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Junta – das Spiel, das mich zum Arschloch macht

David Lee
26.10.2018

Spiele haben eine grosse Macht: Sie lösen in mir Verhaltensweisen aus, die ich mir nie zugetraut hätte. Und dann finde ich das auch noch gut. Das bringt mich zum Nachdenken.

Spieleabend mit Kollegen: Wir spielen Junta. Das Spiel gibt es in verschiedenen Variationen, wir spielen hier die Version «Junta - Viva El Presidente». Eine Art Light-Version, die nicht so lange dauert.

Junta ist ein satirisches Brettspiel von Vincent Tsao, Ben Grossman und Eric Goldberg. In dem Brettspiel übernehmen die Mitspieler die Rolle von Mitgliedern einer Junta, die eine fiktive, hochgradig korrupte «Republica de las Bananas» regieren. Ziel des Spiels ist die Veruntreuung von Geldern, je nach Ausgabe sind dies entweder Entwicklungshilfegelder einer «Grossmacht, die keine Fragen stellt» oder Gelder der UNO, die auf dem eigenen Schweizer Konto angehäuft werden müssen. Die Spielregeln weisen einige Besonderheiten auf, so zum Beispiel die ausdrückliche Aufforderung, seine Mitspieler zu betrügen.
Wikipedia

El Presidente, das bin ich. Hört sich eigentlich noch gut an, «el Prrrrrresidente», staatsmännisch und trotzdem entschlossen, die Revolution auch gegen Widerstände resolut durchzuziehen – doch die Realität sieht anders aus.

Ohne Korruption läuft hier nämlich gar nichts: Wenn ich nicht weggeputscht werden will, muss ich schmieren. Dazu wäre ich durchaus bereit, doch nun habe ich die Arschkarte gezogen, oder besser gesagt, ganz viele Arschkarten. Ich bräuchte eigentlich ein paar Millionen, mit denen ich die ganzen Militärs und Drogenbarone wohlgesinnt stimmen kann. Aber die Karten, die ich in dieser Runde erhalten habe, stehen nicht für Cash, sondern für unnützes Zeug oder für Waffen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als die Saubande mit Waffen zu bestechen.

Dumm nur, dass diese Waffen dann auch gegen mich verwendet werden können.

Der Bauernaufstand, die Arschkarte schlechthin in diesem Spiel
Der Bauernaufstand, die Arschkarte schlechthin in diesem Spiel

Verräter, wo du nur hinschaust

Es kommt, wie es kommen muss. Ausgerechnet der Mitspieler, der die ganze Zeit am meisten gejammert hat, wie schlecht er wegkomme, der am lautesten nach Cash geschrien und von mir mit Abstand am meisten Waffen erhalten hat, ausgerechnet der benutzt diese Waffen nun, um mich zu stürzen.

Den Rest des Spiels verbringe ich damit, mich an diesem miesen Verräter zu rächen. Meine Position ist aber so geschwächt, dass ich eh nicht mehr gewinnen kann. Also versuche ich wenigstens noch ein bisschen Schaden anzurichten. Aber nicht einmal das gelingt. Das steigert die Lust auf Rache weiter, obwohl klar ist, dass ich so nie gewinne.

Aber ich lerne meine Lektion. Nicht hinterher rächen, sondern im Voraus lautstark damit drohen. Andererseits grossartige Versprechen für die abgeben, die zu dir halten. Aber vor allem aber nichts unversucht lassen, um Zwietracht zu säen und die verschiedenen Möchtegern-Herrscher gegeneinander aufzuhetzen.

Das sind alles Verhaltensweisen, die ich «im richtigen Leben» strikt ablehne, mehr noch: Ich komme normalerweise gar nicht in Versuchung, mich so zu verhalten. Mir hat es schon als Kind nie Spass gemacht, andere zu quälen oder zu intrigieren. Im Spiel aber entdecke ich plötzlich die Lust am Fiesen. Der Triumph, jemanden hereingelegt zu haben: unbezahlbar. Das Spiel Junta verändert – vorübergehend – meinen Charakter. Das bringt mich zum Nachdenken.

Was geht hier genau vor? Ich fange an, mir grundsätzliche Gedanken über die Wirkung und Funktionsweise von Spielen zu machen.

Eine satirische Aussage über die Welt

Zuerst das Offensichtliche: Spiele folgen einer bestimmten Logik, nach der du spielen musst, um zu gewinnen. Wenn das Spiel so läuft, dass der fieseste Hund die grössten Gewinnchancen hat, dann spielst du halt dieses dreckige Spiel mit. Das bedeutet natürlich, dass es die Spieldesigner in der Hand haben, konstruktive oder destruktive Verhaltensweisen zu fördern.

Wenn ein Spiel nicht abstrakt ist, sondern etwas Reales simuliert, dann macht es auch eine Aussage über die Welt. Bei Junta ist das offensichtlich. Die Spieler, die gerade nicht Präsident sind, werden in der Spielanleitung als «Putschisten» bezeichnet. Etwas anderes gibt es nicht. Den Staat nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu führen, diese Option steht im Spiel nicht zur Wahl. Dass jemand nicht nur auf seinen persönlichen Vorteil bedacht ist oder wenigstens bestimmte Grenzen kennt: ausgeschlossen. Dass du mit Ehrlichkeit und einer soliden Vertrauensbasis langfristig mehr Erfolg hast: LOL. Die Spielanlage ist extrem zynisch.

Für mich ist genau das der Grund, warum mir das Spiel Spass macht. Es zwingt mich zwar, mich wie ein Arschloch zu verhalten, doch es tut dies nicht, um mir solches Verhalten im realen Leben beizubringen. Im Gegenteil, das Spiel macht mir klar, dass solches Verhalten zwar erfolgreich, aber verwerflich ist. Die comicartig gezeichneten Junta-Verbrecher sehen lächerlich und unsympathisch aus. Schon rein optisch ist das Spiel also eine Satire. Es legt die Missstände, die die Akteure in der Realität zu vertuschen versuchen, offen dar.

Junta ist ein Spiel für Erwachsene. Kinder spielen Spiele, um etwas zu lernen: Geschicklichkeit, Strategie, Kooperation oder auch Täuschung. Und natürlich, weil es ihnen Spass macht. Aber sie sind noch nicht in der Lage, ein Spiel als Gesellschaftskritik zu begreifen. Kinder würden im schlechtesten Fall den Zynismus des Spiels als völlig normale Handlungsmaxime verstehen. Darum finde ich die Altersempfehlung der Vollversion – ab 16 bis 18 Jahren – völlig richtig. Unsere Spielvariante wird bereits ab 10 Jahren empfohlen. Für mich nicht nachvollziehbar.

Trotzdem ein Lerneffekt

Für mich als Erwachsenen hat das Spiel einen anderen Lerneffekt. Ich will nicht lernen, im richtigen Leben so zu handeln, sondern ich will den Mechanismus dahinter verstehen. Die Verhaltensweisen aus Junta existieren ja in der realen Welt durchaus, obwohl sie in der Theorie niemand gut findet. Dafür gibts sicher Gründe, die aber nicht so leicht zu verstehen sind. Was dahinter steckt, verstehe ich viel besser, wenn ich die Situation nachspiele und mich so in die Denkweise der Junta-Mitglieder hineinversetze.

Übrigens:Ich nehme an, Junta ist nicht das einzige Spiel mit Arschloch-Effekt – aber das einzige, das ich kenne. Kennst du ein anderes?

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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