Hintergrund

Elektrische Muskelstimulation: komplexes Krafttraining unter Strom

Simon und Yannick sind eineiige Zwillinge. Für Galaxus haben die Brüder in den letzten drei Monaten an unserer EMS-Challenge teilgenommen. Fazit: Training unter Strom hat Vorteile und gewisse Tücken.

Gelenkschonendes Krafttraining oder Muskelschwundprävention nach einer Verletzung: Einige Physiotherapeuten und eine Handvoll Fitnessstudios haben bisher die Vorteile der elektrischen Muskelstimulation, kurz EMS, genutzt. Dabei stimulieren sanfte elektrische Impulse Bizeps und Co. Diese Stimulation kann sowohl zur Stärkung und zum Wachstum der Muskulatur als auch zu Regenerationszwecken genutzt werden.

Eine Nische, die jedoch immer populärer wird. Dies haben auch die Hersteller der EMS-Anzüge erkannt. Seit Kurzem gibt es Produkte, die ohne Kabel auskommen. Denn das war bisher einer der grossen Nachteile: die Bewegungsfreiheit.

Verkabeltes Training unter Strom schränkt die Bewegungsfreiheit ein.
Verkabeltes Training unter Strom schränkt die Bewegungsfreiheit ein.

Seit diesem Frühling im Galaxus-Sortiment: der EMS-Suit von Fortis komplett ohne Kabel.

Galaxus EMS-Challenge

Doch was bringt das Training unter Strom, was sind die Vor- und eventuell die Nachteile? Das wollten wir herausfinden und lancierten die Galaxus EMS-Challenge. Mit dabei die eineiigen Zwillinge Simon und Yannick Heibei aus Küttigen bei Aarau. Die beiden Studenten hatten sich auf unseren Aufruf gemeldet und nahmen am dreimonatigen Trainingsprogramm teil.

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    Gesucht, gefunden: Zwillinge für EMS-Test

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Das Höferlin Institut

Professionell begleitet wurde der Test durch das Höferlin Institut in Basel. Das Familienunternehmen hat sich neben Physiotherapie und personalisiertem Training auch auf medizinisches EMS-Training spezialisiert.

Judith und Andreas Höferlin checkten Simon und Yannick zum Start der Challenge Ende August gründlich durch. Das beinhaltete eine Bioelektrische Impedanzanalyse. Diese diente der Bestimmung der Körperzusammensetzung. Ausserdem wurden die Wirbelsäulen der Brüder vermessen und eine physiotherapeutische Analyse erstellt.

Die Ausgangslage

Dabei kamen viele Daten zusammen, die für Simon und Yannick interessant waren. Wir konzentrierten uns in der Folge auf zwei Parameter: das Körperfett und die aktive Körperzellmasse, kurz BCM. Diese umfasst alle stoffwechselaktiven Bereiche des Körpers, unter anderem auch die Skelettmuskulatur. Insgesamt schnitt hier Yannick leicht besser ab als sein Bruder:

  • Yannick 15,7% Fett / 33,2 kg BCM
  • Simon: 17,2% Fett / 32 kg BCM

Yannick hatte, einfach gesagt, mehr Muskeln und weniger Fett als Simon. Dafür war dieser beweglicher, in den Beinen koordinativ stabiler und hatte mehr Sprungkraft.

Simon und ...
Simon und ...
... und sein Bruder Yannick werden auf Herz und Nieren durchgecheckt.
... und sein Bruder Yannick werden auf Herz und Nieren durchgecheckt.

Die Challenge

Jetzt brauchten wir noch einen Trainingsplan für die nächsten drei Monate und die Challenge war komplett. Dabei zeichneten Simon und Yannick ihre Trainings jeweils mit der Mywellness-App auf. Diese gibt es im Apple Store und bei Google Play. Judith Höferlin stellte zwei Programme zusammen: ein funktionelles Training und eines, das auf Kraft ausgelegt war. Die Brüder absolvierten die gleichen Workouts: gleiche Übungen an denselben Tagen und dies mit identischen Sätzen und Wiederholungen. Allerdings trainierte Yannick bei drei Workouts für jeweils 20 Minuten im Anzug unter Strom.

Da die beiden im selben Haushalt wohnen und einen praktisch identischen Alltag haben, ernähren sie sich auch auf sehr ähnliche Weise. Deshalb mussten sie bei der Ernährung keine speziellen Massnahmen treffen.

Nun sind zwölf Wochen vergangen, Zeit Bilanz zu ziehen. Wer hat mehr Körperzellmasse zugelegt und Körperfett reduziert? Yannick mit dem EMS-Anzug von Fortis oder Simon, der ohne Strom trainiert hat.

Die Resultate

Das sind die nackten Zahlen:

  • Yannick: - 1,3 % Fett / + 0,5 kg BCM
  • Simon: - 4,5 % Fett / + 3,1 kg BCM

Und wie schätzen wir das nun ein?

Beide Brüder haben vom Training enorm profitiert. Simon, der ohne Anzug trainiert hat, ist mit schlechteren Werten gestartet und hat während den drei Monaten grössere Sprünge gemacht als Yannick mit Anzug. Das intensive Training hat aber nicht nur positive Spuren hinterlassen:

Simon hat nun Fettwerte an der unteren Grenze. Bei ihm würde ich sicher die Intensität im Moment runterfahren und die Ernährung anschauen.
Judith Höferlin

Auch bei Yannick steht in den nächsten Wochen die Regeneration im Vordergrund.

Beide Brüder haben im funktionellen Bereich in der Beinbeweglichkeit bessere Werte, auch das Gleichgewicht hat sich verbessert. Vor allem Yannick, der hier mit Defiziten gestartet war, hat nun eine deutlich bessere Beinkoordination. Allerdings ist seine Wirbelsäule tendenziell ein wenig instabil und nicht so beweglich in der Rotation. Das liegt auch daran, dass der Fokus zuletzt stark auf den Kraftübungen lag. Trotz vielen Übungen mit Rotationen konnte er die Beweglichkeit nicht steigern. Das muss nun über Dehnübungen geschehen.

Ausserdem sollte Yannick laut Judith Höferlin in Zukunft die Übungen weniger explosiv und langsamer ausführen, um die Aufmerksamkeit noch mehr auf die Stabilisierung der Wirbelsäule und die Qualität der Bewegungsausführung zu richten.
Dies sei ein Kriterium, das gegen selbst ausgeführtes EMS- oder Aufbautraining zu Hause ohne Anleitung spräche, so Judith Höferlin. Bei hoher Motivation bestehe die Gefahr, (zu) viel Gewicht zu nehmen und den Körper dadurch zu destabilisieren.

Judith Höferlin analysiert die Daten.
Judith Höferlin analysiert die Daten.

Yannick im Gespräch

Und was meint Yannick zum EMS-Anzug von Fortis, den er nun drei Monate intensiv genutzt hat? Hier seine Einschätzung dazu:

** Wie sind deine Erfahrungen mit dem Anzug: Was war positiv, was negativ?**
Yannick Heibei: Positiv war die Erfahrung eines intensiven Trainings unter Strom. Speziell für Core- und Bodyweight-Workouts eignet sich der Anzug gut. Jedoch kann sich ein Programm von nur 20 Minuten manchmal unbefriedigend anfühlen. Man hat fast das Gefühl, zu wenig gemacht zu haben.

Beschreibe doch bitte das Gefühl, unter Strom zu trainieren. Wie muss ich mir das vorstellen? Und kamen im Fitnesscenter auch Kommentare dazu?
Zu Beginn des Trainings kann sich der Strom unangenehm anfühlen, doch während man sich in Bewegung befindet, stört es nicht. Kommentare gab es kaum im Fitnesscenter, aber ich gestalte mein Training auch so meist ohne grosse soziale Interaktion. Es gibt sicher angenehmere Outfits, aber wenn man sein Gemächt nicht präsentieren will, lässt es sich auch problemlos mit einer Hose über dem Anzug trainieren.

Wie sieht es bezüglich Handling und Tragekomfort aus?
Der Anzug bietet genug Bewegungsfreiheit für fast alle Übungen, der Akku an der Hüfte ist fast nie im Weg. Der Tragekomfort ist gut, der Reissverschluss mit dem Band funktioniert ebenfalls. Ein Training mit dem Anzug ist schweisstreibend. Nach zwei bis drei Trainings sollte man ihn waschen, sonst entwickelt sich eine herbe Duftnote. Die App läuft ebenfalls ohne grosse Probleme und stürzt selten bis nie ab. Dank der App lassen sich die Intensität und aktiven Körperregionen gut und direkt kontrollieren. Die Akkulaufzeit überzeugt ebenfalls.

Einer der Vorteile des EMS-Trainings ist die kurze Dauer der Workouts. Ausserdem ist das Training gelenkschonend. Du hast den Anzug nun drei Monate getestet. Gibt es aus deiner Sicht Nachteile?
Für Besuche im Fitnessstudio ist der Anzug nur bedingt tauglich, da die effektive Trainingszeit der 20 Minuten, in denen das Programm läuft, durch das Desinfizieren der Hanteln oder Geräte und das Wechseln der Stationen oder Gewichte reduziert wird. Freihanteltraining oder Übungen mit Körpergewicht zu Hause eignen sich besser.

Wie lautet dein Schlussfazit: Kaufempfehlung ja/nein?
Wenn ein Kunde wenig Zeit für Sport hat und über das passende Budget verfügt, empfehle ich den Kauf.

Yannick Heibei mit EMS-Suit von Fortis.
Yannick Heibei mit EMS-Suit von Fortis.

Das Fazit

Es ist klar, dass unsere EMS-Challenge mit Simon und Yannick kein wissenschaftlicher Test war. Trotzdem sind wir überzeugt, dass wir mit den eineiigen Zwillingen und unserem Setting einige aussagekräftige Zahlen erhalten haben. Erstaunt hat uns zum Beispiel, dass Simon ohne Anzug die besseren Werte erzielte als sein Bruder. Allerdings startete er mit mehr Körperfett und weniger Muskelmasse in die Challenge. Sein Potential war also grösser.

Eine weitere Erkenntnis: Das intensive Training hat bei den 20-Jährigen Spuren hinterlassen. Positive wie negative. Für beide ist nun erstmal Erholung und nur leichte körperliche Aktivität angesagt.

Die Vorzüge des EMS-Anzugs lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Maximal drei Trainings pro Woche à 20 Minuten statt stundenlanges Schwitzen im Kraftraum; gelenkschonende Workouts statt hoher Load auf Knie und Co. und eine unbegrenzte Bewegungsfreiheit. Das sind die wichtigsten Argumente pro Anzug. Demgegenüber stehen die hohen Anschaffungskosten und die Tatsache, dass der Anzug im Gym nur bedingt von Nutzen ist. Denn das Reinigen der Geräte und der Wechsel der Stationen fressen wertvolle Trainingszeit.

Und dann bleibt die Frage, welche Rolle das Corona-Virus auf unser künftiges Trainingsverhalten haben wird. Schon heute bleiben viele Hobbysportler*innen aus Angst vor einer Ansteckung dem Gym fern. Das so gesparte Geld fürs Abo in einen EMS-Anzug zu investieren und künftig in den eigenen vier Wänden zu trainieren, kann durchaus eine Überlegung wert sein.

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Vom Radiojournalisten zum Produkttester und Geschichtenerzähler. Vom Jogger zum Gravelbike-Novizen und Fitness-Enthusiasten mit Lang- und Kurzhantel. Bin gespannt, wohin die Reise noch führt.


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