

Warum Kinder und Stars die Schweizer «Girlys» lieben – und ich jetzt auch ein bisschen
Die Federers, Madonna und andere Superstars haben sie zu Hause. Weshalb, wollte ich herausfinden. Denn die Begeisterung für «I’m a Girly»-Puppen war mir ein Rätsel – bis ich hinter ihre Glitzerfassade blickte.
Sie heissen Lucy, Ava oder Jamie. Tragen Glitzer- und Tüllkostümchen, Sonnenbrillen in Herzform, bonbonrosa Handtaschen und Lackschuhe. Und wenn sie an der Sonne sind, ändert sich die Farbe ihrer langen, üppigen Haare.
Mehr girly geht nicht. Deshalb passt der Produktname auch wie die Faust aufs Kulleraugengesicht: «I’m a Girly» heissen die Puppen – oder Fashion Dolls, um im Fachjargon zu bleiben –, die zahlreiche Kinder zu Hause haben. Und die ebenso in ganz prominenten Kinderzimmern stehen: bei den Beckhams etwa oder bei Madonna. Auch die Zwillinge von Roger Federer sollen die Puppen lieben.


Quelle: Instagram
Ich dagegen bin skeptisch. Die «Girlys» haben mir von allem zu viel: zu viel Blingbling, zu viel Tüll, zu viel Kitsch. Warum müssen Puppen in einer Zeit, in der intensiv über Genderidentitäten und Sexismus diskutiert wird, die Stereotypen derart zementieren? Muss das noch sein?
Die Kinder designen mit
Muss nicht, sagt mir die «Girly»-Erfinderin, die Zürcherin Theresia Le Battistini. Aber offenbar wollen es die Kids so: Die 42-jährige Gründerin des Labels holt nämlich ihre kleinen Kundinnen und Kunden mit ins Boot und lässt sie über die Produkte mitbestimmen, wie ich erfahre.
Dass ihre Puppen «äusserlich eher weiblich» seien, habe darum mehr mit der Nachfrage der Kinder zu tun. Das Geschlecht spiele dabei keine Rolle. Sich mit Make-up, Fashion und Haaren zu beschäftigen sei eine Vorliebe, die viele Kinder entwickeln, stellt Le Battistini fest, «und zwar Mädchen wie auch Jungen».


Quelle: Instagram
In europaweiten Workshops fühlen Le Battistini und ihr Team den Kindern auf den Zahn. In Gruppen designen die 8- bis 14-jährigen Mitarbeiter:innen Puppen, Accessoires sowie Outfits und präsentieren ihre Wünsche. Während der Coronazeit fand der Austausch per E-Mail und in den sozialen Netzwerke statt. «Das Schöne an der Arbeit mit Kindern ist, dass sie total ehrlich sind und einfach geradeaus sagen, wenn ihnen ein Produkt nicht gefällt und wie man es besser machen könnte», sagt Le Battistini. «So können wir als Hersteller sicherstellen, dass wir nur das produzieren, was unserem Zielpublikum gefällt.»
Die Schweizer Puppen-Chefin verweist auf eine Besonderheit der «Girlys»: Im Gegensatz zu anderen Fashion-Dolls sei ihr Körperbau neutral gehalten. Auch das ist das Ergebnis des Kinder-Mitspracherechts.
Chloé und Ella ziehen ein
Das will ich in echt sehen und bestelle mir Ansichtsexemplare. Wenige Tage später blicken mir zwei Paar stahlblaue Kulleraugen aus einem Paket entgegen: Chloé und Ella sind da.

«Chloé the cozy glam», wie Chloé mit vollem Namen heisst, ist eine Ganzkörperpuppe aus recyceltem Plastik und stammt aus der «I’m a wow»-Kollektion. Sie trägt einen flauschigen und mit Pailletten bestickten rosa Einteiler. Ihre Schuhe funkeln silberfarben. Und: Ihre weiss-rosa Haare sollen lila werden, wenn ich mit ihr nach draussen gehe, heisst es auf der Verpackung. Die Mähne besteht den Test: Nach einem Abstecher in den Garten kehrt Chloé mit neuer Haarfarbe zurück.
Es fällt mir schwer, die Puppe in eine Spielzeugschublade zu stecken – sie ist weder Baby noch Barbie: Ihr Gesicht sieht nach Teenager aus, ist aber ungeschminkt. Ihr Körper ist normal proportioniert, ohne Oberweite. Ihre Haut fühlt sich weich und hochwertig an.
Chloés Freundin Ella hingegen ist körperlos. Sie besteht nur aus einem Kopf. Ella ist aus der «I’m a stylist»-Kollektion und will frisiert und mit Strasssteinchen verziert werden. Schade, kann ich die Klebe-Schmuckstücke nicht einzeln anbringen, sondern nur als fertige Kombi. Ellas blonde Haarpracht ist weich, lässt sich mühelos abnehmen und mit einer anderen Perücke, die es als Zubehör für rund 30 Franken zu kaufen gibt, ersetzen. Auch die Schminke ist nicht standardmässig dabei. Damit Ella für die Styling-Prozedur «stillsitzt», kann ich sie dank vier Saugnäpfen auf einer Unterlage befestigen.
Während ich diese Zeilen schreibe, hockt Ella neben meiner Tastatur und starrt auf meinen Bildschirm. Ich ertappe mich dabei, wie ich laut mit ihr spreche: «Hey Ella, du siehst fürchterlich echt aus!»

Bäbis bis ins Teenager-Alter
Ihre «Girlys» seien denn auch nicht einfach nur «Bäbis», sagt mir ihre Mutter, Theresia Le Battistini. Sie seien vielmehr ein Trend-Produkt. «Unsere Puppen verkörpern die Mode- und Haartrends von heute.» Damit könnten sie als Unternehmen eine breite Zielgruppe abdecken und eine Brücke zwischen dem Kindsein und der Teenager-Jahre bilden. «Die jüngeren Kinder sehen in der Puppe einen Begleiter, eine beste Freundin, etwas worum man sich kümmert und bäbelet. Die älteren Kids experimentieren mit Outfits und Haar-Styling», so die Erfinderin.
Die Idee mit den Puppen kam Le Battistini, die Betriebswirtschaft studiert hat und als Projektleiterin bei der UBS tätig war, während ihres Mutterschaftsurlaubs 2014. Sie stand in Spielzeugwarenläden und stellte fest, dass die Bäbis noch genauso aussehen wie früher, als sie selbst ein Kind war. Le Battistini recherchierte, analysierte, besuchte Messen und erkannte Potenzial. Bald war ihr klar: Sie macht sich selbstständig und bringt eine eigene Puppe auf den Markt – eine zeitgemässe, moderne.

Ihr Vorhaben kam an. Nach einem Jahr standen die «Girlys» nicht nur im Franz Carl Weber, sondern auch in den Regalen des Berliner KaDeWe und in Londons Traditionskaufhaus Harrods. Seit 2020 kamen die USA, Asien, Spanien und Italien dazu. Umsatzzahlen sind keine bekannt, das Wachstum aber stattlich: Während im Corona-Jahr 2020 die Spielwarenbranche um 19 Prozent zulegte, wuchs die Zürcher Firma laut «Tages-Anzeiger» um 400 Prozent und verkaufte über 100 000 Artikel.
Heute führt Le Battistini ein Team von zehn Mitarbeitenden und ist mit drei Produktlinien und zahlreichen Zubehör-Artikeln im weltweiten Puppengeschäft vertreten. Seit vergangenem Jahr kollaboriert sie mit einer Upcycling-Modemarke und verwendet für die Puppenkleidchen Stoffresten aus der Fast-Fashion-Industrie. Noch dieses Jahr soll ausserdem ein Mobile Game ins Sortiment kommen.
Und: Die Zürcherin darf auf internationalen Star-Support zählen. Gratiswerbung, wie sie betont. Die Posts von Madonna, den Beckhams oder Chrissy Teigen seien «ungeplant und unbezahlt» gewesen. Von anderen Promis würden sie inzwischen direkt angefragt werden für Produkte, «die wir dann natürlich gerne zur Verfügung stellen».
Fazit: Viel Schein und Sein
Chloé und Ella wurden mir ebenfalls zur Verfügung gestellt. Wenn auch nur vorübergehend: Nun sollen sie dorthin zurück, wo sie herkommen. Ich packe sie wieder in den Karton – und gleichzeitig auf meine imaginäre Geschenkideen-Liste für meine Töchter. Die Puppen sind mir zwar nach wie vor zu kitschig und überladen. Geschichte und Konzept hinter den girly «Girlys» haben mich jedoch positiv überrascht. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Aber manchmal eben schon, wenn man hinter die Glitzerfassade blickt.
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.