
Faszination Ultramarathon: Immer weiter und weiter

Ein Marathon ist dir nicht weit genug? Willkommen im Club: Für eine auserwählte Athletenschaft dieser Welt beginnt das Laufen erst ab der 42.195-Kilometer-Marke. Denn die Ultramarathon-Cracks messen sich in Rennen, welche nicht selten über 100 000 Meter lang sind. Den Körper an seine Grenzen zu bringen und beinahe Unmenschliches zu leisten, ist für diese Ausnahmetalente ihr täglich Brot.
Wo Marathonläufer ihre Hände völlig erschöpft, aber unendlich zufrieden in den Himmel recken, beginnt für eine ganz spezielle Gattung an Sportlern der Wettkampf erst so richtig. Die Ultramarathon-Disziplin gewinnt im 21. Jahrhundert zunehmend an Aufsehen, da sie die Hybris in Technologie, Wirtschaft und Politik im Grundgedanken unterstützt: Immer besser, immer grösser und immer weiter. Wieso es Filippo Rossi, Takahiro Sunada, Ludwick Mamabolo, Bruce Fordyce und viele weitere danach dürstet, ununterbrochen zu laufen, habe ich versucht, herauszufinden.

Bei jedem Wetter
In den entlegensten Ecken dieser Welt sind sie zu finden: Von Neuseeland über La Réunion bis in die Antarktis treibt es die Ultramarathon-Läufer. Dabei spielen das Wetter oder gar die klimatischen Bedingungen keine Rolle. Es wird überall dort gerannt, wo ein Boden unter den Füssen zu finden ist. Die verschiedenen Umgebungen und Temperaturen von unter dem Gefrierpunkt bis weit darüber sind fester Bestandteil im Alltag dieser Ausdauerathleten. Eiskalter Schnee, heisser Sand oder steinharte Geröllhalden sind die Spielwiesen dieser Extremsportler, die sich über den gesamten Globus verteilen.

Weiter als du denken kannst
Und dabei gilt stets: Je weiter, desto besser. Je höher, desto herausfordernder. Und je entlegener, desto spezieller. Wenn für dich «normal» ein unbekanntes Wort ist, ein Marathon zur Kurzstrecke wird und ein Rennen erst bei Kilometer 100 beginnt, dann solltest du einen Jobwechsel zur Ultramarathon-Disziplin ernsthaft in Erwägung ziehen. Die beliebtesten Distanzen in dieser Kategorie sind Läufe über 50, 75, 100, 161 (entspricht 100 Meilen) oder 250 Kilometer. Auch Stunden- oder Etappenläufe sind prädestinierte Wettkämpfe für Ultramarathon-Läufer. Erstere enden meist nach 6 oder 24 Stunden, während letztere oft über mehrere Tage oder gar Wochen andauern.
Journalist und Ultrarunner in einem
Filippo Rossi, unlängst in den Medien wegen seines Berufs als freier Journalist, ist Schweizer und begeisterter Ultramarathon-Läufer. Sein aktuellstes Projekt, den Grandslam der vier Wüsten auf vier verschiedenen Kontingenten zu absolvieren, sagt bereits einiges über seinen Charakter aus. «Ich finde die Kraft zu wachsen in persönlichen Niederlagen. Sie geben mir Mut, besser zu werden und aus Fehlern zu lernen. Ein echter Sportler zu sein bedeutet für mich, niemals aufzugeben», meint Rossi in einem Interview. Beim Ultramarathon verletzungsfrei durchzukommen, grenzt laut Rossi an ein Wunder. «Ich trainiere, plane und bete, um Verletzungen und Risiken auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.»

Einsteiger-Tipps
Das Wichtigste gleich vorneweg: Du wirst nicht über Nacht zum besten Ultramarathon-Läufer aller Zeiten. Niemals. Das Ganze braucht extrem viel Geduld, Ausdauer und Training. Wenn beispielsweise bei einer Marathonvorbereitung Kurzläufe über 10 oder 20 Kilometer auf dem Programm stehen, sind dies beim Ultramarathon gut und gerne 30 oder 40 Kilometer. Ausserdem gehört mentales Training genauso dazu wie die körperliche Vorbereitung. Wie beim Marathon ist auch die Ernährung ein zentrales Element und nicht zu vernachlässigen. Beim Ultramarathon gibt es übrigens keine Nebensaison, es kann und soll immer trainiert werden. Filippo Rossi gibt Anfängern folgende Tipps mit auf den Weg: «Lote die Grenzen deines Körpers aus, hab niemals Angst und glaube an dich. Es ist niemals zu spät, denn jeder hat irgendwann bei Null angefangen.»

Weit entfernt von einem Marathon
Fact: Als Marathonläufer hast du einen Vorteil, falls du dich zu einem Ultramarathon entschieden hast. Beachte aber auch, dass dies kein Garant für einen erfolgreichen Langstreckenlauf ist. Im Gegenteil, du fühlst dich eventuell zu sicher. Denn die Unterschiede sind frappant: Beim Ultramarathon rennst du über Schnee, Sand und Geröll. Es gibt keine Durchschnittsgeschwindigkeit, das Gelände bestimmt deine Pace. Das Schuhwerk ist kaum zu vergleichen, denn deine Füsse erfahren Belastungen, die du so noch nie gespürt hast. Ausserdem solltest du auch immer ein Auge auf den Untergrund haben – wo du deinen Fuss hinsetzt, kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Und last, but not least: Die Zeit spielt keine Rolle. Es geht einzig und alleine ums Ankommen.

No limits
Die Faszination des Ultramarathons liegt nicht nur in der Länge der Läufe, sie versteckt sich auch in den Klimabedingungen, den Locations und den Anforderungen an den Runner. Falls du jetzt denkst, Ultramarathon-Läufer haben das Privileg, einzigartige Orte bereisen und bewundern zu können, liegst du falsch. Die ersten Kilometer sind zum Geniessen, ja. Aber danach geht es nur noch ums nackte Überleben. Den Körper an seine Grenzen – und darüber hinaus – bringen. Das Maximum herausholen und keine Angst kennen. Niederlagen eingestehen, jedoch nie aufgeben. Erfolge feiern, aber immer mehr erreichen wollen. Schmerzen ausblenden und dagegen anrennen. Das ist Ultramarathon.



Wenn ich nicht gerade haufenweise Süsses futtere, triffst du mich in irgendeiner Turnhalle an: Ich spiele und coache leidenschaftlich gerne Unihockey. An Regentagen schraube ich an meinen selbst zusammengestellten PCs, Robotern oder sonstigem Elektro-Spielzeug, wobei die Musik mein stetiger Begleiter ist. Ohne hüglige Cyclocross-Touren und intensive Langlauf-Sessions könnte ich nur schwer leben.