Warum ist es eigentlich so mühsam, ein Kind ins Bett zu bringen?
Ratgeber

Warum ist es eigentlich so mühsam, ein Kind ins Bett zu bringen?

Katja Fischer
15.11.2023

Sobald das Baby da ist, ist ein Thema besonders omnipräsent: Schlaf. Und das noch jahrelang. Warum das Zubettgehen mit Kindern oft zur Herkulesaufgabe verkommt und warum gewisse Schlafprobleme nicht lösbar sind – Schlafcoachin Tilja Tanner gibt Auskunft.

Nichts ist mit Kindern nervenaufreibender als die letzten Minuten des Tages mit ihnen. Dann, wenn sie eigentlich hundemüde sind, aber noch tausend andere Dinge erledigen wollen. Hauptsache nicht schlafen.

Das Lego-Haus und die Bastelarbeit müssen schliesslich noch vor Mitternacht fertig sein.
Das Lego-Haus und die Bastelarbeit müssen schliesslich noch vor Mitternacht fertig sein.
Quelle: Instagram/themumcrew

Dabei habt ihr doch eigentlich gedacht, dass ihr mit euren Kleinkindern aus dem Gröbsten heraus seid. Immerhin habt ihr die Babyphase mit akutem Schlafentzug hinter euch. Nichts da! Alles nur eine Phase – und die nächste schlaflose Phase rollt schon wieder an. Schlafcoachin Tilja Tanner sagt, warum das so ist. Und wie Eltern es schaffen, entspanntere Abende und Nächte zu haben.

Tilja, du bist Kinderschlafberaterin, deine eigenen Kinder müssen schlafen wie die Herrgötter.
Tilja Tanner: (lacht) Schön wär’s. Sie schlafen, wie Kinder eben schlafen. Mit unserem Grossen hatten wir während drei Jahren ein massives Schlafproblem, das war schwierig und belastend. Wir probierten viel aus und suchten Hilfe, damals war Schlafcoaching aber noch nicht verbreitet in der Schweiz. Beim Jüngeren informierte ich mich frühzeitig und machte dann die Schlafcoach-Ausbildung. Das hat uns extrem geholfen. Ich würde sagen: Wir schlafen heute besser als je zuvor.

Das heisst, das Schlafproblem deines eigenen Kindes hat dich motiviert, dich zur Schlafcoachin ausbilden zu lassen?
Ja. Und weil ich gemerkt habe, dass Aufklärung und Wissen in punkto Kinderschlaf in vielen Familien fehlt. Das Wissen macht einen Riesenunterschied. Ich selbst hatte zum Beispiel keine Ahnung von altersentsprechenden Wachphasen. Ich wusste nicht, wie wichtig Routinen und Abläufe sind und wie gross der Einfluss vom Tag auf die Nacht ist. Mein Grosser ist jetzt fünf. Schlafen ist zwar immer noch nicht seine Lieblingsbeschäftigung, und er braucht nach wie vor mehr Sicherheit als sein zweieinhalbjähriger Bruder. Aber wir haben Wege gefunden, wie wir alle gut schlafen können. Als Schlafberaterin kannst du nicht jedes Problem lösen, aber einiges beeinflussen, um die Schlafsituation deutlich zu entspannen.

Tilja Tanner ist Schlafcoachin, Fachfrau Kinderbetreuung und zweifache Mutter.
Tilja Tanner ist Schlafcoachin, Fachfrau Kinderbetreuung und zweifache Mutter.
Quelle: ZVG

Was kannst du beeinflussen?
Ich kann ein Bewusstsein dafür schaffen, wie Kinder schlafen. Das hilft, Hintergründe zu verstehen. Und ich kann eine möglichst gute Grundlage für einen entspannten Schlaf schaffen: zum Beispiel mit Ritualen, Strukturen und Bedürfniserfüllung im Alltag. Oder einem altersentsprechenden Rhythmus bei kleinen Kindern. Damit lösen sich oft schon einige Probleme. Bei älteren Kindern ab drei Jahren spielt oft auch die Eltern-Kind-Beziehung eine Rolle: Die Schlafprobleme können durch nicht erfüllte Bedürfnisse im Alltag oder durch fehlende Klarheit der Eltern, wenn es um das Zubettgehen geht, entstehen. Das muss man erstmal wissen.

Was kannst du als Schlafcoachin nicht lösen?
Es gibt Faktoren, die schlicht nicht beeinflussbar sind und bei vielen Kindern vorübergehend zu einer Verschlechterung der Schlafsituation führen. Zum Beispiel Entwicklungssprünge, Übergangsphasen wie beim Kita-Start oder Zahnschmerzen. Und es gibt Kinder, die in Sachen Schlafen einfach etwas mehr Begleitung und Unterstützung durch ihre Eltern brauchen.

Meine Grosse zum Beispiel. Sie ist sieben und hat bis heute Mühe, einzuschlafen. Es dauert sehr lange und sie wehrt sich geradezu dagegen.
Das ist phasenweise bei meinen Kindern auch so. Und das braucht manchmal ganz schön Nerven.

Das Kind möchte Zeit mit seinen Eltern, während die Eltern sich abends nach Erholung und Zeit für sich sehnen
Tilja Tanner

Warum ist es denn so wahnsinnig mühsam, ein Kind ins Bett zu bringen?
Wir dürfen nicht vergessen, dass Kinder jeden Tag Neues lernen, sich weiterentwickeln und auch wahnsinnig viel erleben – das alles muss verarbeitet werden. Da kann es schon auch mal etwas länger dauern mit dem Einschlafen. Hinzu kommt die Müdigkeit, sie aktiviert bei Kindern das Bindungssystem. Das Kind möchte Zeit mit seinen Eltern, hatte vielleicht auch einen anstrengenden Tag in der Kita und will nun etwas nachholen. Viele Eltern dagegen sehnen sich nach einem langen Tag nach Erholung und Zeit für sich oder mit dem Partner. Das Kind soll möglichst rasch ins Bett. Das führt zum Bedürfniskonflikt.

Als Elternteil habe ich nun mal auch ein Bedürfnis. Ich bin müde und möchte noch etwas Me-Time.
Ja, und dieses Bedürfnis ist auch wichtig. Alle Bedürfnisse sollen ihren Platz haben. Das ist oft ein Balanceakt, ohne Kompromisse funktioniert es nicht. Einschlafen hat auch viel mit Entspannung zu tun. Wenn Eltern gestresst sind, weil sie befürchten, dass wegen der langen Einschlafdauer ihre Me-Time in Gefahr ist, nehmen das die Kinder sofort wahr.

Wie schaffen wir es, allen gerecht zu werden?
Ich rate, durch den Tag und auch vor dem Schlafen 1:1-Zeit mit dem Kind bewusst als Ritual einzubauen. Einschlafrituale mit klarem Ablauf signalisieren dem Kind ausserdem, dass es Zeit für die Nachtruhe ist. Was ich ganz wichtig finde: Me-Time soll nicht davon abhängig sein, ob mein Kind schnell einschläft, sondern so oder so fest eingeplant werden. Eltern sollen sich deshalb beim Zubettbringen unterstützen und sich abwechseln – Auszeiten sind wichtig. Alleinerziehenden rate ich, bei Grosseltern oder Bekannten aktiv nach Hilfe zu fragen oder sich mit anderen Mamas zusammenzutun.

Einschlafrituale mit klarem Ablauf signalisieren dem Kind, dass es Zeit für die Nachtruhe ist
Tilja Tanner

Wie verläuft ein Schlafcoaching bei dir?
Die Familie schreibt fünf Tage lang ein ausführliches Protokoll, das mir bereits einen guten Überblick über die Thematik und mögliche Gründe für das jeweilige Problem gibt. Dann folgt eine ausführliche Analyse und ein Zielgespräch, in dem wir schauen, wo das Problem liegt und was die individuellen Ziele, Werte und Wünsche der Familie sind. Anschliessend wird erstmal ein passender Rhythmus erarbeitet und etabliert. In einem weiteren Gespräch reden wir über die Schlafbiologie und erstellen einen Plan, wie die Familie ihr Ziel erreichen kann. Und vor allem, wie die Eltern ihr Kind in einer Veränderung begleiten werden. Ich selbst begleite die Familien während drei Monaten sehr eng bei der Umsetzung.

Auch Instagram ist ein grosses Thema bei dir. Du hast 2000 Followerinnen und Follower. Wie wichtig ist die Plattform für deine Arbeit?
Ehrlich gesagt bin ich da so reingerutscht. Für mich ist Instagram eine gute Möglichkeit, Wissen zum Kinderschlaf einem breiten Publikum zugänglich zu machen und mit alten Mythen aufzuräumen. Ich erreiche so auch Eltern, die sich ein persönliches Schlafcoaching vielleicht nicht leisten können.

Jedes Kind und jedes Schlafverhalten ist individuell. Gibt es trotzdem etwas, das du allen Eltern mit auf den Weg geben kannst?
Ein ausgewogener Schlaf-Wach-Ryhthmus unterstützt jedes Kind. Was ebenfalls für alle gilt und mir wichtig ist: Es gibt kein Richtig oder Falsch. Eine Schlafsituation soll vor allem für die jeweilige Familie passen. Es ist auch total okay, sich Hilfe zu suchen, wenn eine Schlafsituation belastend ist. Niemand braucht bei diesem Thema ein schlechtes Gewissen zu haben.

Tilja Tanner (37) ist zertifizierte Schlafcoachin nach Bianca Niermann® und Fachfrau Kinderbetreuung mit jahrelanger Kita-Erfahrung. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Söhnen im Kanton Bern.

Dies ist der erste Artikel einer mehrteiligen Serie mit Tilja Tanner zum Thema Kinderschlaf. Du hast Anmerkungen oder Fragen, die du in den kommenden Beiträgen klären willst? Lass es uns in den Kommentaren wissen oder schreib mir eine E-Mail.

Titelfoto: Shutterstock

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Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.


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