

Componibili «Bio»: Nur Greenwashing?
Das Plastikmöbel «Componibili» geht mit der Zeit. Es erscheint immer wieder im neuen Kleid. Zuletzt als Bio-Version. Was es damit auf sich hat und warum dieser Wandel nicht der Letzte sein darf.
Die Ankunft meines neuen Behältermöbels «Componibili» made in Italy* fühlt sich an, als würde eine gute Freundin bei mir einziehen. Ich kenne sie zwar, habe sie etliche Male gesehen und trotzdem entdecke ich Seiten an ihr, die ich noch gar nicht kannte. Und das gleich am ersten Tag: Meine Freundin «Componibili», ein Kunststoff-Klassiker der italienischen Marke Kartell, ist «bio».

Zumindest steht das auf mitgelieferten Karton. Klingt im ersten Moment gut. Doch was hat es mit der Bezeichnung genau auf sich? Schliesslich wird oft auf Dinge bio geschrieben, wo kein bio drin ist.
Ein wandelbares Möbel
Ob an Messen, in Print-Heften oder auf Social Channels – Componibili begegnet mir vielerorts. Und doch ist mir entgangen, dass die Farben Sahne, Grün, Rosa und Gelb aus einem Biokunststoff hergestellt werden. Dieser soll nachhaltiger als der herkömmliche Kunststoff ABS (Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer) vom Originalentwurf sein, den auch LEGO verwendet. Das wäre nicht das erste Mal, dass sich das Möbel im Verlauf der Jahre wandelt.

Der erste Entwurf von Componibili stammt aus dem Jahr 1967 von der Designerin und Kartell-Mitgründerin Anna Castelli Ferrieri. Damals war seine Form noch quadratisch. Weil diese Form allerdings auf dem Markt nicht so gut ankam, machte die Designerin daraus 1969 ein rundes «Fass». Dieses wurde in den kommenden Jahren immer wieder neu interpretiert. Der Designer Fabio Novembre verlieh ihm beispielsweise 2017 ein Lächeln und Kartell verpasste dem Klassiker eine glänzende Oberfläche. Das Material blieb dabei jedoch immer gleich, bis vor zwei Jahren die Bio-Linie lanciert wurde.
Heute fordert der Markt kein neues Aussehen. Er schreit nach einem grösseren Umweltbewusstsein. Das ist auch Kartell nicht entgangen, wie es der Hersteller im Manifest «Kartell loves the Planet» beschreibt. Die biobasierten Produkte sollen künftig nicht nur «grün» aussehen, sondern es auch sein. Um herauszufinden, ob ich auf ein Fass voller leerer Versprechungen gestossen bin, sehe ich mir Biokunststoff genauer an.
Die Vor- und Nachteile von Biokunststoffen
Die guten Nachrichten sind, dass Biokunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden. Meistens handelt es sich um fermentierten Zucker, der beispielsweise aus Kartoffeln oder Mais gewonnen wird. Gewöhnlicher Plastik hingegen entsteht aus fossilen Rohstoffen. Zurzeit setzt vor allem die Lebensmittelindustrie auf grüne Alternativen zu Einwegartikeln wie Tragetaschen. Im Möbeldesign ist die Verwendung von Bioplastik noch rar. Der Rohstoff für Componibili Bio ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen der Forschungsabteilung von Kartell und dem italienischen Biokunststoffhersteller Bio-on. Er besteht aus landwirtschaftlichen Abfällen, die sich nicht mehr für die Nahrungskette eignen. Für ihn werden also, anders als gerne von kritischen Stimmen behauptet, keine zusätzlichen Ackerlandflächen benötigt.

Die schlechten Nachrichten sind: Die natürliche Basis macht Biokunststoffe nicht automatisch biologisch abbaubar. Wenn sie ins Recycling kommen, ist das umweltfreundlich. Landen sie aber auf dem Kompost, verrotten sie genauso schlecht wie gewöhnlicher Plastik und landen als Mikroplastik in der Umwelt. Mikroben können einen Biokunststoff nur unter den richtigen Bedingungen in Biomasse und Gas zerlegen. Diese können laut National Geographic nur auf Mülldeponien oder auf industriellen Kompostierungsstellen gewährleisten werden, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ausreichend vorhanden sind.
Irreführende Begriffe, aber kein Greenwashing
Dennoch kann ich Kartell kein Greenwashing vorwerfen. Die Bezeichnung bio wird laut unterschiedlichen Quellen wie WWF sowohl für biologisch abbaubar als auch biobasiert eingesetzt. Componibili besitzt aktuell das TÜV-Austria-Zertifikat für ein pflanzenbasiertes Material. Um vollständig nachhaltig zu sein, müsste das Unternehmen eine andere Lösung für den Rohstoff finden. Diese gibt es auch schon – momentan allerdings nur im Labor. Forscherinnen und Forschern ist es in einer Studie der Universität Tübingen vor Kurzem gelungen, aus Cyanobakterien, auch Blaualgen genannt, den schadstofffreien und abbaubaren Rohstoff PHB (Polyhydroxybutyrat) zu gewinnen. Das macht Hoffnung.
Kann Design die Wegwerfmentalität stoppen?
Ich setze die Hoffnung auch aufs Design. Zuhause angekommen, soll mein Componibili trotz der Überraschung am Anfang nie mehr ausziehen. Nur wenige Möbel sind so anpassungsfähig und vielseitig einsetzbar wie dieses. Du kannst es stapeln und dank reduzierter runder Form platzsparend überall hinstellen. Die Schiebetafeln verbergen Krimskrams und bringen optische Ruhe. Auf Rollen wird das Behältermöbel gar zum Servierwagen, auf Beinen zum eleganten Beistelltisch. Im Bad dient es dir als Waschbecken-Unterschrank, im Wohnzimmer als Pflanzenpodest.


Mit anderen Worten: Jedes Modul ist das, was du daraus machst. Dank seiner Wandelbarkeit kann das Behältermöbel ein Leben lang begleiten. Noch nachhaltiger wäre es gewesen, wenn ich von vornherein ein Vintage-Modell ergattert hätte. Leider sind diese selten. Das lässt mich daran glauben, dass auch andere so denken wie ich: Nämlich dass es sich bei Componibili um ein Möbelstück handelt, das man für immer hat.
*Made in Italy: Bei Galaxus findest du (fast) alles. Dieser Beitrag führt dich zu allen italienischen Marken im Sortiment.Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.