Sony Alpha 1 II
50.10 Mpx, Vollformat
Die Neuauflage des Sony-Flaggschiffs ist eine nahezu perfekte Kamera. Doch während das Konzept der Alpha 1 vor vier Jahren einzigartig war, gibt es heute bei anderen Herstellern eine ähnliche Leistung für viel weniger Geld.
Die Sony Alpha 1 war zum Release im Januar 2021 eine Revolution. Sie vereinte hohe Auflösung mit einem rasend schnellen Stacked Sensor, einem grossartigen Autofokus und Top-Videofunktionen. Knapp vier Jahre später bringt Sony sein Flaggschiff auf den neuesten Stand der Technik und stösst dabei auf zwei Probleme: Erstens war schon die Vorgängerin fast perfekt, zweitens ist die Sensortechnologie in Sachen Bildqualität stehen geblieben.
So kann die Sony Alpha 1 II zwar ein paar kleine Dinge verbessern, trumpft aber nicht mit Überraschungen auf. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört der AI-Chip, dank dem das Fokussystem alle Annehmlichkeiten der Alpha 9 III erhält – zum Beispiel mehr Motiverkennungen und die Vorauslösung «Pre-Capture».
Weitere Fortschritte macht die Kamera beim Sucher (er ist heller), beim Display (es ist grösser und drehbar) und beim Bildstabilisator (er kompensiert 8,5 statt 5,5 Stufen). Der Body ist der gleiche wie bei der Alpha 9 III. Ich habe das neue Flaggschiff ausprobiert.
Die neue Kamera hat den gleichen Stacked Sensor mit 50 Megapixeln wie die originale Alpha 1. Einen Global Shutter wie bei der Alpha 9 III gibt es nicht. Anscheinend lässt sich dieser nicht mit einer so hohen Auflösung vereinbaren.
Schlimm finde ich das nicht, denn ein Global Shutter hätte wohl Nachteile bei der Bildqualität. Und der Sensor der Alpha 1 II gehört ohnehin zu den schnellsten auf dem Markt. Die Auslesegeschwindigkeit beträgt laut Messungen beim Vorgängermodell 3,8 Millisekunden (ms). Rolling-Shutter-Effekte kommen damit nur noch in Extremsituationen vor.
Schneller ist aktuell bloss die Canon EOS R1 mit 2,7 ms. In dieser Zeit schafft sie aber nur 24 Megapixel. Andere Stacked Sensoren mit hoher Auflösung sind nicht besser als derjenige der Sony Alpha 1 II. Die Nikon Z8 liest 45 Megapixel in 3,7 ms aus, die Canon R5 Mark II braucht für die gleiche Auflösung 6,3 ms.
Hinter dem Sensor hat Sony laut eigenen Angaben die Imaging Pipeline verbessert. Das soll für weniger Bildrauschen bei hohen ISO-Werten und eine höhere Farbgenauigkeit sorgen. Letzteres kann ich noch nicht beurteilen. Das bessere Rauschverhalten ist im direkten Vergleich mit der alten Alpha 1 bei sehr genauem Hinschauen erkennbar. Ich würde den Vorteil auf etwa eine halbe Blendenstufe schätzen – das ist nicht viel, aber besser als nichts.
Die Sony Alpha 1 II soll ein noch besseres Autofokussystem haben als das Vorgängermodell. Die Augenerkennung funktioniert gemäss Sony «30 Prozent besser». Ausserdem hat sich die Auswahl an Motiven vergrössert. Sie umfasst jetzt Menschen, Tiere, Vögel, Insekten, Züge, Flugzeuge, Autos und Motorräder. Neu gibt es auch einen automatischen Modus, in dem die Kamera selbständig herausfinden soll, was du gerade fotografierst.
Als Test lasse ich die Kamera gegen Emma antreten. Die leicht überenthusiastische Hündin ist mit ihrem Antritt eine echte Herausforderung für jeden Autofokus. Zunächst lasse ich den Fokusbereich auf «Wide». So hat die Sony Alpha 1 II oft Mühe, Emma zu erfassen, wenn sie auf mich zurennt. Ob ich die Motiverkennung auf «Tier» oder «Auto» stelle, macht keinen Unterschied.
Viel besser funktioniert der Autofokus, wenn ich den Bereich auf ein Feld begrenze und Emma damit anfangs kurz anvisiere. Dann erkennt die Kamera die Hündin sofort und lässt sie nicht mehr los. Selbst im vollen Lauf und in Szenen mit wenig Kontrast zum Hintergrund bleibt die Trefferquote erstaunlich hoch. Die alte Sony Alpha 1 liegt im direkten Vergleich etwas öfter daneben.
In einfacheren Szenen wie Porträts ist der Fokus der Alpha 1 II so gut wie unfehlbar. Das gilt sowohl für Fotos als auch Videos. Sonys Vorauslösefunktion von 0,03 bis 1 Sekunde ist nützlich und gut umgesetzt. Insgesamt wirkt das neue System genauso gut wie das der Alpha 9 III und gehört zu den besten auf dem Markt. Die Canon EOS R5 Mark II liegt meinem Empfinden nach auf dem gleichen Level, die Nikon Z8 folgt nur knapp dahinter.
Der neue Body fühlt sich besser an als der alte, weil er etwas runder ist. Der Griff bietet mehr Platz, der Auslöseknopf befindet sich auf einer schrägen Fläche und lässt sich so angenehmer betätigen. Sonys Gehäuse haben in den letzten Jahren klare Fortschritte gemacht – bleiben in Sachen Ergonomie aber meiner Meinung nach weiterhin hinter jenen von Canon und Nikon zurück. Diese schmiegen sich noch besser an meine Hand.
An der Bedienung habe ich nichts auszusetzen. Es gibt ganze fünf Custom-Buttons, die ich belegen kann. Der Aufnahmemodus, der Wechsel zwischen Foto und Video, die Bildfolge sowie die Art des Autofokus lassen sich alle über Wählräder verändern. Hinten habe ich die Wahl zwischen einem guten Joystick und dem Scrollrad mit 4-Wege-Tasten. Alles fühlt sich solide verarbeitet an.
Am meisten fällt mir im Vergleich zur Vorgängerin das Display auf. Es ist einerseits 0,2 Zoll grösser und hochaufgelöster, andererseits lässt es sich endlich ausklappen und drehen. Das macht für mich im Alltag einen grossen Unterschied. Den Bildschirm der alten Alpha 1 konnte ich nur nach oben und unten neigen und die Fotos sahen darauf nicht besonders gut aus. Der elektronische Sucher gehörte hingegen schon immer zu Sonys Stärken. In der Alpha 1 II ist er noch heller geworden. Besser geht es aktuell nicht.
Im Vorfeld wurde erwartet, dass die Alpha 1 II Videos in 8K 60p schafft, wie es bei Canon und Nikon der Fall ist. Nichts da – Sony belässt es bei 8K 30p. Das erscheint auf den ersten Blick wie ein Rückstand. Doch in der Realität ist die Funktion bei der Konkurrenz kaum alltagstauglich, denn sie funktioniert nur im riesigen RAW-Format. Für die Aufnahme von 8K 60p in einem vernünftigen Codec wie H.264 oder H.265 fehlt allen Herstellern die Rechenpower.
In 4K liegen wie bisher 120 Bilder pro Sekunde drin. Während 8K-Videos mittels Oversampling aus der vollen 8,6K-Auflösung berechnet werden, wechselt die Kamera in 4K auf Pixel Binning. Die einzige Neuerung gegenüber dem Vorgängermodell ist der aus Modellen wie der ZV-E1 bekannte digitaler Bildstabilisator namens «Dynamic Active Mode».
Die Sony Alpha 1 II wird dem ersten Eindruck nach ihrem Anspruch gerecht: Sie eliminiert die Imperfektionen der Vorgängerin, verbessert die Bildqualität ein kleines Bisschen und setzt sich insgesamt wieder an die Spitze des Markts. Es ist eine Kamera ohne Schwächen, die einfach alles kann.
Echte Innovationen fehlen jedoch. Umso grösser wird der Elefant im Raum: der Preis. Ja, das neue Flaggschiff ist zum Marktstart weniger teuer als seinerzeit das Vorgängermodell. Aber während es 2021 schlicht nichts Vergleichbares gab, sieht die Welt heute anders aus. Die Canon R5 Mark II ist satte 2400 Franken günstiger als die Sony Alpha 1 II. Und die Nikon Z8 kostet aktuell die Hälfte. Um das zu wiederholen: die Hälfte!
Zwar haben die zwei Konkurrenzmodelle ein paar marginale Nachteile: schlechtere Sucher, eine langsamere Auslesegeschwindigkeit bei Canon und ein weniger perfekter Autofokus bei Nikon. Doch ob diese Unterschiede eine solche Preisdifferenz rechtfertigen, darf bezweifelt werden.
Die Sony Alpha 1 II eignet sich für Leute, die um absolut jeden Preis eine Kamera ohne Kompromisse wollen – oder einfach schon tief in Sonys System stecken. Ein Upgrade von der originalen und ab sofort «günstigeren» Alpha 1 lohnt sich auf keinen Fall. Bei einem Neukauf würde ich den Aufpreis für das neue Display und die etwas bessere ISO-Performance aber zähneknirschend bezahlen.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.