

Diese Schweizer Tulpen wachsen ganz ohne Erde

Nicht nur Holländer können Tulpen produzieren. Auch in einem 1000-Seelen-Dorf in der Ostschweiz ist gerade Tulpensaison – versteckt in einem modernen Gewächshaus.
Ein grüner Teppich liegt zu meinen Füssen. Von oben knallt die Sonne ordentlich aufs Dach und versorgt die Pflanzen mit dem nötigen Licht. Dennoch ist es eher kühl im Glashaus. Während ich mir für den extra Pulli mental auf die Schulter klopfe, bewegt sich etwas in der hinteren Ecke. Ein Roboter gleitet über die Tulpen. Auch auf den zwei Ebenen unter mir sind Maschinen am Werk. Menschen sehe ich kaum welche. Das liegt aber daran, dass bei Rutishauser gerade Znünipause ist.
Ein modernes Familienunternehmen
Der Gärtnereibetrieb Rutishauser AG ist seit der Gründung 1912 in Familienhand. Tulpen in den verschiedensten Farben gehören dabei zu den Aushängeschildern des Unternehmens. Niemand sonst in der Schweiz kultiviert die Frühlingsblume in diesem Ausmass. Gut fünf Millionen Stiele verlassen die Produktionsstätte in Züberwangen pro Saison. Diese dauert gerade einmal 16 Wochen. Von Ende Dezember bis Mitte April wird geerntet, danach wird es den Tulpen zu warm. Bevor aber das erste Mal geerntet werden kann, liegen sieben Wochen Kultivierungszeit hinter den Blumen. Diesen Prozess lasse ich mir von Jasmin Stricker und Andrea Brander zeigen und erklären. Stricker kümmert sich bei Rutishauser um den Verkauf und das Marketing der Schnittblumen, Brander ist Abteilungsleiterin und verantwortlich für die Qualität.

Die grösste Besonderheit der Rutishauser-Tulpen erfahre ich gleich zu Beginn. Sie stehen im Wasser, mit Blumenerde kommen sie nicht in Berührung. «Die Familie hat sich vor etwa vier Jahren dazu entschieden, weil sie in der Hydroponik die Zukunft sieht», so Stricker. Besser als Erde sei das nicht, aber ressourcenschonender und auch für den internen Transport einfacher. «Wären die Platten mit der schwereren Erde gefüllt, würden unsere Transportlifte an ihre Grenzen stossen», sagt Brander.
Wenn wir schon von Liften sprechen: Viele Menschen sind mir immer noch nicht aufgefallen. Denn nebst dem Transport wird auch das Giessen von einem Roboter übernommen. Fünfmal täglich gleitet er über die Tulpenwiesen und schwemmt sie 40 Sekunden lang. «Während der Kultivierungszeit werden die meisten Schritte von Maschinen ausgeführt, aber von Mitarbeitenden überwacht», sagt Brander. Deshalb lässt sie ihr Tablet keine Sekunde aus den Augen. Damit hat sie die Kontrolle über alle Bereiche der Tulpenproduktion und kann Licht und Temperatur steuern.

Die Zwiebeln kommen aus Holland
Bevor aber Wasser ins Spiel kommt, braucht es gute Zwiebeln. Diese kommen aus Holland, dem Tulpenland schlechthin. Warum aber werden die Zwiebeln überhaupt importiert? «Der Boden in Holland ist perfekt für Tulpen, ausserdem haben wir in der Schweiz gar nicht genug Platz für den Anbau», erklärt mir Stricker. Denn die Zwiebeln kommen nicht aus dem Gewächshaus, sondern von riesigen Feldern unter freiem Himmel. Im flachen Holland kein Problem, in der bergigen Schweiz schon.
Die importierten Zwiebeln werden von Hand auf eine schwarze Plastikplatte gesteckt. Kleine Zacken bohren sich dabei in das Fleisch. «Diese Verletzungen sind kein Problem, solange der Wurzelkranz unbeschädigt bleibt, was bei korrektem Stecken garantiert ist», so Brander. Ist die Platte voll bestückt, wandert sie für drei Wochen bei fünf Grad in einen dunklen Raum und wird gewässert. Nur unter diesen Bedingungen können die Tulpenzwiebeln treiben, das ist in der Natur nicht anders.


Es riecht wie im Hallenbad
Gleich beim Eintreten in den Kühlraum nehme ich diesen typischen Badigeruch wahr. Den hätte ich jetzt nicht mit Pflanzen in Verbindung gebracht. «Neben Dünger ist unser Wasser auch mit Chlor versetzt, damit Schimmel und Bakterien abgetötet werden», erklärt Stricker. Das erstaunt mich, nennt Rutishauser ihr Gewächshaus doch «Ecofarm». «Wir arbeiten in einem geschlossenen Kreislauf, das Wasser wird also immer wieder benutzt», so Brander. Ausserdem sei die Chlormenge derart gering, dass sie keine Belastung für Wald und Wiese darstelle. Und auf Pflanzenschutz kann Rutishauser dadurch komplett verzichten.

Ein Spiel aus künstlichem und natürlichem Licht
Sobald die Pflanzen gut verwurzelt sind, geht’s raus aus der Kälte und rein ins künstliche Licht. «Die Lichtfarbe ist perfekt auf die Tulpen abgestimmt und sorgt für einen zusätzlichen Wachstumsschub», sagt Brander. Dort bleiben sie drei bis vier Tage, bevor sie eine Etage höher ans natürliche Licht wandern. In dieser letzten Kultivierungsphase verharren die Blumen drei bis vier Wochen. Bei dem Wetter momentan sind es eher drei als vier. «Wir können die Temperatur dank Lüftung und Heizung zwar etwas anpassen, die Wetterverhältnisse lassen sich damit aber nicht komplett aushebeln», sagt Stricker. Deshalb lasse sich die Ernte nicht genau planen. «Sobald die Blüten Farbe annehmen, müssen die Tulpen geerntet werden.»

Gelb ist die Farbe des Frühlings
Dafür werden die Blumen vom Lift eine Etage tiefer gebracht. Dort sind dann auch die Mitarbeiter, die ich anfangs vermisst habe. Sie bündeln und sortieren die Tulpen, unterstützt von Maschinen. An einem Spitzentag wandern bis zu 75 000 Stiele übers Fliessband, die zu Sträussen gebunden werden. Ich bin erstaunt, welche Farbe die Köpfchen dabei am häufigsten tragen. «Gelb ist und bleibt unser Dauerbrenner, obwohl wir auch gestreifte und geflammte Sorten haben», so Stricker. Trotzdem sollen 2020 noch mehr Spezialfarben ins Sortiment kommen. Dafür fliegen auch immer wieder Sorten raus, die sich nicht gut verkaufen oder im Wasser schlecht gedeihen.

Die Sträusse, die in den meisten Fällen 15 Blüten umfassen, werden ohne technische Hilfsmittel abgepackt und um einen Stecker erweitert. Dieser garantiert Schweizer Qualität auf den ersten Blick. «Preislich können wir nicht mit Tulpen aus Holland mithalten, dafür sind unsere robust, wachsen in der Vase weiter und haben viel kürzere Wege hinter sich. Das wollen wir den Konsumenten mit dem Label ins Bewusstsein rufen», sagt Stricker.



Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.