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Alles ins Töpfchen

Ümit Yoker
27.2.2018

In den Fünfzigerjahren begann die Sauberkeitserziehung von Kindern manchmal schon wenige Monate nach der Geburt. Heute weiss man, dass intensives Töpfchentraining wenig ausrichtet und Trockenwerden vor allem ein Reifeprozess ist. Das bedeutet aber nicht, dass Eltern nichts dazu beitragen können.

Alle Welt rät Eltern in spe, vor dem Geburtstermin noch so oft wie möglich ins Kino zu gehen. Kein Mensch jedoch weist darauf hin, wie sehr man auch seine ungestörten Sitzungen auf dem Häuschen wertschätzen sollte. Mit denen ist es nämlich ebenfalls bald vorbei: Nicht nur wird das Baby jeweils präzise in jenem Moment aufwachen, in dem sich seine Mutter endlich mit einem Seufzen auf die Klobrille hockt. Es wird auch der Tag kommen, an dem das Kind neben einem auf der Toilette steht, in die Schüssel linst und in ernsthaftem Ton nachfragt, welche Art von Geschäft man gerade zu verrichten gedenke.

Und das sei auch gut so, sagt einer, der es wissen muss: Der Schweizer Kinderarzt Remo Largo hat sich lange damit beschäftigt, wie die Sauberkeitserziehung von Kindern funktioniert. Er stellte fest: Eltern sind ihren Kindern auch beim Trockenwerden Vorbild. Es zeigte sich auch: Intensives Töpfchentraining bringt herzlich wenig. So hielten Mütter in den Fünfzigerjahren ihre Babys manchmal schon über die WC-Schüssel oder eine Windel, bevor diese überhaupt sitzen konnten. Spätestens im Alter von einem Jahr wurden damals praktisch alle Kinder regelmässig aufs «Häfeli» gesetzt. Ganz anders in den Siebziger- und Achtzigerjahren: Für Kinder begann die Sauberkeitserziehung nun in der Regel mehr als ein Jahr später, also irgendwann im Alter von zwei bis drei Jahren – und fiel deutlich weniger intensiv aus.

Wer diese Veränderung nur einer liberaleren und dem Kind zugewandteren Erziehung zuschreibt, wird den damaligen Umständen nicht gerecht. Sicher spielte es eine Rolle, dass Eltern inzwischen besser darüber informiert waren, dass der Zeitpunkt des Trockenwerdens nicht von der Intensität des Töpfchentrainings abhängt, sondern vom Entwicklungsstand des Kindes. Doch entscheidend war vermutlich die Erfindung, die endlich Schluss mit dem ständigen Waschen von Stoffwindeln machte: die Wegwerfwindel.

Selbständigkeit erleichtern

Die Kontrolle eines Kindes über Darm und Blase ist ein Reifeprozess, der je nach Kind unterschiedlich lange dauert. Er kann nicht dadurch beschleunigt werden, indem man die Tochter fünfzehn Mal am Tag aufs «Häfeli» setzt. Zum Trockenwerden ihrer Kinder können Väter und Mütter aber trotzdem beitragen, wie Largo in seinem Buch «Babyjahre» schreibt. Am besten tun sie dies, indem sie (wie auch die älteren Geschwister des Kindes) kein grosses Geheimnis aus dem kleinen und grossen Geschäft machen und der Neugierde des Kindes genügend Raum geben. Ausserdem können sie den Weg in die Selbstständigkeit mit ein paar einfachen Massnahmen erleichtern:

Gummizug statt Knöpfe
Das Kind sollte Hose und Unterhose alleine runter- und hochziehen können. Das geht leichter, wenn das Kleidungsstück einen Gummizug statt einen Reissverschluss oder Knöpfe hat. Damit es mit dem Anziehen gleich gut klappt wie mit dem Ausziehen, macht man dem Kind am besten einmal vor, wie es Hosenbund von hinten fassen und übers Füdli ziehen kann.

Topf oder WC?
Manche Kleinen wollen gar nicht erst aufs Töpfchen, sondern lieber gleich auf die Toilette wie die Grossen – doch ist ihnen diese nicht ganz geheuer. Ein WC-Aufsatz, der die WC-Brille verkleinert oder ein Schemeli, auf das sie ihre Füsse stellen können, nimmt ihnen die Angst runterzufallen oder in die Kloschüssel zu rutschen.

Normale nächtliche Missgeschicke

Kinder merken frühestens ab etwa einem Jahr, meist aber eher später, dass sie mal müssten. Eltern erkennen diese Entwicklung daran, dass die Kinder nun jeweils das Gesicht verziehen, wenn sich ein Geschäft ankündigt, nervös herumtrippeln oder mucksmäuschenstill hinter der Couch verschwinden. Bis die Sauberkeitserziehung ganz abgeschlossen ist, dauert es in der Regel aber eine Weile: Die meisten Kinder werden laut Largo im Verlauf des dritten und vierten Lebensjahres sauber und trocken, Mädchen im Schnitt etwas früher als Jungen. Das grosse Geschäft lässt sich meistens etwas eher unter Kontrolle halten als das kleine. Bis die Kleinen auch nachts jedes Mal rechtzeitig merken, dass sie pinkeln müssen, vergehen oftmals nochmals ein paar Monate. Es kann deshalb auch im Kindergartenalter noch ab und an zu einem nächtlichen Missgeschick kommen, ein Grund zur Sorge ist dies nicht.

Wenn der Zweijährige also nächstes Mal, wenn man auf dem Weg zur Restauranttoilette ist, für alle anderen Gäste gut hörbar «Mami, muesch Bisi mache oder Gaggi?» hinterherruft – gelassen bleiben. Er ist gerade dabei, sich eine neue Welt zu eigen zu machen.

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Journalistin und Mutter von zwei Söhnen, beides furchtbar gerne. Mit Mann und Kindern 2014 von Zürich nach Lissabon gezogen. Schreibt ihre Texte im Café und findet auch sonst, dass es das Leben ziemlich gut mit ihr meint.<br><a href="http://uemityoker.wordpress.com/" target="_blank">uemityoker.wordpress.com</a> 


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