Der Goalie bin ich: Fritz Berger
Hintergrund

«Ich habe keine Erinnerung an mein Leben mit zwei Beinen»

Fritz Berger ist 13 Jahre alt, als ihm das linke Bein amputiert wird. Ein Unfall auf dem elterlichen Bauernhof verändert sein Leben auf einen Schlag. Heute steht der 55-Jährige auf einem Bein im Fussballtor und als Fotomodell für Pro Infirmis vor der Kamera.

Sie sitzen in der Garderobe, der Trainer erklärt an der Tafel die Taktik. Auf den ersten Blick erinnert das Bild an die Galaxus-Kampagne von letztem Sommer. Jedoch nur auf den ersten Blick, auf den zweiten fällt auf, dass die Models der aktuellen Pro Infirmis-Kampagne ausschliesslich Menschen mit einer Behinderung sind. Einer von ihnen ist Fritz Berger.

Fritz Berger, der Mann in orange, in der aktuellen Kampagne.
Fritz Berger, der Mann in orange, in der aktuellen Kampagne.

Ein Unfall mit schwerwiegenden Folgen

Im September 1977 verletzt sich der damals 13-jährige Fritz auf dem Bauernhof seiner Eltern schwer. In der Folge muss ihm das linke Bein amputiert werden.

Was ist damals genau passiert?
Fritz Berger, ehemaliger paralympischer Skifahrer: Ich habe beim Arbeiten mit einem Einachser mit Bodenfräse auf dem Feld die Kontrolle verloren und wurde in der Bodenfräse eingeklemmt. Das hatte schwere Verletzungen zur Folge.

Und dann?
Ich wurde ins Inselspital nach Bern gebracht. Nach fünf Tagen kam es zu einer starken Entzündung, da musste das Bein amputiert werden. Ich war mehr als sechs Monate im Spital und verpasste ein halbes Schuljahr.

Heute bist du 55 und arbeitest als Polymechaniker. Welche Erinnerung hast du an die Zeit vor dem Unfall. An das Leben auf zwei Beinen?
Ganz ehrlich: Ich habe fast keine Erinnerungen mehr daran, wie es mit zwei Beinen war. Ich kann beim besten Willen nicht mehr sagen, wie sich das angefühlt hat. Es ist ja auch schon über 40 Jahre her.

Was war damals die grösste Herausforderung, um deinen Alltag meistern zu können?
Ich musste lernen, dass nicht mehr alles geht und konnte auf dem Bauernhof meiner Eltern nur noch wenig mithelfen. Das war schwierig. Nachher ging ich wieder ganz normal zur Schule und habe dann eine Lehre als Polymechaniker gemacht.

Mehr als 30 Schweizer-Meistertitel

Bereits 1981, nur gerade vier Jahr nach dem fatalen Unfall, nimmt Fritz Berger an seinen ersten Schweizer-Meisterschaften im Ski Alpin teil. 1984 folgen die ersten Paralympics. Bis zu seinem Karriere-Ende 2007 gewinnt er an Paralympics und Weltmeisterschaften im Skirennsport neun Medaillen für die Schweiz. Und wird in diversen Disziplinen mehr als 30 Mal Schweizermeister.

Du hast an internationalen Meisterschaften viele Medaillen gewonnen. Welche bedeutet dir am meisten?
Mein grösster sportlicher Erfolg war der Titel im Slalom an der Weltmeisterschaft in Lech 1996.

Warum, was macht diesen Titel speziell für dich?
Es ist schwer im Slalom zu gewinnen, schwerer als beispielsweise in der Abfahrt. Du darfst in zwei Läufen keine Fehler machen und musst trotzdem viel Risiko eingehen.

Und welches war der emotionalste Moment deiner Karriere?
Nach den Paralympics 1988 in Innsbruck wurde ich an die Olympischen Winterspiele nach Calgary zu einem Demonstrationswettkampf eingeladen und wurde Dritter. Die Siegerehrung fand vor 60 000 Leuten statt. Das war mein emotionaler Höhepunkt.

Mir fällt auf, dass du beim Sport keine Prothese trägst. Warum?
Ich bin ohne Prothese viel beweglicher. Sowohl als Torhüter beim Fussball wie auch beim Skifahren.

Fritz Berger ohne Prothese unterwegs.
Fritz Berger ohne Prothese unterwegs.

Welche Rolle spielt der Sport in deinem Leben?
Ich habe nach meinem Unfall gleich wieder mit dem Sport angefangen und zum Beispiel mit Kollegen viel Fussball gespielt. Ich wurde von ihnen so aufgenommen, wie vor der Amputation. Der Fussball war auch ein gutes Training für das Skifahren. Und der Erfolg war natürlich eine Bestätigung für den Aufwand, den ich betrieben habe. In der Öffentlichkeit wurde ich nicht mehr als Behinderter wahrgenommen, sondern als Sportler. Ausserdem durfte ich durch den Sport viele Leute
kennenlernen. Ich verdanke dem Sport sehr viel.

Welche Begegnungen bleiben in Erinnerung?
Ich habe viele Politiker kennengelernt. Unter anderem Bundesräte, die hauptsächlich bei Ehrungen nach Grossanlässen anwesend waren. 1998 in Nagano durfte ich den japanischen Kaiser treffen. Das Beste waren aber die Begegnungen mit «normalen» Leuten, die es gut gefunden haben, was ich mache. Die zufälligen Begegnungen.

Und andere Sportler?
Mit anderen Athleten hast du dich bei den Trainings getroffen, im Herbst auf den Gletschern. Aber meistens waren wir Behindertensportler unter uns.

Du hast die Paralympics 1998 in Nagano erwähnt. Was war speziell in Japan?
An den Paralympics in Nagano mussten wir am Wettkampftag immer bereits um vier Uhr morgens aufstehen, weil die Fahrt zu den Wettkampfstätten zwei Stunden dauerte. Und kamen erst spät am Abend wieder zurück.

Hast du andere Erlebnisse, die dir in Erinnerung bleiben?
Es gibt viele Anekdoten. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Geschichte in New York. Wir mussten mit dem Taxi von einem Flughafen zum anderen fahren. Dabei hatten wir so viele Skisäcke geladen, dass das Dach des Taxis eingedrückt wurde. Ja, es gäbe viel zu erzählen.

2007 hast du deine Ski-Karriere beendet. Gibt es etwas, das du rückblickend anders machen würdest?
Ich würde die speziellen Momente noch mehr geniessen.

Heute bist du Torhüter des Plusport Team 2000. Wie schätzt du den Stellenwert des Behindertensports in der Schweiz ein?
Ich denke, der Behindertensport ist in der Gesellschaft gut akzeptiert. Und beim Behindertensport geht’s noch um Sport und nicht ums Geld.

Du bist Teil der aktuellen Pro Infirmis-Kampagne. Warum hast du mitgemacht?
Mir gefällt die Idee der Kampagne, nicht nur junge, schöne Menschen in der Werbung zu zeigen. Sondern eben alle Facetten unseres Lebens. Und dazu gehören auch Menschen mit einer Behinderung. Die finden sonst in der Werbung eigentlich nicht statt.

Gemäss Pro Infirmis werden die rund 1.8 Millionen Menschen mit einer Behinderung in der Schweiz noch immer häufig ausgegrenzt und kämpfen für die Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Was sind deine Erfahrungen diesbezüglich?
Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine pauschale Antwort gibt. Je nach Art und Grad der Behinderung, ist der Umgang wohl unterschiedlich. Ich persönlich habe nur wenig Negatives erlebt. Ich denke, das hat auch sehr stark mit dem Sport zu tun.

Und wie lange wirst du noch Sport treiben?
Ich werde so lange Sport machen, wie es mein Körper zulässt.

Fritz Bergers wichtigste Erfolge

  • 1988 Paralympics Innsbruck: Goldmedaille Abfahrt
  • 1996 WM Lech: Gold im Slalom, Silber im Riesenslalom, Bronze in der Abfahrt
  • 1998 Paralympics Nagano: Silber im Slalom, Bronze in der Abfahrt
  • 2000 WM Anzère: je Bronze in Abfahrt und Slalom
  • 2004 WM Wildschönau: Silbermedaille im Riesenslalom
  • Über 30 Titel an Schweizer-Meisterschaften

Mehr Geschichten findest du hier. Folge einfach meinem Autorenprofil.

Bildmaterial von PluSport Behindertensport Schweiz
Titelbild: Der Goalie bin ich: Fritz Berger

39 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


Sport
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Piste gut. Hand kaputt.

    von Patrick Bardelli

  • Hintergrund

    Cool Runnings auf Südafrikanisch

    von Patrick Bardelli

  • Hintergrund

    «Als Visagistin habe ich viel Abfall produziert – dahinter konnte ich irgendwann nicht mehr stehen»

    von Natalie Hemengül

4 Kommentare

Avatar
later