
Hintergrund
Er starb mit 25 – doch in «World of Warcraft» lebt Mats Steen weiter
von Luca Fontana
Die Sony World Photography Awards zeichnen Arbeiten in zehn Profi-Kategorien aus. Zed Nelson erhält dieses Jahr den Hauptpreis für seine Serie über die menschliche Unterwerfung der Natur.
Der Engländer Zed Nelson gewinnt an den Sony World Photography Awards 2025 den Titel «Fotograf der Jahres». Dieser ist 25 000 US-Dollar dotiert. Nelson wurde aus zehn Gewinnern der Profi-Kategorien ausgewählt. Neben den Preisträgern ehrte die Jury an der Preisverleihung in London auch die renommierte Dokumentarfotografin Susan Meiselas für ihr Lebenswerk.
Beim diesjährigen Wettbewerb wurden insgesamt 420 000 Arbeiten eingereicht – mehr als je zuvor und mehr als bei jedem anderen Fotowettbewerb. Unter diesem Link findest du alle Fotoserien der jeweils ersten drei Plätze in den Profi-Kategorien. Die Bilder der Finalisten sind zudem bis zum 5. Mai im Somerset House in London ausgestellt.
Beurteilt wurden die Bilder von einer professionellen Jury der Creo-Organisation. CEO Scott Gray lobte das hohe Niveau der Einsendungen. Die Quantität habe sich in keinster Weise negativ auf die Qualität ausgewirkt. Anders als bei vielen anderen Fotowettbewerben ist die Teilnahme an den Sony World Photography Awards kostenlos. Sie wurden dieses Jahr bereits zum 18. Mal vergeben.
Innert einer relativ kurzen Zeitspanne hat der Mensch die Welt stark verändert: Wir haben uns von der Natur geschieden und versuchen sie zu unterwerfen. Indem wir ihren Lebensraum einschränken, rotten wir Tier- und Pflanzenarten aus. Doch ganz ohne Natur können und wollen wir auch nicht. Deshalb schaffen wir gemäss dem Fotografen Zed Nelson eine kuratierte, choreografierte Version davon: Tiere werden zu Schauspielern zu unserer Unterhaltung auf Safaris und in Nationalparks. Wir entscheiden, was wo überleben darf.
Für sein Projekt «The Anthropocene Illusion» hat Nelson sechs Jahre lang auf vier Kontinenten erforscht, wie wir uns in zunehmend simulierte Umgebungen begeben, um unsere zerstörerischen Auswirkungen auf die Natur zu verschleiern. Die Serie ist technisch hervorragend umgesetzt. Sie geht aber weit über «schöne Naturbilder» hinaus und regt zum Nachdenken an.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Es gibt kaum ein Land in Europa, in dem ein vergangener Konflikt im täglichen Leben noch so präsent ist wie in Nordirland. Es sind nicht nur die physischen Barrieren wie Mauern und Zäune, sondern auch die psychologischen Spaltungen in der Gesellschaft – auch nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens 1998, das der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken ein Ende setzte.
Toby Binder dokumentiert seit vielen Jahren, was es für junge Menschen bedeutet, unter diesen generationenübergreifenden Spannungen aufzuwachsen. Er will mit seiner Arbeit zeigen, wie ähnlich der Alltag der verfeindeten Gruppierungen eigentlich ist.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Eine aussergewöhnliche persönliche Hintergrundgeschichte hat das Projekt «Rhi-Entry» von Rhiannon Adam. Die britische Fotografin wurde 2021 vom japanischen Milliardär Yusaku Maezawa für die erste zivile Mission in den äusseren Weltraum ausgewählt – als einzige Frau aus einer Million Bewerbenden. Unter dem Projektnamen «dearMoon» sollte die Crew in einem SpaceX-Raumschiff die Route der Apollo-8-Rakete nachfliegen.
Drei Jahre tauchte Adam in die Raumfahrt ein und durchlief diverse Trainings. Doch 2024 sagte Maezawa die Mission abrupt ab. Ohne triftigen Grund. Ihren Frust verarbeitete die Fotografin mit einem Mixed-Media-Projekt, das Realität und Fiktion vermischt. Der Titel ist ein Wortspiel aus ihrem Namen und dem englischen Wort «Reentry» – der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre gilt in der Raumfahrt als gefährlichster Teil. Für Adams fühlte sich der Wiedereintritt ins normale Leben ähnlich schwierig an.
Hier geht's zur ganzen Serie.
«M'kumba» ist ein laufendes Projekt, das auf religiöse Intoleranz aufmerksam machen will. In Brasilien wurden bis 1970 Afro-brasilianische Religionen kriminalisiert. Auch heute sind sie noch Vorurteilen und Gewalt ausgesetzt. Alleine 2024 wurden mehr als 2000 Angriffe gemeldet.
Der brasilianische Fotograf Gui Christ hat als ausgebildeter afro-religiöser Priester selber erlebt, wie ihn ein Auto über den haufen fahren wollte, als er religiöse Kleidung trug. Danach startete er sein Projekt. Die intimen Bilder sollen spirituelle Traditionen zelebrieren, die gemäss dem Fotografen für die kulturelle Identität Brasiliens unerlässlich sind.
Hier geht's zur ganzen Serie.
«Alquimia Textil» ist ein Gemeinschaftsprojekt von Nicolás Garrido Huguet und der Forscherin und Modedesignerin María Lucía Muñoz. Gemeinsam dokumentieren sie die natürlichen Färbetechniken der Kunsthandwerker von Pumaqwasin im peruanischen Chinchero. Industrielle Methoden stehen kurz davor, traditionellen Färbeverfahren vollständig zu verdrängen, während der Klimawandel die Pflanzen bedroht, die für diese Verfahren unerlässlich sind.
Die Fotografien zeigen drei Farbstoffarten. Huguet arbeitete mit analogen Kameras und alten Objektiven, die nicht mehr ganz lichtdicht waren. Diese Imperfektion wurde von einem Ärgernis zu einer Metapher: Genau wie die natürlichen Färbemittel produzieren auch die Bildfehler Resultate mit individuellem Charakter. «Die Natur hat sich an der Fotografie beteiligt», sagt der peruanische Fotograf.
Hier geht's zur ganzen Serie.
In Indien, dem bevölkerungsreichsten Land der Welt mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern, gibt es nur eine Handvoll Skaterinnen. Die italienische Fotografin Chantal Pinzi will mit ihrer Arbeit «Shred the Patriarchy» zeigen, wie die Frauen den Sport als Instrument des Widerstands gegen Unterdrückung und Stereotypisierung nutzen.
Einige der Protagonistinnen haben sich mithilfe der Gemeinschaft gegen arrangierte Ehen gewehrt, andere erlangten durch Skateboarding finanzielle Unabhängigkeit. Die Bilder der indischen Frauen in ihren Kleidern auf Brettern überraschen. Gleichzeitig passt die ungewöhnliche Szene jedoch perfekt zur rebellischen Skateboard-Kultur.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Der Heimweg von der Schule ist eine Erinnerung, mit der wir alle etwas anfangen können. Das Projekt von Laura Pannack begleitet junge Menschen in der von Gangs beherrschten Gegend Cape Flats in Kapstadt. Sie sind auf ihrem Schulweg regelmässig der tödlichen Gefahr durch Kreuzfeuer ausgesetzt.
Mit «The Journey Home From School» gewinnt Pannack die neu geschaffene Kategorie «Perspektiven». Sie zeichnet Arbeiten aus, die Themen mehrschichtig erforschen. In diesem Fall geschieht das durch Poesie, analoge Fotografie, Zeichnungen, Collagen und Cyanotypien. Die intime Darstellung des Heranwachsens inmitten krasser sozialer Gegensätze bietet einen seltenen Einblick in eine verwirrende und herausfordernde Welt.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Öffentliche Toiletten sind normalerweise keine besonders schönen Orte. Das Tokyo Toilet Project in der japanischen Hauptstadt ändert das: Die stillen Örtchen im Bezirk Shibuya-ku sind regelrechte architektonischen Meisterwerke. Ulana Switucha aus Kanada hat das Städtebauprojekt fotografisch dokumentiert. Die Siegerbilder sind Teil eines grösseren Projekts.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Was bedeutet Fortschritt? Je nach Ort ist die Antwort auf diese Frage eine ganz andere. Der japanische Fotograf Seido Kino kombiniert für seine Arbeit «The Strata of Time» Archivbilder aus der Nachkriegszeit mit aktuellen Aufnahmen. Die alten Fotos stammen von der lokalen Bevölkerung.
Die Szenen zeigen, wie die Menschen aus ländlichen Gebiete in Japan abgewandert sind. Schulen sind ausgestorben, ganze Landstriche wurden mit Stauseen geflutet, alte Eisenbahnlinien existieren nicht mehr. Gleichzeitig ächzen Städte unter einer Überpopulation.
Hier geht's zur ganzen Serie.
Die Kategorie Still Life gewinnt ein Künstler, der gemäss eigenen Angaben selber gar kein Fotograf ist: Peter Franck sucht Bilder in Bibliotheken zusammen und baut daraus Collagen. «Still Waiting» präsentiert Momente des Innehaltens. Die Bilder zeigen Schwellen, an der sich die Zeit zu dehnen scheint.
«Alles ist in der Schwebe, in einem fragilen Gleichgewicht, in dem ein Eingreifen unmittelbar bevorzustehen scheint», schreibt Franck. «Sekundenbruchteile von einer entscheidenden Aktion entfernt, verweilen die Bilder in einem flüchtigen Moment der Stille, einem Atemzug, bevor sich die Welt wieder bewegt.»
Hier geht's zur ganzen Serie.
Der Preis für den «herausragenden Beitrag zur Fotografie» geht an die renommierte Magnum-Fotografin Susan Meiselas. Sie ist bekannt für ihren kollaborativen Ansatz in der Porträtfotografie und tauchte über die Jahre immer wieder in Welten fernab der öffentlichen Wahrnehmung ab. So dokumentierte sie etwa amerikanische Karneval-Stripperinnen und ein Sado-Maso-Etablissement in New York (NSFW).
Zu Meiselas berühmtesten Bildern gehört der «Molotov Man». Er wurde zu einem Symbol der sandinistischen Revolution in Nicaragua, wo Meiselas die Aufstände fotografierte. Über 60 ihrer Bilder sind im im Rahmen der Ausstellung zu den Sony World Photography Awards im Somerset House in London zu sehen. Sie zeigen einige der wichtigsten Themen von Meiselas Schaffen über fünf Jahrzehnte.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.