
Hintergrund
Wieso kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen?
von Kevin Hofer
Auch wenn ich mir gerne das Gegenteil einrede: Höchst selten kaufe ich etwas nur wegen des praktischen Nutzens. Was hinter unserem Konsumverhalten steckt, analysierte Thorstein Veblen schon 1899 in seiner «Theorie der feinen Leute». Ob gewollt oder nicht, hat das Buch satirischen Charakter und ist auch heute noch lesenswert.
Weshalb kaufen wir ständig Zeug, das wir nicht brauchen? Dieser Frage hat sich Kollege Kevin Hofer vor einiger Zeit angenommen.
Es gibt dazu ganz unterschiedliche Erklärungen: psychologische, gesellschaftliche, wirtschaftliche. Thorstein Veblen hat dazu bereits um 1899 eine umfassende Theorie entwickelt. Eine Theorie, die ihm haufenweise Feinde einbrachte. Nicht weil sie offensichtlich falsch war, sondern weil sie unangenehme Bemerkungen beinhaltete, die keiner hören wollte. In der Originalsprache heisst das Buch «Theory of the leisure class», auf Deutsch «Theorie der feinen Leute».
Veblen war Ökonom, aber heute würde man sein Werk eher der Soziologie zuordnen oder sogar als unwissenschaftlich bezeichnen. Da gibt’s keine Belege in Form von Zahlen, Statistiken und Studien. Es ist eine seinem eigenen Gehirn entsprungene Theorie, eine Ideenwelt. So wie die Ideen von Freud, Marx (ebenfalls ein Ökonom) oder Darwin. Stellenweise liest es sich wie eine Gesellschaftssatire.
Die Kernidee ist simpel: Menschen kaufen Dinge, um damit ihren sozialen Status zu untermauern. Der Besitz bestimmter Produkte markiert die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht. Diese Erkenntnis überrascht niemanden; unter dem Begriff «Statussymbol» kennt das heute jeder. Oder das Zitat, das viel älter ist als der Film «Fight Club»:
We buy things we don't need with money we don't have to impress people we don't like.
Doch Veblen entwickelt aus dieser Idee eine umfassende Theorie, mit der er die unterschiedlichsten Aspekte menschlichen Verhaltens erklärt. Dazu gehören neben dem Konsumverhalten auch die Stellung der Frau in der Gesellschaft, Modediktate und Schönheitsideale, die Verherrlichung von Krieg, Jagd und Gewalt, religiöse Rituale oder warum Stadtmenschen modischer aussehen als Landbewohner.
Laut Veblen gibt es in allen menschlichen Gesellschaften – ausgenommen die ganz frühen Naturvölker – eine privilegierte Klasse, die ihre Überlegenheit zur Schau stellt. Was sich im Lauf der Zeit ändert, sind die Methoden, mit denen die Macht demonstriert wird.
In der vorindustriellen Zeit gibt es im Vergleich zu heute sehr wenig Waren. Auch die Privilegierten besitzen daher nur wenige Dinge. Ihr Privileg besteht vor allem darin, dass sie Bedienstete haben. Sprich: Dass sie nicht arbeiten müssen.
Dieses Privileg wird verteidigt. Aber nicht in erster Linie aus Faulheit. Laut Veblen hat jeder Mensch von Natur aus einen «Werkinstinkt», würde also eigentlich gerne etwas tun. Aber die Konventionen verbieten dies . Das zur Schau gestellte Nichtstun dient vor allem dazu, Macht und Ansehen zu demonstrieren. Deshalb «genügt es nicht, Reichtum und Macht zu besitzen. Beide müssen sie auch in Erscheinung treten, denn Hochachtung wird erst ihrem Erscheinen gezollt.»
Veblen nennt das den «demonstrativen Müssiggang».
Nun wäre es ja möglich, dass jemand sich nur vordergründig faul gibt und heimlich wie ein Verrückter arbeitet. Die Schwierigkeit für die Angehörigen der Oberschicht besteht also darin, zu beweisen, dass sie auch dann nichts Produktives tun, wenn sie allein sind. Die Lösung: Sie demonstrieren Fähigkeiten in Dingen, die nicht produktiv, aber extrem zeitaufwändig zu erlernen sind. Etwa das Spielen von Instrumenten, ausgeklügelte Höflichkeitsformen oder die Kunst der gepflegten Konversation. Wer solche zum Überleben keineswegs notwendigen Dinge beherrscht, zeigt damit, dass er oder sie sehr viel Freizeit hat.
Die Privilegierten versuchen natürlich, sich gegenseitig zu überbieten. Darum nimmt der demonstrative Müssiggang schnell absurde Formen an. Wer es sich leisten kann, stellt mehr Bedienstete an, als er für seine Arbeitsentlastung braucht. Denn auch dies demonstriert Reichtum. Dadurch gibt es auch unter den Bediensteten solche, die keine produktive Arbeit verrichten – und diese stehen in der Rangfolge der Bediensteten zuoberst.
Diese Bediensteten verrichten zwar durchaus Tätigkeiten – damit jeder sieht, dass es Bedienstete sind. Allerdings gilt: Je unnötiger eine solche Tätigkeit ist, desto mehr zeugt dies vom Reichtum und der Macht des Besitzers. Zum Beispiel empfängt ein hoher Bediensteter Gäste, würde aber niemals deren Koffer tragen – dafür gibt es einen tiefer gestellten Angestellten. Mit solch umständlichem Gehabe demonstriert der Besitzer, dass er sich jede Verschwendung von Personal leisten kann. Je unsinniger, desto besser.
Im Kapitalismus und dem industriellen Zeitalter bekommen Waren einen viel höheren Stellenwert. Einerseits, weil es mehr wertvolle Güter gibt und man sich damit besser von anderen abheben kann. Andererseits, weil zu diesen Gütern auch Maschinen gehören, die den Menschen Arbeit abnehmen und die Bediensteten ersetzen. Reichtum wird mehr und mehr als Anhäufung von Gütern definiert. Dazu passt die Arbeitswerttheorie, eine ökonomische Theorie des 19. Jahrhunderts. Sie besagt, dass der Wert einer Ware aus der Arbeitszeit besteht, die in sie gesteckt wurde.
Waren sind also gewissermassen das Ergebnis der Arbeit von Bediensteten. Folgerichtig müssen auch Waren eine luxuriöse Verschwendung sein, wenn sie zeigen sollen, dass der Betreffende reich und mächtig ist. Was nun folgt, ist klar: Produkte werden gekauft, nicht obwohl, sondern gerade weil sie sinnlos sind. Der Käufer zeigt damit, dass er reich genug ist, um sich sinnlose Dinge zu leisten. Das ist die Geburtsstunde des Demonstrativkonsums.
Natürlich sind die wenigsten Statussymbole komplett nutzlos. Aber erstaunlich viele haben eine irrationale Komponente. Veblen beobachtet zum Beispiel die Vorliebe der Reichen für handgefertigte Produkte, die qualitativ keineswegs besser sind als maschinell gefertigte, sondern einfach nur teurer. Diese Produkte werden nach seiner Theorie vor allem deshalb gekauft, weil sie sich nicht jeder leisten kann.
Wenn die Verschwendung die Zugehörigkeit zu einer privilegierten Klasse festigen soll, dann ist es wichtig, dass sie den gesellschaftlichen Normen entspricht. Es geht also nicht nur darum, das Geld mit beiden Händen aus dem Fenster zu werfen, sondern dies auf möglichst angesagte Weise zu tun. Darum widmet Veblen der Ästhetik und den Geschmacksfragen ein ausführliches Kapitel.
Handgemachte Gegenstände sind oft schön, doch das sei nicht der wahre Grund, weshalb sie begehrt sind. Sie sind begehrt, weil sie teuer sind, wegen «unserer Vorliebe für das Kostspielige, dem wir die Maske der Schönheit umhängen».
Generell stellt Veblen fest, dass vieles als schön gilt, weil es teuer ist, und nicht umgekehrt. Blumen, die zwar schön sind, aber überall wachsen und somit für alle zu haben sind, werden als Unkraut bezeichnet. Hingegen werden hässliche, aber seltene Haustiere als schön eingestuft: «Viele Leute halten nämlich selbst noch jene Hunderassen für schön, die irgendein Hundeliebhaber bis zur völligen Entstellung hochgezüchtet hat. Bei derartigen Hunderassen [...] verhält sich der ästhetische Wert ungefähr proportional zum Grad der Absurdität und Flatterhaftigkeit der jeweiligen Mode, die für die Züchtung solcher Missgeburten verantwortlich ist.» Der Grund: «Der Handelswert dieser abscheulichen Kreationen beruht auf den hohen Produktionskosten.»
Eine prominente Stellung bei Geschmacksfragen nimmt die Kleidung ein. Der Gebrauchswert spielt eine völlig untergeordnete Rolle. Mode eignet sich besonders gut für den Demonstrativkonsum, weil sie die Zugehörigkeit zu einer Klasse sofort sichtbar macht. Die Mode der oberen Schichten ist dabei immer so entworfen, dass sie körperliche Arbeit verunmöglicht. Damit schlagen die feinen Leute zwei Fliegen auf einen Klatsch: Demonstrativkonsum und demonstrativer Müssiggang.
Der Konsum von unnötig teuren Gütern, die dem guten Geschmack entsprechen, betrifft aber nicht nur Gegenstände, die zur Schau gestellt werden, sondern auch Dinge wie Unterwäsche oder Haushaltsgegenstände. Denn die Menschen handeln unbewusst nach diesem Muster, und sie eignen sich eine generelle Denk- und Verhaltensweise an, die sich auf alle Bereiche auswirkt.
Der Demonstrativkonsum bleibt auch nicht auf die reichen Schichten beschränkt. Ärmeren Leuten ist sehr daran gelegen, nicht allzu ärmlich zu erscheinen. «Keine Klasse, nicht einmal die allerärmste, versagt sich jeglichen demonstrativen Verbrauch», schreibt Veblen. Lieber leiden ihre Angehörigen unter schmerzhaften Entbehrungen. Laut Veblen ist jede Klasse neidisch auf die nächsthöhere, nicht auf die höchste. Denn sie bietet sich zum Direktvergleich an, und der «neidvolle Vergleich» ist die Triebfeder des Demonstrativkonsums.
Auf dem Land gibt es weniger Demonstrativkonsum als in der Stadt, weil sich die Leute gut kennen – dies schliesst auch die finanziellen Verhältnisse mit ein. So ist es schwierig und auch unnötig, anderen Reichtum vorzugaukeln. In der Stadt ist das anders. Hier kommt es drauf an, durch Äusserlichkeiten sofort sichtbar zu machen, zu welcher Klasse man gehört.
Demonstrativkonsum ist keineswegs irrational. Er erfüllt einen ökonomischen Zweck. Die eigenen finanziellen Verhältnisse hängen massgeblich davon ab, in welchen Kreisen sich jemand bewegt, und dazu ist der Kauf bestimmter Statussymbole einfach notwendig. Das ist heute noch so: Der Investment Banker muss gegenüber seinen besten Kunden in einem völlig überteuerten Auto auftreten – diese Investition zahlt sich jedoch aus.
Laut Veblen entstehen die ersten Gesellschaftsklassen, die sich in der Menschheitsgeschichte herausgebildet haben, durch die Arbeitsteilung von Mann und Frau. Die Arbeit der Männer besteht ursprünglich aus Jagd und Krieg, zu den Aufgaben der Frauen gehört das Sammeln von Nahrung. Da nur die Arbeit des Mannes gefährlich ist, gilt nur sie als heldenhaft. Gleichzeitig ist für die Arbeit der Männer Brutalität und ein räuberisches Wesen erforderlich. Diese Eigenschaften prädestinieren den Mann dazu, die Frau zu unterdrücken.
Es bestehe daher «Grund zur Annahme, dass das Eigentum ursprünglich ein Eigentum an Personen, und zwar vor allem an Frauen war. Die Motive dafür bildeten vermutlich 1. die Neigung zur Herrschsucht und die Ausübung von Zwang, 2. der Wert der Frauen als lebendige Zeugen der Tapferkeit und 3. der Nutzen ihrer Arbeit.»
In einem Satz bringt Veblen hier die Beweggründe des klassischen Machogehabes auf den Punkt. Das finde ich bemerkenswert angesichts dessen, dass der Autor in einer extrem patriarchalischen Zeit lebte. Es zeigt, wie unabhängig sein Denken war.
Veblen erkannte auch, dass sich das Schönheitsideal der Frau der Aufgabe anpasst, welche die Männerwelt ihr zuordnet. Solange die Männer die Frau in erster Linie als Arbeitskraft ansehen, muss diese «stattlich und grobgliedrig» sein – und das darf man ruhig auch sehen. In einer Gesellschaft hingegen, in der sich der demonstrative Müssiggang auch auf die Frau erstreckt, hat diese gefälligst zart, schlank oder sogar schwächlich zu sein. Das Korsett ist in diesen Gesellschaften beliebt, denn es verunmöglicht nicht nur jede produktive Arbeit, sondern betont auch einen schwächlichen Körper.
Das Buch dieses sonderbaren Eigenbrötlers ist keineswegs über alle Zweifel erhaben. Es besteht vor allem aus Behauptungen. Dabei pickt sich der Autor die Beispiele und Aspekte heraus, die in sein Konzept passen; anderes blendet er aus oder relativiert es. Dennoch ist die Theorie über weite Strecken schlüssig, und jeder findet für die heutige Zeit passende Beispiele, die sie stützen.
Veblen legte sich mit allen einflussreichen Kreisen gleichzeitig an: Mit den Reichen, den Adligen, die nicht arbeiten, den Politikern, mit der Kirche, und auch mit den Gebildeten, zu denen er selbst gehörte. Veblen nimmt in seinem Buch nämlich auch den Hochschulbetrieb satirisch auf die Schippe. So erstaunt es nicht, dass der Autor völlig vereinsamt und verarmt starb.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.