

Ich sehne mich nach Gesichtern – und hänge sie jetzt auf
Masken, Sicherheitsabstand und Stille wie in einer Geisterstadt. Ich vermisse Menschen und ihre Gesichter. Dem wirke ich jetzt mit meiner Inneneinrichtung entgegen.
Wann immer ich rausgehe, lächle ich die Menschen auf der Strasse an. Ich will etwas von ihnen. Kein Geld, kein Gespräch. Ich will ihre Gesichter sehen. Das, was sie unter den Masken verbergen. Schiefe Zähne, die mich anlachen, sind besser als jede teure Designer-Maske und jedes Kopfkino besser als die xte hellgrüne Einwegmaske.
Ich verfalle der Pareidolie. Formen, die nur annähernd menschlichen Gesichtszügen gleichen, werden bei mir seit Neuestem zum Gesicht. Draussen sehe ich Smileys auf Autos und von der Wohnzimmerwand grinst mich ein Clown an. Er heisst Gustav. Sein Antlitz gibt mir ein vertrautes Gefühl zurück.

Vor dem Lockdown genügte ein Blick aus dem Fenster und ich schaute auf all die Gäste des trendigen Restaurants vor meiner Türe. Jetzt ist dort niemand ausser der Uber-Eats-Kuriere hier und da.
Warum ich plötzlich überall Gesichter sehe, wird in einem NZZ-Artikel über die Pareidolie damit begründet, dass ich als soziales Lebewesen «Meinesgleichen» suche. Wenn mich Gustav also anschaut, werde ich fündig und fühle mich wohl. Es ist ein bisschen wie früher, als ich bequem von zuhause aus Leute beobachten konnte. Manchmal schauten sie auch zurück. Das machte mich verlegen. Heute würde ich sie einfach anlächeln.
Obendrein bin ich Ästhetin. Ich brauche mein Eye Candy in Sachen Outfits, Lippenstiftfarbe oder Augenbrauenlook. Jetzt geht mir der Stoff aus. Ob auf Masken oder in den leeren Strassen – ja, ich sehe sogar dort Gesichter, wo gar keine Augen oder Nasen zu erkennen sind. Ein bisschen wie die israelische Künstlerin Shira Barzilay, die die Welt zur Leinwand macht. Sie malt Visagen auf ihr Shakshuka oder Schokolade. Ich male sie auf meine Frühstückseier.

Gesichter sind nicht nur bei Shira und mir beliebt. Sie sind auch ein beliebter Schmuck für Wohnaccessoires. Vor zwei Jahren habe ich über den Wohntrend zum ersten Mal berichtet. Trotzdem fühle ich mich erst jetzt davon angesprochen. Die «menschlichen» Designs regen meine Fantasie an. So werden frische Blumen in der Vase namens Waldtraut schnell einmal zu Haaren, die ich immer wieder neu stylen kann – und zum Ersatz-Augenschmaus im Alltag.

Und wenn ich mir Waldtraut auf dem Esstisch so ansehe, hoffe ich, dass ich schon bald wieder echte Frisen im Hipster-Restaurant vor meiner Türe sehen kann. Dass die Gläser dort wieder klirren und ich zweimal aus dem Fenster schaue, bevor ich in Jogginghose zur Migros husche. Du weisst ja nie, wer da so alles sitzt. Es könnte ja ein bekanntes Gesicht darunter sein. Bis dahin müssen die schöne Waldtraut und der verspielte Gustav herhalten.
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.