Hintergrund

Expertin klärt auf: Deshalb ist die Knopfleiste in der Frauenmode links statt rechts

Frauen knöpfen von links, Männer von rechts. So lautet der Status Quo. Doch wieso eigentlich? Das Internet spuckt zahlreiche Theorien aus – die meisten sind Schwachsinn.

Eigentlich wollte ich nur wissen, wieso die Knöpfe auf fast all meinen Blusen, Cardigans und Blazern links angenäht sind – schon steckte ich knietief in Theorien rund um spätmittelalterliche Schwertkämpfe, hungrige Babys und stürmische Ausritte im Damensattel.

Angefangen hat alles mit dem Buch «The Hidden Facts of Fashion». Es hat mir nach 27 unwissenden Jahren beigebracht, dass sich anhand der Verschlussrichtung recht treffsicher bestimmen lässt, für welche Kleiderabteilung ein Oberteil designt wurde. Knopfleiste rechts: Männer oder unisex. Knopfleiste links: Frauen. Das Buch erklärt die Platzierung auf der rechten Seite damit, dass die Mehrheit der Bevölkerung rechtshändig sei und dem Träger so das Knöpfen leichter falle. Doch was ist mit der Trägerin?

Influencerin Caroline Lin knöpft ihr Oberteil anders ...
Influencerin Caroline Lin knöpft ihr Oberteil anders ...
Quelle: Instagram: thecarolinelin
... als Influencer Josef Michael.
... als Influencer Josef Michael.
Quelle: Instagram: @josefmiichael

Sorgen um Zofen und den Fahrtwind bei einem PS

Als Knöpfe in Europa im 13. Jahrhundert erstmals auch als Verschluss statt nur als reines Zierelement verwendet wurden, kleideten sich wohlhabende Frauen dem Buch nach nicht selber ein. Dafür habe es Zofen gegeben – und die hätten es wegen ihrer Perspektive mit der linken Knopfleiste nun mal leichter gehabt. Dass die Oberschicht damals Rücksicht auf Bedienstete genommen haben soll, erscheint mir fragwürdig. Dass die Verschlussrichtung das Ankleiden merklich erleichtern könne, genauso. Also durchforste ich das Internet nach weiteren Erklärungen – und werde fündig. Zuhauf. Bloss erscheinen diese noch abwegiger.

Bis ins 20. Jahrhundert mussten Frauen im Damensitz reiten, also mit beiden Beinen nach links ausgerichtet. Einer weitverbreiteten Theorie zufolge wurde die Knopfleiste deshalb nach links versetzt, damit der Fahrtwind nicht frontal in die Öffnung wehen konnte. Echt jetzt? Da frage ich mich, ob ein Unterhemd nicht die bessere Lösung gewesen wäre. Ganz zu schweigen davon, dass sich die Mode in Zeiten des Korsettwahns wohl kaum um den Komfort der Reiterin sorgte.

Eine weitere Theorie hebt hervor, dass die meisten Frauen ihr Baby auf dem linken Arm tragen. Vor dem Stillen lasse sich eine Bluse mit linker Knopfleiste demnach leichter öffnen. Ich hab mir als Säugling-Ersatz eine Weinflasche auf den Arm gelegt, beide Verschlussrichtungen ausprobiert und dabei realisiert: Es macht absolut keinen Unterschied. Nur eines wurde deutlich: Wenn ich keinen Profi herbeiziehe, der mich durch die Fülle an obskuren Theorien navigiert, verfolgen mich Knöpfe bald im Schlaf.

Die Expertin hat so ihre Zweifel

Ich wende mich deshalb an Fachdozentin Andrea Krieg, die an der STF Schweizerischen Textilfachschule unter anderem das Modul «Fashion History» unterrichtet. Gleich zu Beginn stellt sie klar: «Ich habe bis heute keine historische Niederschrift gefunden, die eine klare Begründung liefert.» Schlussendlich kann über die unterschiedliche Knopfanordnung also nur spekuliert werden – wobei einige Interpretationen stichhaltiger sind als andere. Die geläufigen Theorien zur linken Knopfleiste erhalten auch von der Expertin das Prädikat «wenig überzeugend».

Nachvollziehbar sei jedoch die Annahme, dass die Verschlussrichtung der Männerkleidung auf den Schwertkampf zurückgeht: «Die Waffe wurde links am Körper getragen und mit der rechten Hand gezückt. Damit der Mann sich dabei nicht in der Öffnung des Gewands verfängt, wurden die Knöpfe rechts angenäht.» Ein weiterer Vorteil, den Napoleon bekanntlich liebte: Er konnte seine Kampfhand durch die Öffnung schieben und am Körper warm halten. Hört sich alles plausibel an. Doch was ist mit der Trägerin?

Aktuelles aus dem vorletzten Jahrhundert

«Bei Frauen haben sich Knöpfe erst viel später etabliert», erklärt Andrea Krieg. «Historische Abbildungen zeigen, dass ihre Kleider im Spätmittelalter noch immer auf den Körper geschnürt wurden. Zu dieser Zeit kamen bei Männern bereits geknöpfte Jacken auf.» Ausschlaggebend sei, dass sich die Damenkleidung ab dem 19. Jahrhundert immer mehr der Herrenkleidung angepasst habe: «Durch die Knopfleiste wurde definiert, welches Produkt für welches Geschlecht angedacht ist.»

So simpel also. Obwohl wir für die Auflösung des Knopfmysteriums einen Abstecher in weit vergangene Jahrhunderte machen mussten, ist die Erklärung im Gegensatz zu Damensätteln und Kammerzofen noch immer aktuell: Unsere Gesellschaft brauchte wortwörtlich einen Grund, um Dinge in unterschiedliche Schubladen zu stecken.

Auftaktbild: Pia Seidel

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Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.


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