Scham beiseite: 7 Fakten rund um die Vulva
Hintergrund

Scham beiseite: 7 Fakten rund um die Vulva

Einen Penis kann jedes Grundschulkind an die Klowand malen. Aber eine Vulva? Verwechseln selbst noch erwachsene Frauen mit der Vagina. Zeit, endlich aufzuklären.

Von der Spitze meines Daumens bis zur Spitze meines Zeigefingers. So lang ist ein durchschnittlicher Penis. Zumindest haben es mir in der Grundschule meine Mitschüler so geschildert. Ich wusste über die Anatomie des männlichen Geschlechtsteils früher Bescheid, als über Mathematik. Hingegen hätte ich meine eigenen, weiblichen Reproduktionsorgane nicht einmal mit viel Fantasie beschreiben können.

Während das männliche Geschlechtsteil nicht nur in meiner Vorstellung, sondern auch in unzähligen Studien in allen Schwellkörper-Zuständen und sogar nach Ethnien kartographiert war, fiel es mir am eigenen Körper lange schwer, «da unten» alles richtig zu benennen. Mumu, Scheide, Schlitz, Vagina – niemand erklärte mir, dass es für mein äußeres Genital nur einen korrekten Namen gibt: Vulva.

Ich finde: Rund um den weiblichen Intimbereich gibt es bereits genug Spekulation. Was es braucht, sind unverblümte Informationen und schamlose Details. Darf ich vorstellen? Nach der Klitoris und der Menstruation folgt die Vulva in sieben Fakten.

1. Die Vulva liegt außen, die Vagina innen

Vulva, Vagina – Pillepalle? Nein. Um gleich zu Beginn mit dem wohl größten Missverständnis aufzuräumen: Vulva und Vagina sind nicht dasselbe. Zur Vulva zählt alles, was du von außen sehen kannst: der Venushügel, die inneren und äußeren Vulvalippen (Labia minora und Labia majora), die Klitoriseichel mit Klitorisvorhaut, der Harnröhrenausgang, Scheidenvorhof und Vaginaleingang. Als Vagina (oft auch Scheide genannt) bezeichnet man dagegen den rund zwölf Zentimeter langen Muskelschlauch, der die Vulva mit dem Muttermund und der Gebärmutter verbindet.

Noch nie etwas von der Unterscheidung gehört? Damit bist du in guter Gesellschaft: Nicht einmal 30 Prozent aller Frauen in Deutschland wissen mit dem Begriff «Vulva» etwas anzufangen. Wie denn auch, wenn es Schulbuch-Verlage in Deutschland erst seit einem knappen Jahr schaffen, die Klitoris anatomisch korrekt abzubilden?

2. Die Vulva-Vagina-Vereitelung hast du einem Mann zu verdanken

Der männliche Blick hat das Bild der Vulva über Jahrhunderte geprägt, getrübt und de facto unsichtbar gemacht. Dank geht unter anderem an den italienischen Anatom und Chirurgen Matteo Realdo Colombo, der sich auch fälschlicherweise als Entdecker der Klitoris rühmte. Er führte bereits 1599 das Wort «Vagina» in die Medizin ein und beschrieb das Genital in seinem Werk «De Re Anatomica» als «desjenigen Teils, in den der Spieß eingeführt wird, wie in eine Scheide.»

Vagina lässt sich aus dem Lateinischen zu «Scheide» übersetzen und kommt in Colombos Beschreibung nicht sonderlich gut weg. Ihm zufolge ist die Vagina nichts weiter als eine Körperöffnung für das männliche Genital. Oder, um in der Zeit Colombos zu bleiben: Eine Scheide für sein Schwert. Die Vulva spielte in diesem Bild überhaupt keine Rolle.

Nachzulesen ist die Geschichte übrigens in «Vulva: Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts» der Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal.

3. Die Vulva ist das Lustzentrum

Dabei ist die Vulva so viel mehr als Colombo geahnt hätte. Alleine auf der Klitoris-Spitze befinden sich 8000 Nervenenden. Das ist rund dreimal so viel wie auf der Peniseichel. Die Vagina ist dagegen relativ unempfindlich, weshalb man sich erst in der aktuellen Wissenschaft langsam von der Freudschen Idee einer vaginalen Befriedigung trennt.

Statt vom ominösen G-Punkt sprechen Forschende nun immer öfter von der CUV-Zone. Oder auch: Der Clito-Urethro-Vaginal-Komplex. Studien legen nahe: Der Weg zum weiblichen Orgasmus geht über keinen magischen Knopf am Ende des Vaginalgangs, sondern wird durch eine erogene Zone ausgelöst. Durch ein Zusammenspiel von Klitoris, Harnröhre und vorderer Vaginalwand, wodurch die innenliegenden Klitorisschenkel stimuliert werden.

Die Liebkosung der Vulva ist also sehr vielversprechend. Nicht nur die Klitoris ist mit einem hochsensiblen Nervengeflecht ausgestattet, auch an den inneren Vulvalippen und dem Scheidenvorhof treffen unzählige Nervenenden aufeinander. Bei Erregung schwillt die Vulva an, wird stärker durchblutet und macht sich bereit für explosive Orgasmen. Wer stur penetriert, wird hingegen seine Partnerin selten glücklich machen.

4. Hodensack und Vulvalippen entstehen aus demselben Gewebe

Um die erogene Zone der Frau zu verstehen, ist es hilfreich, einen Blick auf die Geschlechtsentwicklung im Mutterleib zu werfen. Denn dort unterscheiden sich männliche und weibliche Anlagen sehr lange nicht. Zuerst ist jeder Embryo mit einem Genitalhöcker ausgestattet, aus dem ohne Testosteron eine Klitoris entsteht – heißt: In den ersten Wochen im Mutterleib sind alle Menschen erst einmal weiblich. Erst durch den Einfluss des männlichen Sexualhormons entsteht aus demselben Genitalhöcker ein Penis. Penis und Klitoris entwickeln sich also aus derselben Schwellkörperanlage.

Dazu kommt: Die leicht gerötete Narbe an der Penis-Unterseite ist die Verschmelzungslinie der beiden Urogenitalfalten. Dieses Gewebe bleibt bei biologischen Mädchen offen. Die inneren Vulvalippen entwickeln sich bei biologischen Jungen schließlich zur Harnröhre und die Haut des Hodensacks entsteht aus demselben Gewebe wie die äußeren Vulvalippen. Die zarte Linie am Hodensack sind also genaugenommen zwei zusammengewachsene Vulvalippen.

5. Die «normale» Vulva gibt es nicht

Eigentlich auch eine absurde Annahme. Trotzdem musste dafür ein Wissenschaftsteam des Luzerner Kantonsspitals 657 Vulven vermessen, um genau das herauszufinden. Hinzu kommt: Bei der Studie haben ausschließlich weiße Frauen mitgemachten – weltweit gibt es also noch viel mehr Variation und Diversität im Intimbereich der Frau. Deutlich wird das nicht zuletzt in dem Aufklärungs- und Kunstprojekt The Vulva Gallery auf Instagram. Warum ich all das erwähne? Weil die Vulva bis heute gleichzeitig zensiert und sexualisiert und zum Beispiel in Pornos völlig reduziert dargestellt wird.

Eine aktuelle Studie in Sexuality & Culture untersuchte die Darstellung von Vulven in Pornos und auf pornografischen Websites. Das Ergebnis: Vulven werden fast ausschließlich haarlos gezeigt, darüber hinaus sind auf den Bildern nur Vulven zu sehen, bei denen die inneren Vulvalippen nie über die äußeren hinausragen – was aber, siehe oben, bei mindestens der Hälfte aller Frauen der Fall ist. In Summe wird also ein Bild der Vulva verkauft, das «klein, zurechtgemacht, aufgeräumt» – und wenn ich ergänzen darf – kindlich ist.

Die Autorinnen und Autoren der Studie schließen: «Diese Darstellungen beeinflussen die Vorstellung des eigenen Genitals der Frauen und bewegen sie dazu, operative Schönheitseingriffe vornehmen zu lassen, um den präsentierten Standards zu entsprechen.»

Was mich zum nächsten Punkt bringt.

6. Vulva-OPs: Anstieg der intimchirurgischen Eingriffe um 73 Prozent

Tatsächlich legen sich immer mehr Frauen für dieses Schönheitsideal unter das Messer. Zwischen 2015 und 2019 wurde ein weltweiter Anstieg alleine der Schamlippenverkleinerungen (Labioplastik) von 73,3 Prozent verzeichnet, wie die International Society of Aesthetic Plastic Surgery in einem Report bekannt gibt. Und laut einer Aussendung des deutschen Ärzteblatts von 2017 zählt die «vaginale Verjüngung» mit weltweit 50 000 Eingriffen im Jahr 2015 zu den beliebtesten Schönheits-OPs.

Auch vor Schweizer Frauen macht dieser Körperkult keinen Halt. In einem Bericht der Schweizer Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie heißt es: «Ein weiterer Trend in der ästhetischen Chirurgie sind verjüngende Operationen im Genitalbereich. Schamlippenverkleinerung oder Scheidenraffungen werden am häufigsten durchgeführt, um dem Schönheitsideal der Patientinnen zu entsprechen.»

7. Die Vulva verändert sich mit Alter und Gewicht

Dabei ist es nur natürlich, dass sich die Vulva mit den Jahren und Lebensumständen verändert. Das zeigte unter anderem die bereits erwähnte Luzerner Studie – die bisher größte Studie des weiblichen Genitals. Das Team unter Dr. Anne Kreklau konnte nicht nur das Normalverständnis der Vulva aufbrechen, es zeigte auch: Die Vulva verändert sich mit dem Alter und dem Gewicht.

Konkret heißt es in den Ergebnissen: Das Alter hat einen Einfluss auf die Länge der inneren Vulvalippen wie auch auf die Länge des Damms, während der Body Mass Index (BMI) positiv mit der Länge der äußeren Vulvalippen und des Scheideneingangs korreliert.

Sprich: Je älter eine Frau ist, desto größer sind ihre inneren Vulvalippen und je mehr Gewicht sie hat, desto größer sind die äußeren Vulvalippen und ihr Vaginaleingang. Warum sollte es auch anders sein?

Titelfoto: shutterstock

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ichglaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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