Tierischer Luxusurlaub: Hier relaxen die noblen Haustiere
Nicht nur Zwei-, auch Vierbeiner gönnen sich im Urlaub ab und an etwas Luxus. Im Tierhotel 5 Stern nächtigen Hund und Katz gediegen im Einzelzimmer – mit All-Inclusive-Service und Wellness. Ein Streifzug durchs noble Hotel mit noblen Absichten.
Labradaur au Lac? The Border (Collie) Grand? Park Hotel Spitzwauwau? Welcher Luxus wird uns im Tierhotel 5 Stern erwarten?
Ich lefze…lechze nach Erkenntnis, als ich mit Fotograf Chris das solothurnische Ortsschild «Niedergösgen» passiere. Wir fahren an Wiesen, Feldern und Industriegebieten vorbei. Vor einem umzäunten Flachbau mit grossen Rasenflächen meint das Navi: «Sie haben Ihr Ziel erreicht.» Hm. Ein Nobelschuppen sieht anders aus. Doch was sagt man über innere Werte? Also rein in die Hotellobby.
An der Rezeption gibt’s gleich etwas zu schlabbern. Die Empfangsmitarbeiterin Deborah Thillen heisst uns mit einem Glas Wasser und einem schrill bellenden Spitz zu ihren Füssen willkommen. «Das ist Missy. Der Chef kommt gleich», sagt sie.
Piet Umiker ist das komplette Gegenteil von Missy. Gross, trainiert und mit Baritonstimme. 2016 hat der gelernte Koch und Tierpsychologe, der mehrere Jahre für die Schweizer Armee tätig war, das Tierhotel 5 Stern eröffnet. Mittlerweile beschäftigt er 16 Tierpflegerinnen und -pfleger mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Hotel heisst es aus gutem Grund. «Unsere Gäste übernachten um einiges gediegener als in einer Tierpension. Machen wir doch einen kleinen Rundgang», sagt er.
Erstes Beschnuppern der Suiten
Der Streifzug durchs Nobelhotel startet in den tierischen Gemächern. Die 40 Hunde-, 36 Katzen- sowie 10 Nagerplätze sind jetzt, während der Ferienzeit, fast alle belegt. Zur Auswahl stehen Einbett- und Mehrbett-Suiten mit kuscheligen Nestchen, Bodenheizung, Luftfilter und komfortabler Ausstattung wie Sitz- und Liegegelegenheiten. Fast wie im richtigen Hotel.
Ein markanter Unterschied: Der Preis richtet sich (bei Hunden) nach dem Gewicht. Ich stelle mir dasselbe mit den Gästen im Zürcher 5-Sterne-Hotel Baur au Lac vor. «Könnten Sie sich bitte kurz auf die Waage stellen? Der Gepäckservice bringt derweil Ihre Koffer in die Suite.»
Während wir den Hotelkorridor entlanggehen, studiere ich die Preise des Tierhotels. Hunde kosten pro Tag 59 bis 79 Franken, Katzen 31 bis 35 Franken und Nager 20 bis 25 Franken. Das ist etwas höher als in Tierpensionen, hat aber seinen Grund: Standard bei Hunden sind Einzelsuiten. «Meine Erfahrung zeigt, dass es Stress auslöst, wenn Hunde in Tierpensionen in neue Rudel kommen», erklärt Piet Umiker, betont aber: «Natürlich dürfen sich Gspändli bei uns auch ein Zimmer teilen.» Bei den Katzen ist es genau umgekehrt: Standard sind 4er-Zimmer. Möglich sind aber auch Einzelsuiten.
Einer, der einzeln nächtigt, ist Flöckli. Vorsichtig äuge ich in sein Zimmer. Wer denkt, der Kater sei zerbrechlich wie ein Schneekristall, täuscht. Er gleicht eher einem zerstörerischen Schneesturm. «Flöckli greift gerne unsere Pfleger an», erklärt Piet Umiker. Er zeigt auf einen Zettel vor dem Zimmer, wo alle Gästedetails aufgelistet sind.
Ein Punkt darauf sind auch Krankheiten. «Einer Schlange mussten wir mal Hustensirup geben. Das war eine Zangengeburt», erinnert sich Piet Umiker. Im nächsten Raum zeigt er, wie die Medikamente der Tiere aufbewahrt werden: in einem abschliessbaren Psychiatrie-Schrank. Auch das unterscheidet das Tierhotel von den meisten Tierpensionen. «Wir erfüllen höchste Sicherheits- und Hygienestandards», erklärt der Geschäftsführer.
All inclusive: futtern, faulenzen und Fitness
Weiter geht’s in die Hotelküche. Sie darf sich so nennen. Darin stehen nämlich Geräte aus der Gastronomie, zum Beispiel eine Profi-Spülmaschine. Fühlt sich der Ex-Koch Piet Umiker hier zu Hause? «Nein, ich bin froh, muss ich nicht mehr hinter dem Herd stehen», gibt er zu. Statt Filet Mignon aufs Porzellangeschirr gibt’s nun Hundefutter in den Napf. Dieses ist all inclusive – anders als in vielen Tierpensionen. Ausser, Herrchen und Frauchen bringen Spezialfutter selbst mit.
Piet Umiker füllt einen Napf. Es geht weiter zu Hotelgast Charlie. Der Rüde verbringt noch die letzten Tage im Tierhotel 5 Stern. Er liegt eingerollt in seinem kuscheligen Bettchen, als ihm Piet Umiker den Futternapf hinstellt. Auf dem «Gästeblatt» vor der Tür prüft der Geschäftsführer, was vom «Rundum-Wohlfühlpaket» heute schon abgehakt wurde.
Tägliche Reinigung, Gesundheitscheck und Streicheleinheit? Check! Fütterung und Auslauf am Morgen? Check! Badeservice und Fütterung am Abend? Folgt noch! Auslauf am Mittag? Ab nach draussen.
Piet Umiker öffnet – ohne Charlies Zimmer zu betreten – eine Klappe, wie es die Zirkusdompteure mit Raubkatzen tun. Charlie saust auf die grüne Wiese unter eine lauschige Pergola. Ist das sein Privatgarten? «Nicht ganz», sagt Piet Umiker, «ein Wiesenstück gehört mehreren Tieren. Wir können sie einzeln oder gemeinsam rauslassen. Wie es die Besitzer wünschen.»
Auch ein Unterhaltungsprogramm gibt’s im Tierhotel 5 Stern. «Animateure» sorgen dafür, dass die Hotelgäste auf einer grossen Spielwiese in Bewegung kommen. Mit sportverrückten Hunden machen die Tierpfleger und -pflegerinnen auch Agility oder ausgiebige Spaziergänge. Oder sie spannen sie vor einen Dogscooter, eine Art «Sommer-Hundeschlitten». Und wenn eine Wellness-Behandlung gewünscht ist, werden die Gäste gebadet.
Spezialgäste und solche, die nie abgeholt werden
In einem Zimmer weiter hinten ist Spezialgast Odin untergebracht. Er ist ein schwer erziehbarer Hund. Auch er darf im Tierhotel 5 Stern – anders als in Tierpensionen – übernachten. Mit dem Klappensystem kann er ohne direkten Kontakt zu Tierpflegern und anderen Hunden versorgt werden. Piet Umiker betont jedoch, dass sie keine Hunde erziehen. «Auch wenn dies oft nötig wäre», bemerkt er schmunzelnd.
Unerzogene Hunde sind das Eine. Was aber, wenn Herrchen und Frauchen keine Manieren haben und ihre Vierbeiner nicht mehr abholen? «Das gibt’s bei Hunden etwa fünf Mal pro Jahr. Die Besitzer geben gerne die falsche Identität an. Leider können wir nicht jeden Ausweis prüfen», sagt Piet Umiker.
Der Geschäftsführer nimmt in solchen Fällen mit dem Veterinäramt und der Polizei Kontakt auf. Wird kein Platz gefunden, behält er die Tiere und finanziert sie durch Spenden. Aktuell leben neun Waisen-Hunde – auch aus Beschlagnahmungen – im Tierhotel 5 Stern. Sie suchen über den Verein schutzbedürftige Hunde ein neues Zuhause.
Dass mehr Hunde als sonst vermittelt werden, hat einen Grund: «Während Corona wurden massenhaft Hunde angeschafft. Viele sind kaum sozialisiert. Die Besitzer sind mit ihnen überfordert und wollen sie loswerden», erzählt Piet Umiker. Er rät insbesondere von Hunden aus dem Ausland ab. «Der Handel ist eine reine Mafia. Besser hilft man den Leuten vor Ort», sagt der Geschäftsführer. Auch das Tierhotel schickt regelmässig überschüssiges Futter nach Serbien, Spanien und in den Kosovo. Und in Thailand bezahlt es Kastrationen.
Neue Zimmer für Hasen, Reptilien und Vögel
Einen letzten «Boxenstopp» legen wir bei den Nager-Zimmern ein. Die Käfige sind ausgesprochen gross – stossen jedoch bereits an ihre Grenzen. «Wir haben wahnsinnig viele Kaninchen zu Gast. Langsam wird es eng», erklärt Piet Umiker. Und da ist noch ein Problem: Die Outdoor-Käfige werden in der warmen Jahreszeit zu heiss. Deshalb plant der Geschäftsführer, neue, isolierte Nagerzimmer zu bauen. Drinnen soll es ausserdem Terrarien für Reptilien und eine Igelauffangstation geben. Und auch Vogelvolieren sollen hinzukommen.
«Zurzeit halte ich die Wachteln meines Bruders in einem Nagergehege», sagt Piet Umiker lachend. «Das sind merkwürdige Tiere. Aber bei Weitem nicht die aussergewöhnlichsten Gäste, die wir je hatten. Vor ein paar Jahren sprinteten Laufenten durch unser Hotel.»
Grosse Ziele in der Pipel(e)ine
Auch Piet Umiker ist gerne in Bewegung. Ob er in der Freizeit einen Berg erklimmt oder das nächste Ausbauziel im Tierhotel verfolgt: Er möchte stets hoch hinaus. Sein grösstes Ziel wäre es, in den nächsten 20 Jahren den Tierschutzverband Nordwestschweiz zu gründen und sein Tierhotel mitsamt einer Igelauffangstation daran anzugliedern.
«Ich würde mich für bessere Berufsbedingungen und Weiterbildungen von Tierpflegern einsetzen. Viele wollen den tollen Job unter den aktuellen Voraussetzungen nicht mehr machen. Offene Stellen kann ich kaum mehr besetzen», sagt der Geschäftsführer.
Wir sind wieder in der Hotellobby zurück und checken aus. Deborah Thillen verabschiedet uns herzlich und wendet sich an ein Pärchen mit Hund. Der Mischling sieht erholter aus als seine Besitzer, die gerade aus einer exotischen Feriendestination zurückgekehrt sind. Vielleicht sollten sie das nächste Mal tauschen.
Ich mag alles, was vier Beine oder Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.