
Hintergrund
Rollenziele: Was Faszientraining bringt
von Michael Restin
Er tut weh. Er soll weg. Er ist der zweitschlimmste Kater nach dem Kater. Der Muskelkater. Ein Leiden, das jeden irgendwann betrifft. Umso erstaunlicher, dass immer noch nicht ganz klar ist, was dabei im Körper passiert und wie du ihn am besten loswirst.
Mich erwischt er ganz sicher an der Adduktorenpresse. Selbst mit geringem Gewicht und vielen Wiederholungen weiss ich, dass Muskelkater vorprogrammiert ist und ich spätestens ab übermorgen wie ein Greis durch die Gegend tippeln werde. Was zum einen dafür spricht, dass ich die Adduktoren zu selten trainiere und zum anderen der schmerzhafte Beweis dafür ist, dass exzentrische Bewegungen besonders reinknallen. Das kontrollierte Nachlassen, wenn der Muskel gegen die eigene Dehnung arbeiten muss, ist das ein gefundenes Fressen für den Kater, der wohl eigentlich ein Katarrh (Entzündung) ist.
Du hast exzessiv trainiert, eine heftige Wanderung in den Beinen oder Muskeln beansprucht, die du sonst eher in Ruhe lässt? Dann bleiben dir manchmal sogar noch ein bis zwei Tage, bis der Muskelkater voll zuschlägt. Im Englischen spricht man treffend von «Delayed Onset Muscle Soreness», kurz DOMS. Dabei ist das, was die Muskulatur an sichtbarem Schaden davonträgt, schon früher zu beobachten. Bei Muskelkater lassen sich Risse in den Z-Scheiben feststellen, die die Abgrenzung der Sarkomer genannten kleinsten kontraktilen Einheiten eines Muskels sind. Darauf reagiert der Körper mit einer Schwellung. Die ist leider kein Indiz für wachsende Muskeln, es dringt schlicht Wasser ein und bildet ein Ödem. Die Sache fängt wohl erst dann an weh zu tun, wenn durch die begleitende Entzündung schmerzauslösende Substanzen freigesetzt werden und dir im wahrsten Wortsinn auf die Nerven gehen.
Welche Prozesse dabei genau ablaufen, ist noch nicht eindeutig geklärt. Und das würde dir auch nicht helfen, wenn du mal wieder Muskelkater hast. Er verschwindet ja von selbst und hinterlässt – wenn du die betroffenen Regionen nicht unverdrossen weiter quälst – keine bleibenden Schäden. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Wissenschaft ihn lange eher links liegen liess. Vor nicht allzu langer Zeit wurde noch das Laktat für die Schmerzen verantwortlich gemacht. Diese Theorie ist inzwischen zumindest überholt und Faszienforscher machen sich daran, dem Kater den Muskel zu nehmen. Sie vermuten die Ursache des Katzenjammers im Bindegewebe, wo viele Schmerzrezeptoren zu finden sind. Sollte sich das bestätigen, würde der stolze Begriff zum nur halb so heldenhaft klingenden Faszienkater zusammenschnurren.
Eine andere Frage, die den Ottonormalmuskelkaterbesitzer wohl eher bewegt: Wie werde ich ihn schnellstmöglich wieder los? Und wie verhindere ich ihn? Klar, ein gutes Aufwärmprogramm ist Pflicht. Dazu gehört auch ein Dehnprogramm. Aber ob Dehnen vor und direkt nach der Belastung in Bezug auf den zu erwartenden Muskelkater nun hilfreich oder sogar schädlich ist? Schon das ist wieder umstritten. Ein Review verschiedener Studien zum Thema kommt zu dem Schluss, dass die positiven Effekte minimal und zu vernachlässigen sind.
Dafür riskierst du, das Problem durch exzessives Dehnen sogar noch zu verschlimmern. Durch eisernes Weitertrainieren sowieso. Lockeres Gehen, Joggen und Schwimmen ist dagegen mehrheitsfähig und fördert nicht nur die Regenerationsprozesse. Durch die bessere Durchblutung nimmt auch das Schmerzgefühl ab. Leichte Massagen und Faszientraining können ebenfalls positive Effekte auf die Schmerzwahrnehmung haben, bei beidem ist aber auch Vorsicht geboten. Übertreibst du, tut es am nächsten Tag nur noch mehr weh. Wärme ist dagegen unzweifelhaft angenehm. Am besten gehst du eine Runde in deine Sauna.
Was, du hast keine? Dann kannst dich immerhin damit trösten, dass Profis, die viele Wettkämpfe in kurzer Zeit bestreiten müssen, nach der Belastung nicht mehr ins wohlig warme Entmüdungsbecken steigen, sondern zur Regeneration häufig auf die Kaltwasserimmersion setzen. Klingt kompliziert, ist aber einfach ein Bad in arschkaltem Wasser, gerne mit Eiswürfeln drin. Auch nicht jedermanns Sache.
Heiss oder kalt? Bewegen oder ruhigstellen? Dehnen oder einfach entspannen und warten, bis der Muskelkater seine Krallen löst? Wenn nichts ganz eindeutig richtig oder falsch ist, spielt auch das persönliche Empfinden eine Rolle. Für mich fühlt sich lockeres Bewegen und ein warmes Bad ziemlich richtig an. Kollege Patrick Bardelli hat kürzlich auch mal wieder über Muskelkater geklagt und sich bewegt, als wäre er gerade 50 geworden. Jetzt hat er sich ein wummernd-vibrierendes Stützkorsett umgeschnallt, mit dem er wie Captain Future aussieht. Aber das ist eine andere Geschichte. Möglich, dass wir uns den nächsten Muskelkater beim Lachen holen.
Was machst du bei Muskelkater?
Der Wettbewerb ist inzwischen beendet.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.