

Glaube nicht alles, was du denkst: So überwindest du negative Glaubenssätze

Glaubenssätze sind eine verzerrte Wahrnehmung der Realität – und haben mit dir heute nicht mehr viel zu tun. Doch kann man diese Manifestationen, die aus der frühen Kindheit stammen, wirklich loswerden?
Bist du «normalgestört»? Dann agiert dein Gehirn ziemlich sicher so: Es macht dir täglich Angebote, Schlimmes über dich selbst zu denken – du bist nicht willkommen, nicht gut genug, an besonders düsteren Tagen sogar eine Bürde für deine Mitmenschen. Was dahinter steckt, ist ein Gerüst aus Glaubenssätzen, die du im Laufe deines Lebens gelernt, internalisiert und permanent reproduziert hast.
Jeder Mensch hat solche negativen Glaubenssätze. Die Psychologin und Glaubenssatz-Expertin Katja Herz nennt das liebevoll «normalgestört» – ein Begriff, den Stefanie Stahl geprägt hat, die Autorin des Bestsellers «Das Kind in dir muss Heimat finden».

Und es stimmt: Immer und ohne Zweifel nur das Beste über sich selbst zu denken, ist ebenso illusorisch – und wäre schon fast eine Diagnose für sich.
Wie Katja Herz hilft auch Andrea Zellinger ihren Klientinnen und Klienten dabei, schädliche Glaubenssätze zu lösen und der negativen Gedankenspirale zu entkommen. Die beiden Expertinnen erklären, wann negative Glaubenssätze entstehen und wie du sie überwinden kannst. Ganz ehrlich:Einfach ist es nicht.
Glaubenssatz: Eine Brille für die Welt
Glaubenssätze sind tiefliegende und unterbewusste Überzeugungen, die du über dich und die Welt hast. Neurologisch gesehen handelt es sich dabei um Netzwerke aus Gedanken, Emotionen und Erinnerungen in deinem Gehirn. Metaphorisch gesprochen sind Glaubenssätze die Brille, durch die du die Welt siehst. Eine (mehr oder weniger) verzerrte Wahrnehmung der Realität, die mit dir tatsächlich meist gar nicht viel zu tun hat.
Denn Glaubenssätze entstehen in einer sehr vulnerablen Zeit: in den ersten Lebensjahren eines Kindes. Nach der Geburt ist das Gehirn eines Menschen nicht fertig entwickelt. Neuronale Netzwerke und Verknüpfungen entstehen in den ersten Lebensjahren, weshalb du in dieser Zeit besonders prägbar bist.
Expertin Herz erklärt: «Durch die frühen Prägungen mit den ersten Bindungspersonen entsteht ein Gefühl von «Ich bin willkommen» oder «Ich bin zu viel». Glaubenssätze entstehen dadurch, wie aufgehoben sich ein Kind in der Welt fühlt.»
Als Kind mit dauerhaft gestressten Eltern aufzuwachsen kann schon ausreichen, um den Glaubenssatz zu entwickeln «Ich bin zu viel», sagt Herz und gibt ein Beispiel aus ihrer Arbeit: «Als Kind musste ich vielleicht brav und lieb sein, um der Mutter nicht zur Last zu fallen. Heute als erwachsene Frau ist das keine gute Strategie mehr. Heute muss ich mich durchsetzen, abgrenzen und Nein sagen können.»
Schutzstrategien: Wie zeigt sich ein schädlicher Glaubenssatz?
Strategien wie diese werden Schutzstrategien genannt und sind so alt wie der Glaubenssatz selbst: Du hast sie entwickelt, um dich vor Stress und negativen Gefühle zu bewahren, die der Glaubenssatz in dir auslöst. Um das Gefühl von «Ich bin nicht willkommen» zu vermeiden, können zum Beispiel Schutzstrategien entstehen, mit denen du dich anpasst.
«Ich bin dann besonders nett, gehe besonders stark auf die Bedürfnisse der anderen ein und achte mehr auf die anderen, als auf mich selbst» erklärt die Psychologin. Zum Problem werde diese Schutzstrategie dann, wenn man den Kontakt zu sich selbst verliert. Katja Herz sagt: «Diese Menschen haben keinen guten Zugang zu sich selbst und den eigenen Bedürfnissen. Oft sind sie so lange angepasst, bis sie sich entweder erschöpft zurückziehen müssen oder plötzlich vor Wut explodieren.»
Dass negative Glaubenssätze ihre Spuren in deiner psychischen Gesundheit hinterlassen, belegen auch Studien. In einer Untersuchung zu der Verbindung zwischen Glaubenssätzen und mentaler Gesundheit von Studierenden zeigt sich: Negative Glaubenssätze begünstigen die Entstehung von Erkrankungen wie Depression und Angststörungen.
Eine Studie im Journal of Diabetes & Metabolic Disorders geht noch weiter: Negative Glaubenssätze sind nicht nur mit mentalem, sondern auch mit oxidativem Stress und erhöhten Entzündungswerten verbunden und können damit auch körperliche Auswirkungen haben. Überspitzt formuliert, könnten dich negative Gedanken bis zur Diabetes-Erkrankung deprimieren.
Erkenne den Glaubenssatz: Der erste Schritt aus dem Teufelskreis
Schutzstrategien bewahren dich vor den negativen Gefühlen und Gedanken. Sie über Bord zu werfen, ist daher ein heikles Thema. «Es gibt Gründe für die Psyche, sich nicht verändern zu wollen» sagt Psychologin Herz. «Schutzstrategien bieten Schutz. Darum sind sie so stark.» Ängste, vor denen dich diese Strategien bewahren, können durchaus existenziell sein. Zum Beispiel die Angst, verlassen zu werden: Sie kann Todesangst und Panik auslösen.
Solche Erfahrungen des Verlassenwerdens triggern eine Urangst und können sich zum Beispiel als der Glaubenssatz manifestieren: «Ich bin nicht gut genug.» Der Grund dafür ist tragisch: «Ein Kind möchte lieber selbst nicht gut genug sein, als dass die Eltern nicht gut genug sind. Das wäre viel zu gefährlich.»
Den Glaubenssatz zu erkennen und ihn als erwachsener Mensch neu zu bewerten, ist der erste Schritt aus dem Teufelskreis, sagt Herz. Anders als ein Kind, kann man als Erwachsener objektiv auf den Glaubenssatz blicken und erkennen: Verlassen zu werden überlebt man.
Glaubenssätze neu formulieren: Bewusst machen und aufschreiben
«Erkennen ist der erste Schritt» weiß Expertin Zellinger. «Danach ist es wichtig, dass du dir bewusst beim Denken zuhörst.» Sie empfiehlt fünf Minuten lang alles aufzuschreiben, was du denkst. Ähnlich einer Schreibtherapie kannst du dann von außen auf deine Gedanken schauen und schädliche Glaubenssätze leichter erkennen.
Um sie im nächsten Schritt zu lösen, arbeitet Katja Herz nach der Methode der Psychologin, Buchautorin und Podcasterin Stefanie Stahl: ertappen und umschalten. Katja Herz erklärt: «Sobald ich meine Glaubenssätze kenne, werde ich merken, in welchen Situationen sie aktiviert werden und Stress auslösen. Ich kann mich bei negativen Gedanken ertappen und dann aktiv mit einem alternativen Glaubenssatz gegensteuern.»
Den zu finden, sei aber nicht so einfach. Die Formulierung des Glaubenssatzes muss ganz individuell für dich passen und sollte auch nicht als Vision für die Zukunft formuliert sein. «Es muss ein Satz sein, den ich jetzt, heute, genauso fühle» sagt Herz. Wenn du ihn aufschreibst und durchliest, solltest du dich leicht und gut fühlen. Sätze wie «Ich darf so sein wie ich bin» oder «Ich darf Nein sagen» sind zwei Beispiele.
Tägliches Training, Affirmationen und Selbstmitgefühl: Neue Glaubenssätze internalisieren
Ist der Glaubenssatz gefunden, geht es ans tägliche Trainieren: «Unsere neuronalen Netzwerke aus der Kindheit sind sehr stark. Wir befahren dieselben Autobahnen immer wieder und es braucht viel Training, neue Bahnen zu entwickeln» bestätigt Herz. Sich die Sätze auf ein Post-It zu schreiben und in der Wohnung aufzuhängen, kann helfen, die Glaubenssätze zu internalisieren.
Eine andere Möglichkeit sind Affirmationen. Coach Zellinger wendet die Methode regelmäßig mit Klientinnen und Klienten an: «Affirmationen sind Eingaben an das Unterbewusstsein. Wenn du sie oft genug sagst, werden sie zum Glaubenssatz.»
Das mag jetzt nach Klischee oder schlechten Hollywoodfilmen klingen, aber: Nimm dir täglich zwei Minuten Zeit, stell dich vor den Spiegel, halte Blickkontakt mit dir selbst und sage deine positiven Glaubenssätze – idealerweise mit Freude – auf.
Titelfoto: shutterstock

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party.