Produkttest

Kein Schneeschuh, kein Tourenski: Crossblades sind eine ganz eigene Kategorie

Michael Restin
11.11.2021

Mit Crossblades an den Füssen bin ich anfangs frustriert. Spassig wird es erst, als ich das Prinzip des Sportgerätes besser verstehe und umdenke: Erfindergeist stört sich nicht an Grenzen, sondern sieht die Möglichkeiten.

2020 ist für mich der Winter der halben Sachen. Ich will nicht ganz auf Schneesport verzichten, bin aber nur halb davon überzeugt, dass es eine gute Idee ist, mich in Gondeln zu drängen. Für meine erste Skitour reicht es auch nicht ganz (sorry, Arne). Doch schlussendlich verlangt mir ein halber Tourenski einiges ab. Oder ein ganz schön klobiger Schneeschuh. Was auch immer.

Es gibt keine gängige Kategorie, die die 90 Zentimeter langen Crossblades treffend beschreibt. Sie kommen aus dem Berner Oberland, von der Inventra AG aus Thun, wo Erfinder Ulo Gertsch ungewöhnliche Schnee- und Wassersportgeräte entwickelt. Ich bin mit einem Testexemplar eine Woche lang in Hasliberg unterwegs und muss mich vorab entscheiden, denn es gibt zwei Varianten. Eine mit Hartboot- und eine mit Softboot-Bindung.

Immer zwei Möglichkeiten

Schlussendlich entscheide ich mich für die Hardboot-Variante, die besseren Halt auf Abfahrten verspricht. Auf die Bindung, die sich mit jeweils einem beherzten Ruck zum Steigen lösen und zum Abfahren fixieren lässt, habe ich mich festgelegt. Ansonsten freue ich mich auf die Möglichkeiten. Der Clou der Crossblades sind die Wendeplatten. Mit einem Handgriff kannst du die Lauffläche lösen, umdrehen und auf die mit Steigfell ausgerüstete Seite wechseln. Mit einem befriedigenden «Klack» rastet sie wieder ein, denn sie werden von starken Magneten in Position gezogen und zusätzlich durch einen Hebelmechanismus fixiert. Werkzeug brauchst du dafür nicht.

Aufklappen, umdrehen, zuklappen. Das funktioniert gut.
Aufklappen, umdrehen, zuklappen. Das funktioniert gut.

Zwei Möglichkeiten bietet auch das «Twindeck-Prinzip». Die originelle Bauweise mit den hochgezogenen Rändern, die den Crossblades etwas Babybadewannenhaftes verleihen. Die schmale Fläche mit Stahlkanten soll im Hartschnee greifen. Im Tiefschnee schwimmen die Crossblades auf dem oberen Deck.

Aller Anfang ist schwer

Als die Crossblades vor mir liegen, mache ich zunächst Trockenübungen und bin fasziniert. Klack, klack, klack. Alles geht ohne Werkzeug. Aussen ist viel Plastik zu sehen. Die Magie steckt drinnen und der Umgang damit macht Spass. Selbst die separat erhältlichen Harscheisen, die in meinem Testpaket liegen, rasten magnetisch und mechanisch ein. Sie werden unter die Wendeplatte gelegt, die, genau wie die Bindung, glasfaserverstärkt ist.

Auch die beiden Crossblades lassen sich magnetisch miteinander verbinden, wodurch sie ein handliches Päckli bilden. Sie sind mit 3,7 Kilogramm nicht gerade leicht, aber der Umgang damit wirkt spielerisch einfach. Deshalb bin ich überrascht davon, wie schwer ich mich anfangs in der Praxis tue.

Das Gehen und Fahren mit den Wannen will gelernt sein.
Das Gehen und Fahren mit den Wannen will gelernt sein.

Ein Auf und Ab der Gefühle

Eines schönen Dezembermorgens stehe ich mit Crossblades an den Füssen am Pistenrand und stapfe los. Ich will von Reuti hoch zur Mägisalp, um mich dort mit der Familie zu treffen. Möglichst direkt, möglichst schnell. Zügig rauf, um dann gemeinsam abzufahren. Anderthalb Stunden später krame ich mein Smartphone aus der Tasche und schreibe: «Wartet besser nicht auf mich.»

Kommentar überflüssig.
Kommentar überflüssig.

Dann atme ich frustriert durch und kämpfe mich nassgeschwitzt weiter. Die Schritte fallen mir schwer und ich denke darüber nach, ob ich nicht doch besser die Softboot-Bindung hätte nehmen sollen. Das Gehen in den schweren Skischuhen ist wirklich anstrengend, dazu schaufle ich mir ständig Schnee in die Wannen.

In flachen Passagen finde ich meinen Rhythmus, schiebe die breiten Crossblades klappernd voran und habe Grip. Wird es steil oder uneben, kämpfe ich um Halt. Auch die Harscheisen bringen nur etwas, wenn sie sich in den Boden verbeissen können. Drei Schritte geht es, beim vierten gerate ich wieder ins Rutschen.

Die Harscheisen helfen, wirken aber keine Wunder.
Die Harscheisen helfen, wirken aber keine Wunder.

Je nach Gelände wechseln sich Freude und Frust ab. Selbst schuld. Ich hätte mir vorab eine bessere Route überlegen sollen. «Wähle für deine Crossblades-Ausflüge Schneeschuhwanderungen der Kategorie WT 1 oder WT 2», heisst es in den Tipps. Im flachen oder wenig steilen Gelände fühlen sich die Crossblades wohl. Ich komme an Grenzen und bezahle mit gelegentlichen Slapstick-Einlagen, von denen ich hoffe, dass sie niemand gesehen hat.

Auf der ersten Abfahrt mache ich auch keine bessere Figur und kämpfe darum, die schwimmenden Spitzen in der Spur zu halten. Das sieht anfangs sicher nicht schön aus, aber es geht mit jedem Pistenmeter etwas besser. Die Fangriemen muss ich vorerst nicht testen, ich komme ohne Sturz ins Tal. Abends trockne ich die Wendeplatten und stelle die Crossblades mit ein paar Fragezeichen im Kopf ab. Noch habe ich mich nicht wirklich damit angefreundet.

Der erste Tag lässt mich ratlos zurück.
Der erste Tag lässt mich ratlos zurück.

Weniger Ehrgeiz, mehr Spass

In den folgenden Tagen gehe ich jeweils fünf bis zehn Kilometer, probiere verschiedene Routen aus und lerne, was ich alles nicht muss. Ich muss mich keine Steilhänge hochkämpfen. Ich muss nicht im Tiefschnee fahren. Ich muss die Crossblades nicht an den Füssen haben, wenn ich das Gefühl habe, dass ich ohne sie leichter vorankomme.

Ich muss mich auf das Prinzip einlassen. Es ist das Sackmesser-Prinzip.

Wenn du ein Sackmesser dabei hast, dann hast du nicht das beste Messer. Aber du hast eines. Du hast nicht die beste Schere. Aber du hast eine. Du hast nicht die beste Pinzette. Aber du hast eine. Du bist mit wenig Ausrüstung sehr flexibel und wenn du sie nicht brauchst, packst du sie einfach weg. Das ist viel Wert. Entsprechend beginne ich, die Crossblades zu nutzen. Spielerisch statt verbissen, situativ statt alternativlos. Auf Schlittelwegen und tief verschneiten Schneeschuh-Pfaden komme ich gut voran und binde sie einfach an meinen Rucksack, sobald ich mehr Bock auf Stapfen habe.

So macht das Spass!
So macht das Spass!

Mal fahre ich Schlepplift, mal rutsche ich auf den Fellen bergab, mal stelle ich fest, dass das Tiefschneefahren damit wirklich schwierig ist. Nichts für mich, ich bleibe nach ein paar Metern stecken.

«Crossblades funktionieren auf weichen bis griffigen Skipisten und Schlittelwegen, in leichtem Pulverschnee und auf Firn», heisst es vom Hersteller. Kann ich bestätigen. Doch «funktionieren» ist ein weit gefasster Begriff. Es geht halt irgendwie. Je nach Können mal besser und mal schlechter.

Am liebsten sind mir weiche Pisten, im tieferen Schnee bleibe ich regelmässig stecken.
Am liebsten sind mir weiche Pisten, im tieferen Schnee bleibe ich regelmässig stecken.

So richtig begeistert bin ich auf den Schneeschuhwegen rund um die Gummenalp. Alleine auf weiter Flur, über sanfte Hügel und durch Wälder, ist das Gehen und Rutschen ein Genuss. Die Tourenski-Grüppchen sind auf anderen Wegen weitergezogen und die Landschaft bietet ein ständiges Wechselspiel, das den Crossblades entgegenkommt.

Wenn mir doch einmal Winterwanderer begegnen, muss ich die ungewöhnlichen Wannen an meinen Füssen erklären. Sie fallen definitiv auf, denn sie sind ja ein Fall für sich. Eine ganz eigene Kategorie. Fünf Tage vorher hätte ich mich noch skeptisch geäussert. Jetzt bin ich schlauer und kann sagen: Hier sind sie in ihrem Element. Ich übrigens auch. Nun habe ich nicht mehr das Gefühl, halbe Sachen zu machen.

Fazit

Die Crossblades lassen sich in keine gängige Schublade stecken. Das führt zu Missverständnissen. Der Erfindergeist dahinter hat mir von Anfang an gefallen. In der Praxis habe ich einige Stunden gebraucht, um damit warm zu werden. Dann erst habe ich ihre Bestimmung verstanden und eine sehr gute Zeit mit den Schneeschuh-Tourenski-Stumpen gehabt. Die beste Lösung ist im Zweifel die, die du gerade zur Hand hast, und Vielseitigkeit ist bei den Crossblades Trumpf. In abwechslungsreichem Gelände kommt richtig Freude damit auf. Wird es zu eisig und steil, ist Frust vorprogrammiert. Wenn du ihre Grenzen akzeptierst, lernst du die Möglichkeiten zu lieben.

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Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.


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