
Hintergrund
Mehr als Bratwurst, Bier und Stümpen: Impressionen vom Schwingfest
von Patrick Bardelli
Boxen ist oft mehr Show denn Sport. Nicht so heute in einer Turnhalle im Kleinbasel. Im Rahmen des 37. Boxeo kämpfen Profis und Amateure und zeigen ihren Sport von seiner schönsten Seite: ungeschminkt, echt und voller Leidenschaft.
Boxen fasziniert mich. Der Kampf nur mit den Fäusten, nach klaren Regeln – eigentlich ein Sport für Gentlemen. Eigentlich. Denn leider wird daraus allzu oft eine Show, die wenig mit fairem Sportsgeist zu tun hat.
Nicht so heute. Während es an diesem Samstag Nachmittag draussen in Strömen giesst, fliessen drinnen Schweiss und Blut. Es ist Boxeo, zum 37. Mal findet dieser Event nun bereits statt. Organisiert vom Boxclub Basel und seinem engagierten Präsidenten Angelo Gallina. Das Ganze geht im Rahmen eines grossen Quartierfests im Kleinbasel über die Bühne, respektive durch den Ring.
Heute Nachmittag sind nicht weniger als zwölf Amateurfights angesetzt, am Abend kämpfen dann die Profis. Darunter auch die Lokalmatadorin Gabi «Balboa» Timor vom Boxclub Basel. Mich interessieren heute jedoch die Amateure. Ich bin zum ersten Mal live an einem Boxevent und will möglichst viel Boxen und möglichst wenig Show. Kein grosses Brimborium mit Einmarschmusik und langen Vorstellungen der Athletinnen und Athleten.
Schon nach wenigen Minuten des ersten Kampfes fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Als wäre die Zeit 1975 stehen geblieben. Vintage. So sieht es auch in der alten Turnhalle aus. Irgendwie vergilbt, mit viel Patina. Im krassen Kontrast dazu die Kämpfe. Nichts von vergilbt, im Gegenteil. Hier geht's heute zur Sache. Beides gefällt mir, die in die Jahre gekommene Turnhalle und die Dynamik der Boxer.
In der roten Ecke kämpft ein junger Boxer aus Zürich gegen einen Fighter aus Basel, der heute seinen ersten Kampf bestreitet und diesen nach Punkten auch gewinnen wird. Plötzlich kniet neben mir eine Frau bei der Absperrung zum Ring und sagt: «Der in der roten Ecke ist mein Enkelsohn».
Die Grossmutter leidet während der drei Runden à je drei Minuten sichtbar mit ihrem Enkel mit. Und sie beklagt sich darüber, dass der junge Boxer aus Zürich während der kurzen Pausen zwischen den Runden von seinen Betreuern weder Wasser erhält, noch frische Luft zugewedelt bekommt. Ganz im Gegensatz zum Basler Boxer, der in den Pausen von seinen Betreuern mit einem Rundumservice verwöhnt wird.
Heute kämpfen zahlreiche Boxerinnen und Boxer aus der Region Basel und viele Gäste aus der ganzen Schweiz gegeneinander. Im Ring stehen sich unter anderem auch eine Boxerin aus Aarau und ihre Kontrahentin aus Lausanne gegenüber. Die Westschweizerin wird das bessere Ende knapp nach Punkten für sich behalten. Zwei der drei Ringrichter werten den Kampf zu ihren Gunsten, was ihre Gegnerin mit einem Lachen quittiert.
Auch ich hätte die Frau in Rot im Vorteil gesehen. Schliesslich hat der Kampf bei ihrer Gegnerin sichtbare Spuren im Gesicht hinterlassen. Wäre die Aarauerin nicht wenige Sekunden vor Ende des Kampfes vom Ringrichter angezählt worden, hätten die Punktrichter vielleicht anders gewertet.
Was mir bei diesem Fight, wie bei allen anderen auch auffällt, ist die grosse Fairness und der Sportsgeist, der hier herrscht. Kein Lamentieren oder Reklamieren – das Verdikt der Punktrichter wird ohne Murren akzeptiert. Und nicht nur das: Nach dem Kampf gehen die Boxerinnen und Boxer in die gegnerische Ecke und bedanken sich bei den Betreuern für den Kampf. Das ist beeindruckend.
Nach drei Stunden mache ich mich auf den Heimweg. Was bleibt nach meinem ersten live Boxevent? Die Faszination für den Faustkampf, der Respekt vor dem Mut der Boxerinnen und Boxer, die in den Ring steigen und die Verneigung vor ihren Leistungen.
Ich hatte vor zwei Jahren mal einige Probetrainings beim Boxclub Basel absolviert und kam beim Schattenboxen schon nach kurzer Zeit gehörig ans Limit. Und zwar ohne ein Gegenüber, das mir Schmerzen bereiten wollte. So gesehen kann ich nur erahnen, welche Leistung nötig ist, um dreimal drei Minuten im Ring zu überstehen. Und trotzdem, oder gerade deshalb, will ich das wenigstens einmal in meinem Leben ausprobieren, um herauszufinden, ob ich das Zeug dazu habe. Ich muss das einfach machen. Irgendwann.
Die eigene Bubble ver- und sich auf neue Erfahrungen einlassen. Ist Schwingen altmodisch, Baseball langweilig und Boxen mehr Show denn Sport? Diesen und ähnlichen Fragen gehe ich in unregelmässigen Abständen auf den Grund. Bisher zu diesem Thema erschienen:
Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.