Hintergrund

Vom Warenkorb ins Blockchain-Haus: So haben wir no1s1 ausgestattet

Coya Vallejo Hägi
8.11.2021
Bilder: Christian Walker

Grosse Ideen entfalten sich manchmal auf kleinstem Raum – in diesem Fall auf den vier Quadratmetern einer Meditationskabine. Das Häuschen soll nämlich das erste Gebäude der Welt sein, das sich selbst gehört und bald auch selbst verwaltet. Betrieben wird es von Gadgets aus unserem Shop.

Zwei einfache Holzpaletten tragen die kleine, dreieckige Kabine. Die Wände sind aus Spanplatten und dünnen Plastikscheiben. Aus dem Innern schimmern verschwommen weiche Lichter – dort soll es gemütlich sein, denn dieser Raum ist als Meditationsort gedacht.

Die innere Ruhe zu finden ist hier jedoch nur eine Nebensache. Das Projekt, das vor Kurzem an der ETH Zürich vorgestellt wurde, hat grössere Ansprüche: Es soll offiziell das erste Gebäude der Welt sein, das sich selbst gehört und bald auch selbst verwaltet.

Doch wie ist so etwas überhaupt möglich?

Die Blockchain steckt dahinter

Dafür hat Hongyang viele Wochen im kühlen Kelleratelier der auf Digitalisierung und Gesellschaft fokussierten Denkfabrik im Zürcher Kreis 2 verbracht. Jetzt steht sie in der grossen Halle des Student Project House der ETH Zürich und zeigt auf den Monitor neben der Holzkonstruktion: «Die Meditationskabine no1s1 hat eine Adresse auf der Blockchain», sagt sie.

Für diejenigen, die bereits die eine oder andere Krypto-Münze getauscht haben, ist diese Aussage wohl verständlich. Ich musste mein Wissen dazu erst etwas auffrischen: Die Blockchain ist eine Datenbank im Internet, die du dir als Kette von virtuellen Blöcken vorstellen kannst.

Die Blöcke sind dabei auf vielen Rechnern verteilt, tragen aber immer die exakt gleiche, verschlüsselte Information in sich. Damit ein Befehl oder eine Transaktion ausgelöst werden kann, muss die Information auf allen Blöcken übereinstimmen – genau darin liegt der grosse Vorteil: Dank dieser digitalen Infrastruktur kannst du die Blockchain weder manipulieren noch betrügen.

Die Teilnehmer dieses virtuellen, vertrauenswürdigen Netzwerks sind – wie Hongyang sagt – als Adressen auf der Blockchain repräsentiert. Dabei kann es sich um Menschen, Gegenstände oder auch Künstliche Intelligenz handeln – die Blockchain macht diesbezüglich keinen Unterschied.

Kein Mensch funkt dazwischen

Smart Contracts sind Computerprotokolle, die Transaktionen einleiten, wenn zuvor festgelegte Bedingungen erfüllt werden. Das klingt harzig, kannst du dir vereinfacht aber etwa so vorstellen: Wenn du bei einem Getränkeautomaten drei Franken einwirfst, bekommst du eine Cola – das, weil der Einwurf von drei Franken als Bedingung für die Herausgabe einer Cola vorprogrammiert wurde.

Auch bis hier ist das für die Bitcoin-Enthusiastin oder den Crypto-Nerd noch nichts Neues. Der innovative Teil kommt jetzt: Hongyang und ihr Projektteam wollen das Konzept der DAO nehmen und gemäss eigenen Angaben zum ersten Mal mit einem physischen Ort verbinden, der sich selbst gehört.

Und genau darin liegt die Besonderheit: Zurzeit gibt es zwar Projekte, die DAOs mit physischen Orten verbinden – doch diese Orte sind keine autonomen Orte wie die Meditationskabine. Das nennen sie dann Decentralized Autonomous Space (DAS) – anstatt Organization. «Ich kenne kein anderes Beispiel, bei dem das so untersucht wird», betont die gebürtige Chinesin.

Und so kamen unsere Finger ins Spiel

Damit eine Verbindung zwischen Cyber-Welt und physischer Meditationskabine aber überhaupt zustande kommen kann, braucht es Verbindungsmedien in Form von elektronischen Geräten. In diesem Fall stammen sie aus unserem Shop. Wir haben Hongyangs Prototypen nämlich mit Geräten gesponsert.

Für das Backend der Kabine gab es ein Raspberry Pi Model 4 B. Dieser Mini-Computer steuert den Zugang zur Kabine, die Atmosphäre des Raumes, die Stromzufuhr sowie den Sicherheitsmechanismus.

Dafür kommuniziert er mit der Kamera, den Bewegungssensoren, den Solarpanels und der Batterie sowie mit den automatischen Schlössern, der Lüftung und den Lampen, die an der Kabine angebracht sind. Auch diese Teile kommen von uns.

Alle diese Geräte werden es der autonomen Organisation hinter der Meditationskabine ermöglichen, ihre Finanzen, die Nutzerinformationen und den Zustand der Kabine in Zukunft ohne menschliche Unterstützung zu verwalten.

So buchst du eine Sitzung

Sobald du die Gebühr überwiesen hast, bekommst du einen QR-Code per Mail zugeschickt. Mit deinem Smartphone hältst du diesen Code gegen den Sensor an der Aussenwand – und die Tore öffnen sich wie von Zauberhand.

Beendest du deine Meditationssession etwas früher als geplant, bekommst du dein Geld sogar wieder zurück. Die Kabine registriert nämlich genau, wie lange du dich darin befindest – und kompensiert die nicht genutzte Zeit mit einer entsprechenden Rückerstattung.

Bevor Hongyang und ihr Team die DAO fertig implementiert haben, fliesst das Geld erstmal nur zwischen User und Kabine. «Zurzeit bereichert sich no1s1 einfach durch die Einnahmen», erklärt sie. Doch das Ziel sei es, dass die Kabine in Zukunft auch selber Ausgaben machen kann – für allfällige Reparaturen zum Beispiel. Das sollte möglich sein, sobald die autonome Organisation hinter der Kabine steht.

«Müssen wir denn überhaupt etwas besitzen?»

Es ist kein Zufall, dass die Kabine mit dem Meditationsservice zurzeit nur die minimalste Funktionalität anbietet. Denn no1s1 ist ein sogenanntes Minimum Viable Product oder MVP.

In der Startup-Szene wird damit die einfachste Version eines Produktes bezeichnet, das ein Unternehmen auf den Markt bringen möchte. Mithilfe einer anfänglichen schlanken Basisversion soll eine erste Pulsmessung bei der potentiellen Kundschaft durchgeführt werden.

Diese Rolle soll auch no1s1 übernehmen – jedoch ohne Fokus auf Profite. Bei diesem Projekt steht die Gesellschaft und deren zukünftige Organisation im Zentrum: Wenn sich das MVP der Meditationskabine funktionsfähig zeigt, könnten sich in Zukunft ganze Gebäude, Parks, Spielplätze, Wohnungen, Konzerthallen oder gar Flüsse oder Berge selbst besitzen und verwalten.

Somit könnten diese Orte existieren, ohne Besitzern oder Verwaltungen Profite garantieren zu müssen – das heisst, solange sich der Ort finanziell selbst erhalten kann, müssen Mieten nicht erhöht werden.

In diesem Gedankenexperiment drängen sich dann sehr schnell sehr grosse Fragen auf. «Müssen wir denn überhaupt etwas besitzen?», fragte mich Hongyang, als sie mir das Skelett des nackten Prototypen zum ersten Mal zeigte.

Auch nach ein paar Monaten kann sie dazu selber noch keine definitive Antwort geben. Das war aber auch nicht das Ziel der ganzen Übung. «Mit no1s1 sollen neue gesellschaftliche Möglichkeiten eröffnet – oder zumindest eine Diskussion darüber angestossen werden», meint sie.

An dieser Diskussion wird sich Hongyang auch in Zukunft beteiligen. Nach einem Urlaub wird sie als Doktorandin am Institut für Bau- und Infrastrukturmanagement an der ETH Zürich noch tiefer ins Thema Digital Governance eintauchen und über mögliche Organisationsformen im Digitalisierungszeitalter forschen.

Du kannst die Kabine besuchen

Wenn auch du beim Lesen dieses Artikels neugierig geworden bist und das erste herrenlose Häuschen der Welt mit eigenen Augen betrachten willst, kannst du das tun: Es steht zurzeit im Student Project House der ETH Zürich mitten im Universitätsquartier der Stadt.

Über diesen Link kannst du das dazugehörige Konferenz-Paper lesen. Da findest du auch eine kurze, übersichtliche Videopräsentation des Hauptstudienautors, Jens Hunhevicz.

Oder vielleicht hat dich diese Geschichte gleich selber zu einer zündenden Idee inspiriert, die du mit einem Raspi und ein paar Sensoren umsetzen kannst. Teil sie gerne mit uns – vielleicht kommen auch dir ein paar Gadgets aus unserem Haus zugeflogen. Bis die aktuelle Halbleiterkrise überwunden ist, hast du sowieso noch etwas Zeit zum Nachdenken.

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«Ich will alles! Die erschütternden Tiefs, die berauschenden Hochs und das Sahnige dazwischen» – diese Worte einer amerikanischen Kult-Figur aus dem TV sprechen mir aus der Seele. Deshalb praktiziere ich diese Lebensphilosophie auch in meinem Arbeitsalltag. Das heisst für mich: Grosse, kleine, spannende und alltägliche Geschichten haben alle ihren Reiz – besonders wenn sie in bunter Reihenfolge daherkommen. 


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