baumarkt oder beim Bauern – überall wird nach dem perfekten Baum gesucht, der im Idealfall noch gut ins Auto oder wenigstens aufs Autodach passt.

Könnte man sich den Aufwand des Auswählens und Transports nicht sparen, vielleicht sogar der Umwelt einen Gefallen tun, wenn man einen künstlichen Weihnachtsbaum kauft?

Ich will dich nicht lange auf die Folter spannen: Eine Plastiktanne müsstest du 17 Jahre lang nutzen, um eine positive Ökobilanz im Vergleich zum frischen Baum aus dem Wald zu erreichen. Schuld daran sind verschiedene Faktoren.

1. Plastik treibt die Emissionen in die Höhe

Künstliche Bäume werden in der Regel aus Plastik fabriziert. Zum Einsatz kommt meistens Polyvinylchlorid (PVC). Bei der Produktion werden pro Kilogramm des auf Erdöl basierenden Kunststoffs etwa acht Kilogramm CO2-Äquivalent ausgestossen. Ebenfalls oft verwendete Polyethelene (PE) sind mit sechs Kilogramm Ausstoss pro Kilogramm produziertes Material zwar etwas weniger klimaschädlich, aber immer noch klar im Nachteil gegenüber dem echten Baum. Britische Forscher haben errechnet, dass bei der Produktion eines etwa zwei Meter hohen künstlichen Baums 40 Kilogramm CO2-Äquivalent anfallen. Zwei Drittel entfallen auf das Material. Ein weiteres Drittel verschlingt die energieintensive Herstellung in der Fabrik, wo hohe Temperaturen benötigt werden, um den Kunststoff zu schmelzen und in Form zu bringen. Die Zahlen, die ich hier nenne, entstammen übrigens einer Studie der kanadischen Beratungsfirma Ellipsos, die 2009 publiziert wurde – falls du das im Detail nachlesen willst.

Interessiert dich, wie so ein Baum produziert wird, kannst du das unten im verlinkten Video anschauen. Hier ist das Ergebnis ein relativ teurer Baum, der in Polen produziert wird.

Pure Living Interior Design Nordmanntanne (180 cm)
Weihnachtsbaum
CHF326.–

Pure Living Interior Design Nordmanntanne

180 cm

2. Transport vergrössert den CO2-Rucksack

Mit der Produktion allein ist es nicht getan. Ein frischer Weihnachtsbaum kommt im Idealfall aus der Nachbarschaft. Unter der Annahme, dass der Weg vom Händler zu dir nach Hause fünf Kilometer weit ist, fallen hier – mit einem Diesel- oder Benzin-Auto –knapp zwei Kilogramm Kohlendioxid an. Die Plastiktanne verursacht durch den Transport etwa fünf weitere Kilogramm zusätzlich zur Produktion. Herausfinden lässt sich das über CO2-Rechner für Logistik im Internet (zum Beispiel hier). Künstliche Bäume kommen fast immer aus China und haben eine lange Schiffsreise auf einem Schweröl-getriebenen Container-Schiff hinter sich. Allerdings auch nur einmal, während du für einen echten Baum jedes Jahr herumfährst. Aber wer weiss, vielleicht schwebt er demnächst per Drohne zu dir oder per elektrisch angetriebenen Robotransporter.

3. Entsorgung in beiden Fällen problematisch

Ist die Weihnachtszeit vorbei, wandert der künstliche Baum in den Keller und wird Jahr für Jahr wieder hervorgeholt. Doch irgendwann steht auch für ihn die Entsorgung an. Zwar sind PVC und PE an sich recycelbar. Allerdings nur, wenn das Material sortenrein ist. Bei einer Plastiktanne ist das oft nicht der Fall. Da gibt es zusätzliches Metall, damit die Zweige sich schön biegen lassen oder sogar LED-Lichterketten, die fest verbaut sind. Bei so einem Materialmix bleibt häufig nur – zumindest Stand heute – der Weg in die Verbrennung. Das setzt etwa drei weitere Kilogramm auf die CO2-Rechnung. Insgesamt produziert ein durchschnittlicher Weihnachtsbaum bei Produktion, Transport und Entsorgung also 48 Kilogramm des klimaschädlichen Gases.

Das ist übrigens immer noch weniger als für das neue iPhone, das vielleicht eben unter jenem Weihnachtsbaum liegt. Ein iPhone 15 mit 128 GB Speicher kommt gemäss Apple-eigenem «Environmental Progress Report» auf einen CO2-Fussabdruck von 56 Kilogramm.

Wird die Fichte aus dem heimischen Wald oder die Nordmanntanne von der dänischen Plantage nach Weihnachten verbrannt, werden dadurch rund 15 Kilogramm CO2 freigesetzt. Vertreter der Forstwirtschaft betonen, dass dies keine neuen Emissionen seien, sondern der Baum diese Menge während seines Wachstums aus der Atmosphäre entzogen und gespeichert hat. Man könne also diese Emissionen nicht dem Baum aufbürden. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass man auf den Flächen, die für die Weihnachtsbaumzucht verwendet werden, zum Beispiel auch Laubwälder stehen lassen könnte, die viel mehr CO2 speichern – und das dauerhaft.

Fazit: Es ist kompliziert

Wenn du deinen Weihnachtsbaum beim Bauern in der Nachbarschaft kaufst, wenn der Bauer ihn aus dem eigenen Wald am Dorfrand hat, wenn du ihn zu Fuss nach Hause trägst – dann hat der Baum aus Plastik ökologisch keine Chance. Wenn du dir dagegen eine Nordmanntanne holst, die mit Pestiziden und Dünger auf einer polnischen Plantage ohne jede Zertifizierung gewachsen ist, und per Diesel-Lkw zum Verkaufsort transportiert wurde, holt der künstliche Baum für die Mehrfachverwendung in der Ökobilanz schnell auf.

Es hängt letztlich von vielen Faktoren ab, ob sich ein künstlicher Weihnachtsbaum ökologisch auszahlt. Nachhaltigkeit ist weder Schwarz noch Weiss. Es ist kompliziert. Wenn du es genau wissen willst, empfehle ich dir den Weihnachtsbaumrechner in Excel-Form.

Und wenn ich jetzt noch das Fass aufmache, dass eine durchschnittliche Weihnachtsgans gleichzusetzen ist mit 25 Kilogramm CO2-Emissionen, tja, dann kannst du ja jetzt abwägen, wo du am meisten tun kannst und willst für weniger Erderhitzung.

Der Baum zur Weihnachtszeit

Welcher Baum ist dein Favorit?

  • Ich habe einen lokalen Weihnachtsbaumhändler meines Vertrauens, den ich jedes Jahr besuche.
    24%
  • Baumfrei und Spass dabei.
    18%
  • Ich kaufe dort, wo es die grösste Auswahl und die besten Preise gibt – meistens am Supermarkt oder im Baumarkt.
    11%
  • Ich habe einen künstlichen Baum, der jedes Jahr wieder in die Stube darf.
    39%
  • Mein Baum ist im Topf und wird jedes Jahr geliehen.
    4%
  • Mein Baum kommt aus dem eigenen Wald, wo ich ihn selbst mit der Axt schlage.
    5%

Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.

Titelbild: Martin Jungfer

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Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


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