Wird Polyester zu Unrecht verteufelt? Eine Textilingenieurin klärt auf
Hintergrund

Wird Polyester zu Unrecht verteufelt? Eine Textilingenieurin klärt auf

Bei Kleidung aus Polyester rümpfen die Leute gerne mal die Nase. Dabei hat das Material durchaus seine Daseinsberechtigung, wie Dozentin Angela Wagner erklärt.

Polyester zählt zu den meistgenutzten Fasern in der Bekleidungsindustrie – und wird von vielen als billiges Plastik abgetan. Dabei hat das Material aus textiltechnischer Sicht so einiges drauf. Die diplomierte Textilingenieurin Angela Wagner doziert an der STF Schweizerischen Textilfachschule und leitet dort den Studiengang Junior Product Manager. Sie erklärt, was Polyester einzigartig macht, wieso er schneller stinkt als Naturfasern und an welchen nachhaltigen Innovationen zurzeit geforscht wird.

Angela, Polyester hat einen schlechten Ruf. Machst du als Textilexpertin einen grossen Bogen darum?

Ganz im Gegenteil. Als passionierte Textilingenieurin kann ich mich für alle Arten von Fasern begeistern.

Was genau begeistert dich an Polyester?

Polyester ist ein Verwandlungskünstler. Vor allem im funktionellen Bereich ist das Material herausragend – und kann vieles, was Naturfasern nicht können.

Naturfasern sind also nicht grundlegend besser?

Nein. Die Wahl der Faser hängt immer davon ab, was das Kleidungsstück am Ende können muss.

Was macht Polyester zur beliebten Wahl für Funktionskleidung?

Polyester hat eine hohe Reissfestigkeit und ist dabei form-, licht- und wetterbeständig. Also sehr robust. Ausserdem nimmt die Faser kaum Feuchtigkeit auf. Das ist gerade im Sport- und Outdoorbereich relevant.

Kannst du das ausführen?

Wenn du in einem Baumwoll-T-Shirt schwitzt, saugt sich die Faser voll und bleibt lange nass. Das hat zur Folge, dass unser Körper auskühlt. Ein Effekt, den wir verhindern möchten. Polyesterfasern hingegen nehmen so gut wie keinen Schweiss auf, sondern leiten ihn an die Oberfläche, wo er verdunsten kann.

Polyester ist in der Sportbekleidung besonders beliebt.
Polyester ist in der Sportbekleidung besonders beliebt.
Quelle: Veronika Tarasova via Pexels

Wieso fühlt sich das Schwitzen in Polyesterkleidung dann teils so unangenehm an?

Weil das Tragegefühl auch stark von der Verarbeitung abhängt. Sprich, zu welcher Art von Garn die Fasern gesponnen werden. Und noch wichtiger: Wie das Garn schlussendlich verarbeitet wird, zum Beispiel als Gestrick oder Gewebe. Strickware ist luftdurchlässiger als dicht gewobenes Material.

Polyester müffelt schneller als Naturfasern. Woran liegt das?

Dass Polyester kaum Feuchtigkeit aufnimmt, ist in dieser Hinsicht ein Nachteil. Wenn wir stark schwitzen, bleibt der Schweiss an der Oberfläche. Bakterien, die natürlich unsere Haut besiedeln, vermehren sich sehr gerne in diesem feuchtwarmen Klima. Indem sie den Schweiss zersetzen, entsteht der für uns unangenehme Geruch.

Weitläufig sagt man ja, dass synthetische Fasern nicht atmungsaktiv sind. Ein Mythos?

Atmungsaktivität beschreibt den Austausch zwischen Körper, Material und Umgebung – also ob Luft hinein- und Feuchtigkeit abtransportiert werden kann. Polyesterfasern bieten diese Eigenschaften grundsätzlich. Allerdings hängt die Atmungsaktivität wie erwähnt auch von der Konstruktion des Materials ab.

Es reicht also nicht, einfach auf die Art der Fasern zu achten?

Genau, es tragen mehrere Komponenten zur Atmungsaktivität von Kleidung bei. Was viele zudem vergessen: Wenn du über einem atmungsaktiven Shirt einen Pullover oder eine Jacke trägst, die diese Funktion nicht unterstützen, beeinträchtigt das die Wirkung. Deshalb bieten Hersteller für funktionale Mode oft ganze Bekleidungssysteme an. So stellen sie sicher, dass die gewünschte Funktionalität in jeder Schicht erhalten bleibt.

Die «Pleats Please»-Linie von Issey Miyake besteht hauptsächlich aus plissierten Polyesterstoffen.
Die «Pleats Please»-Linie von Issey Miyake besteht hauptsächlich aus plissierten Polyesterstoffen.
Quelle: Instagram @pleatspleaseisseymiyake

Polyester ist im funktionalen Bereich also unverzichtbar. Welche Vorteile bietet das Material in der Alltagskleidung?

Als Polyester in den 50er-Jahren eingeführt wurde, war das Hauptverkaufsargument, dass er nicht knittert. Das ist noch immer ein grosser Vorteil, insbesondere auf Reisen. Zudem ist Polyester sehr pflegeleicht. Designtechnisch interessant ist, dass das Material im Gegensatz zu den meisten Naturfasern thermoplastisch und somit formbar ist. Dadurch lassen sich zum Beispiel Plisseestoffe herstellen. Generell ist Polyester sehr leicht modifizierbar.

Das heisst in diesem Kontext?

Dass die äussere Form und damit die Optik und Haptik der Faser sich gut verändern lässt. So kann Polyester mal an Seide, mal an Baumwolle erinnern. Von feinen Kleidern bis hin zu groben Outdoorjacken ist eine breite Palette an Kleidungsstücken realisierbar. Auch das Innenleben der Faser kann angepasst werden. Sogenannte Hohlfasern etwa bieten hohe Lufteinschlüsse und sind daher besonders leicht und wärmend. Durch die Zugabe von flammhemmenden Substanzen werden aus Polyester sogar Feuerwehrausrüstungen hergestellt. Das ist aktuell mit Naturfasern nicht möglich.

Polyester erfüllt in der Schutzbekleidung einen wichtigen Zweck.
Polyester erfüllt in der Schutzbekleidung einen wichtigen Zweck.
Quelle: Pixabay via Pexels

Wieso wird Polyester trotzdem so oft mit schlechter Qualität gleichgesetzt?

Ich denke, das ist historisch bedingt. In den Anfängen hatte Kleidung aus Polyester einen stark synthetischen Charakter und wurde mehrheitlich für Anzüge und Hemden verwendet. Das fühlte sich weder gut an, noch sah es schön aus. Mittlerweile ist die Verarbeitung aber weit fortgeschritten.

Bei welcher Art von Kleidung rätst du Leuten von Polyester ab?

Das ist etwas sehr Individuelles. Ich trage Polyester und Mischungen damit mehrheitlich für den Sport. Bei Strickpullovern bevorzuge ich klar Wolle oder andere Tierhaare wie Kaschmir oder Alpaka. Aber wenn sich eine Bluse aus Polyester toll anfühlt und eine besonders schöne Farbe oder hochwertige Verarbeitung hat, würde ich sie nicht grundsätzlich ausschliessen. Es gibt ja Premium-Labels, die wunderbare Kleidung daraus machen. Und obwohl synthetische Fasern durchschnittlich günstiger sind als Baumwolle oder Wolle, gibt es schon auch teure Polyesterstoffe.

Kannst du erklären, wie Polyester hergestellt wird?

Vereinfacht gesagt, beginnt die Herstellung mit der Umwandlung von Erdöl in eine Säure. Unter Zugabe von Alkohol entsteht eine chemische Reaktion, die sogenannte Veresterung – daher auch der Name der Faser. Dabei entsteht die Substanz PET. Unter Druck und Hitze werden diese PET-Moleküle zu langen Ketten verbunden, woraus ein lösliches Granulat entsteht, eine Art zäher Teig. Diese Masse wird anschliessend durch Spinndüsen, ähnlich einem Duschkopf, gepresst. Die daraus resultierenden Faserstränge werden mit Kaltluft fixiert und ergeben die Polyester-Filamente.

Wie nachhaltig ist Polyester im Vergleich zu anderen Fasern?

Das lässt sich so leicht nicht beantworten, da viele Faktoren zu beachten sind. So etwa der CO2-Ausstoss, der Wasserverbrauch, die Langlebigkeit und die Wiederverwertung des Materials. Polyester wird in der Regel aus Erdöl hergestellt und ist somit biologisch nicht abbaubar. Schon allein in diesem Aspekt ist die Nachhaltigkeit nicht gegeben. Hinsichtlich Recycling sehe ich jedoch durchaus Potenzial. Es wird bereits vielerorts wiederverwerteter Polyester eingesetzt und die Textilindustrie steckt aktuell viel Forschung in unterschiedliche Recyclingstrategien.

Du sagst «in der Regel». Wird Polyester also nicht immer aus Erdöl gewonnen?

So langsam kommen biobasierte Polyester auf den Markt. Sie werden vermehrt aus Maisstärke gewonnen und sind somit biologisch abbaubar. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob es ethisch vertretbar ist, dass Nahrungsmittel zu Textilien verarbeitet werden.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Wiederverwertung von Polyester?

Polyester lässt sich leicht recyceln, solange es sich um ein Reintextil handelt. Komplizierter wird es bei Mischungen. Aktuell arbeitet die Textilindustrie daran, die einzelnen Fasern digital identifizieren zu können, um sie effektiv zu trennen. Das halte ich für einen vielversprechenden Ansatz. Er ist besonders relevant, da Textilmischungen in der Bekleidungsindustrie weit verbreitet sind.

Recycelte Polyesterfasern aus PET-Flaschen haben teils nicht die gewünschte Farbe und Festigkeit.
Recycelte Polyesterfasern aus PET-Flaschen haben teils nicht die gewünschte Farbe und Festigkeit.
Quelle: Mali Maeder via Pexels

Gibt es qualitative Abstriche bei recyceltem Polyester?

Teils schon. Deshalb sieht man häufig Stoffe, die eine Mischung aus neuen und recycelten Fasern enthalten. Es wird jedoch daran gearbeitet, wiederverwerteter Polyester aus PET-Flaschen und Textilien qualitativ auf das Niveau von neu entwickeltem Polyester zu bringen.

Inwiefern ist recycelter Polyester minderwertig?

Die Fasern sind nicht per se minderwertig. Sie unterliegen jedoch stärkeren Schwankungen. Es kann sein, dass sie nicht die gewünschte Festigkeit haben oder die Farbe aufgrund der unterschiedlichen PET-Flaschen nicht reinweiss ist – und somit nicht jede Farbe daraus hergestellt werden kann.

Polyester wird häufig auch kritisiert, weil Kunstfasern zu den Hauptverursachern von Mikroplastik gehören.

Mikroplastik ist ein hochaktuelles und komplexes Thema, in dem die Textilindustrie nebst anderen Branchen eine bedeutende Rolle spielt. Unterschiedliche Studien haben gezeigt, dass eine tiefe Schleuderzahl sowie eine Waschtemperatur von etwa 30 Grad der Freisetzung von Mikroplastik entgegenwirken können. Vom Schonwaschgang ist bei synthetischen Stoffen abzusehen – durch die höhere Wassermenge werden mehr Fasern herausgespült. Waschmaschinenhersteller bieten zudem häufig entsprechende Filter an.

Ist Mikroplastik nicht ein Grund, ganz auf Polyester zu verzichten?

Optimal wäre natürlich, dass wir eines Tages einen nachhaltigen Ersatz haben. Aber solange dieses Szenario nicht eintrifft, ist es meiner Meinung nach die beste Option, die Rohstoffe im Kreislauf zu behalten.

Titelfoto: Issey Miyake via Launchmetrics/Spotlight

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Hat grenzenlose Begeisterung für Schulterpolster, Stratocasters und Sashimi, aber nur begrenzt Nerven für schlechte Impressionen ihres Ostschweizer Dialekts.


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