Hintergrund

Haut, Darm, Herz: Wo du überall Riech-Rezeptoren hast

Anna Sandner
6.12.2023

Spermien mögen Maiglöckchenduft, Haare fallen nicht aus und Wunden heilen schneller durch Sandelholzgeruch: Die heutige Forschung weiß einiges über die Geruchsvorlieben deiner Organe. Wofür die Riech-Rezeptoren im gesunden Körper gut sind und wie sie bei der Diagnose und Behandlung von Krankheiten helfen können.

In deiner Nase sind Riech-Rezeptoren. Klar, sonst könntest du nichts riechen. Und lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass das der einzige Ort ist, an dem diese Art der Sensoren vorkommt. Schließlich ist die Nase fürs Riechen zuständig. Wozu sollten andere Organe also Riech-Rezeptoren brauchen?

Doch weit gefehlt, wie sich mittlerweile herausgestellt hat: Jede einzelne Körperzelle besitzt Riech-Rezeptoren, sei es im Darm, im Herz oder in der Lunge. Sie sind einfach überall und bis jetzt weiß man von vielen weder, auf welchen Duft sie reagieren, noch, wozu sie überhaupt da sind.

Wie funktioniert die Nase?

Aber fangen wir von vorne an: Wie funktioniert das Riechen überhaupt? Wenn dir ein Duft in die Nase steigt, docken die Duftmoleküle an die schon erwähnten Rezeptoren in den Riechsinneszellen an. Diese befinden sich in der Riechschleimhaut an der Nasenscheidewand. Das Signal wird dann ins limbische System des Gehirns weitergeleitet, dem Bereich, der für deine Emotionen zuständig ist. Das ist der Grund, warum Gerüche häufig stark mit Gefühlen verbunden sind und lange im Gedächtnis bleiben.

Deine Nase arbeitet immer. Sogar im Schlaf leitet sie mit jedem Atemzug, den du machst, Informationen ans Gehirn weiter. Und sie fängt auch nicht erst bei der Geburt damit an: Bereits im Mutterleib ist sie aktiv und verarbeitet alles, was die Schwangere riecht oder isst.

Alle vier Wochen erneuern sich die 30 Millionen Riechzellen in deiner Nase. Durch Stammzellen ist gesichert, dass dieser Prozess ein Leben lang anhält, auch noch in hohem Alter.

Warum gibt es Riech-Rezeptoren außerhalb der Nase?

Naturdüfte oder auch Parfüms sind immer eine Komposition unterschiedlicher Duftmoleküle. Insgesamt gibt es etwa 350 verschiedene Riech-Rezeptoren, von denen jede Art auf ganz bestimmte Duftmoleküle reagiert. Ein Rezeptortyp reagiert etwa auf Vanillin, ein anderer auf Moschus. Mit den verschiedenen Rezeptortypen ist die gesamte Duftwelt abgedeckt.

Dokt ein Duftmolekül nun an den zugehörigen Rezeptor an, wird das Signal zunächst verstärkt und die Information dann ans Gehirn weitergeleitet. Im Gehirn werden die einzelnen Duft-Informationen (also welche Kombination von Rezeptoren ein Signal abgegeben hat) wieder zusammengesetzt und diese spezifische Zusammenstellung als Duft erkannt und gespeichert.

Bislang ist allerdings erst von etwa 10 Prozent der Duft-Rezeptoren bekannt, auf welche Düfte sie reagieren. Das liegt daran, dass die Erforschung nicht ganz einfach ist. Denn dafür muss es erst gelingen, den Rezeptortyp zu isolieren und ihn dann im Labor zu reproduzieren. Wenn das geschafft ist, muss der passende Geruch gefunden werden, der ihn aktiviert. Eine mühselige, zeitaufwendige und damit teure Forschungsarbeit. Bekannt sind bislang zum Beispiel unter anderem die Rezeptoren für Vanillin, Veilchen, Zitrone, Banane, Moschus.

Riech-Rezeptoren im ganzen Körper: mit Galle, Lunge und Leber riechen?

In allen Zellen im Körper gibt es Riech-Rezeptoren: Von der Leber und Lunge, zu den Nieren, in der Galle, im Magen und Darm bis hin zum Herzen – eben überall. Jedes Gewebe hat dabei eine immer gleiche Kombination aus den verschiedenen Riech-Rezeptortypen, ein eigenes, gewebespezifisches Rezeptormuster. Das heißt aber nicht, dass diese Organe riechen können. Denn die Information wird nicht als Riech-Signal ins Gehirn geleitet. Trotzdem reagiert der Körper auf die Geruchsmoleküle.

Was machen die Riech-Rezeptoren?

Sie sind für gewöhnliche Stoffwechselprozesse im Körper wichtig. So gibt es etwa im Darm über 20 Riech-Rezeptortypen, die die Nahrung analysieren, die du isst. Bekannt sind zum Beispiel Rezeptoren, die speziell auf Gewürze wie etwa Kümmel oder Nelken reagieren, indem sie die Serotonin-Freisetzung anstoßen und dadurch die Darmaktivität steigern. Wenn du beispielsweise Magenbitter trinkst, aktivierst du über diese Rezeptoren im Darm deine Verdauung.

Die Riech-Rezeptoren in der Lunge wiederum analysieren die Atemluft. Wenn etwa durch eine allergische Reaktion die Muskeln um die Bronchien kontrahieren, kann sich die Lunge nicht mehr ausreichend ausdehnen. Es kommt zu Atemnot. Hier könnte man sich einen bestimmten Rezeptortyp (OR2AG1) zunutze machen, der auf einen Stoff namens Amylbutyrat reagiert. Atmet man diesen Aprikosen-ähnlichen Duft ein, entspannt sich die Muskulatur und die Bronchien weiten sich wieder.

Spermien mögen Maiglöckchenduft

Die ersten Riech-Rezeptoren, die außerhalb der Nase entdeckt wurden, fanden Forschende in Spermien. Passend dazu gibt es im weiblichen Genitaltrakt 15 Duftstoffe, die an die Rezeptoren der Spermien andocken können. Sie steuern die Schwimmgeschwindigkeit und -richtung der Spermien, damit sie ihren Weg zur Eizelle finden.

Wunden, Haut und Haare «riechen» gerne Sandelholz

Auch in deiner Haut sind Riech-Rezeptoren, die durch bestimmte Aromen aktiviert werden. Über 20 verschiedene Rezeptortypen kommen hier vor. Zu manchen ist die Funktion und der aktivierende Duft noch nicht bekannt. Um sie nicht zu verwirren oder zu überfordern, solltest du deshalb Parfüm nie direkt auf die Haut sprühen, sondern besser auf die Kleidung oder die Haare.

Was man aber schon weiß: Ein Typ der Rezeptoren reagiert auf Sandelholz, indem er dafür sorgt, dass sich die Hautzellen schneller teilen und bewegen. Das macht Sandelholz zu einem Stoff, der die Wundheilung unterstützt. Es hat aber noch eine weitere Funktion: Sandelholz verlängert das Haarwachstum. Sprich: Haare sterben nicht so schnell ab, es kommt nicht zum verfrühten Haarausfall.

Krebsdiagnose und -bekämpfung über Riech-Rezeptoren

Nicht nur in gesunden Organen, sondern auch in kranken Geweben spielen Riech-Rezeptoren eine wichtige Rolle. Es kann zu einer veränderten Anzahl oder auch zum Auftreten anderer Rezeptortypen kommen, wenn Zellen erkranken. In vielen Fällen sind die zugrunde liegenden Mechanismen (noch) nicht bekannt. Doch das, was man bisher darüber weiß, stimmt hoffnungsvoll, sich die Riech-Rezeptoren zur Diagnose und Behandlung einmal zu Nutze machen zu können.

So konnte zum Beispiel schon gezeigt werden, dass sich Leukämiezellen durch die Stimulierung bestimmter Riech-Rezeptoren zu roten Blutkörperchen ausdifferenzieren. Oder dass das Wachstum von Lungenkarzinomen, Prostata- oder Darmkrebszellen gehemmt werden kann.

Auch zur Diagnostik von Blasenkrebs kann ein bestimmter Rezeptortyp genutzt werden: Im gesunden Körper kommen diese Riech-Rezeptoren nirgends vor. In den Blasenkrebszellen werden sie hingegen extrem häufig gefunden. In diesem Fall lässt sich die hohe Konzentration dieses Rezeptortyps im Urin nachweisen und kann zur Diagnose von Blasenkrebs verwendet werden.

Weites Forschungsfeld

Auch wenn die Forschung zum Thema immer weiter Fahrt aufnimmt, gibt es auf viele Fragen bis jetzt keine Antworten. Noch weiß man vom Großteil der Riech-Rezeptoren nicht, auf welche Duftmoleküle sie reagieren. Gelingt es aber, die Rezeptoren im Labor nachzubauen und den passenden Duft zu identifizieren, eröffnet das in Zukunft neue Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung von Krankheiten.

Quellenhinweis: Die Informationen für diesen Artikel stammen aus dem Übersichtsartikel «Human Olfactory Receptors: Novel Cellular Functions Outside of the Nose» und einem sehr empfehlenswerten Vortrag von Prof. Hatt, der den Lehrstuhl für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum innehat.

Titelfoto: Cottonbro/pexels

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Wissenschaftsredakteurin und Biologin. Ich liebe Tiere und bin fasziniert von Pflanzen, ihren Fähigkeiten und allem, was man daraus und damit machen kann. Deswegen ist mein liebster Ort immer draußen – irgendwo in der Natur, gerne in meinem wilden Garten.


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