

Ich bin absichtlich mit offenem Hosenladen rumgelaufen – das soll jetzt Trend sein

In der Mode ist er das Äquivalent zu etwas zwischen den Zähnen haben: der offene Hosenschlitz. Doch ausgerechnet dieser Fashion-Fauxpas soll jetzt trendy sein. Ich hab's ausprobiert.
Manchmal mache ich in der Öffentlichkeit absichtlich meinen Hosenladen auf – und zwar nach einer ausgiebigen Mahlzeit, wenn der Bund qualvoll auf den vollen Bauch drückt. Den Befreiungsakt kaschiere ich dann mal mehr, mal weniger erfolgreich unter meinem Oberteil. Doch das wird künftig vielleicht gar nicht mehr nötig sein. Es brodelt nämlich ein kurioser Trend aus der Fashion-Hölle hoch: Modebegeisterte Menschen lassen ihren Schlitz offen, schlagen den Bund um und nennen es einen Look.
Aufgefallen ist mir der gewöhnungsbedürftige Trend vor etwa einem halben Jahr, als die «874 Work Pants» von Dickies viral gingen. Frauen kauften sich das Modell aus der Herrenabteilung und lösten das Problem der zu weiten Taille, indem sie Knopf und Reissverschluss einfach offen liessen und den Bund nach aussen klappten, sodass die weisse Rückseite samt Dickies Logo exponiert ist.

Quelle: Instagram: @tbhnoemi

Der Trick beschränkt sich aber keineswegs nur auf die Büxe von Dickies. Immer öfter entdecke ich den offenen Stall nun auch bei Jeans oder Anzughosen. Kleiderfirmen verkaufen sogar Modelle, die im Normalzustand so aussehen, als hätte man den Bund umgeklappt. Ist der fake Innenbund die neue fake Hosentasche?

Quelle: Instagram: @hannaschonberg

Quelle: Instagram: @bygigivassallo
Bloss ein weiterer Nullerjahre-Trend?
Obwohl der Hashtag #874Dickies auf Tiktok bisher rund 63 Millionen Views erzielt und wohl massgeblich zur Verbreitung des Trends beigetragen hat, existierte diese Trageart schon vor dem Dickies-Hype: 2019 etwa trug Topmodel Bella Hadid sogar auf rotem Teppich eine aufgeknöpfte Jeans mit umgeklapptem Bund. Das voranschreitende Nullerjahre-Revival dürfte ebenfalls zur wachsenden Popularität des offenen Schlitzes beigetragen haben. Denn durch den gefalteten Bund kriegen hoch geschnittene Hosen auf die Schnelle einen Low-Waist-Look.
Doch ist der offene, umgeschlagene Hosenladen wirklich nur eine weitere Y2K-Laune – oder steckt mehr dahinter? Ist er vielleicht das textile Gegenstück zur Out-of-bed-Frisur? Eine stille Rebellion gegen gesellschaftliche Konventionen? Eine Ode an die Bequemlichkeit komponiert in der pandemiebedingten Isolation? Soll der Look etwa sagen «Ja, mein Hosenstall ist offen und es ist mir sowas von egal, denn ich stelle mein Wohlbefinden über Regeln und bin sowieso zu cool und unbekümmert, um meinen Schlitz zu schliessen»?
Ich will es genau wissen, herausfinden, worin der Reiz liegt, und entscheide mich dazu, den Look auszuprobieren. Dem Tangablitzer habe ich vor Kurzem ja auch eine Chance gegeben.
Spoiler: Ich bin kein Fan
Ich schnappe mir die nächstbeste Jeans, lasse sie halbwegs offen und falte den Bund. Dabei merke ich, dass ich erstmal penibel die Zettel an der Seite und hinten abschneiden muss – obwohl das scheinbar nicht einmal Pflicht ist. Influencerin Gigi Vassallo lässt sie für die Extra-Portion «I don't care» einfach raushängen (siehe Bild oben).


Mit offenem Schlitz, aber ohne Zettel, trete ich also vor die Tür. Ein Ostschweizer Einkaufscenter muss als einmalige Test-Location herhalten. Und was soll ich sagen? Merkwürdig angeschaut werde ich nicht. Zu meiner Enttäuschung findet auch niemand: «Exgüsi, Ihr Schlitz ist offen» und ich kann nicht antworten mit «Äh, nein?! It's Fashion!» Ausserdem habe ich ständig das Gefühl, den gefalteten Bund zurechtrücken zu müssen. Als der letzte Laden schliesst, mache ich auch meinen zu. So sieht dieses Outfit – und wohl auch fast jedes andere – meiner Meinung nach besser aus.
Meine Erfahrung mit dem offenen Hosenladen war somit kurz und ereignislos. Ich habe mich damit weder stylisch noch super komfortabel noch aufmüpfig gefühlt, sondern einfach nur unfertig angezogen. Auf die Bund-Umschlag-Methode zurückgreifen werde ich in Zukunft also nicht – mit einer Ausnahme: Ich sitze im Restaurant und habe über meinen Hunger hinaus gegessen.
Auftaktbild: Instagram: @hannaschonberg

Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.